Eine bemerkenswerte Studie wurde am Ende des Jahres 2017 veröffentlicht. Einer Gruppe von schottischen und nordenglischen Hausärzten ist der Nachweis gelungen, dass übergewichtige Typ-2-Diabetiker durch eine strukturierte Ernährungs- und verhaltensmodifizierende Intervention nicht nur erheblich abnehmen, sondern auch eine Diabetes-Remission erzielen können. Besonders interessant ist, dass diese Erfolge nicht in einer Spezialeinrichtung oder mit Hilfe von komplikationsträchtigen bariatrischen Eingriffen erzielt wurden, sondern im sog. „Real-Life“ durch die Arbeit in Hausarztpraxen.
Die im Lancet publizierte, überwiegend mit öffentlichen Geldern (UK Diabetes) finanzierte Studie (1) stand unter der Leitung der Universität Glasgow und trägt das Akronym DiRECT (Diabetes REmission Clinical Trial). Es nahmen insgesamt 49 Arztpraxen aus Schottland und Tyneside in Nordengland teil. Randomisiert wurde auf der Ebene der Arztpraxen. Diese wurden entweder einem multimodalen Gewichts-Management-Programm zugelost oder einer „Best Practice Care“ (leitliniengemäße Diabetesbehandlung).
Die Praxen konnten aus ihrer Klientel Patienten einschließen, die übergewichtig waren (BMI 27-45 kg/m²) und bei denen ein Typ-2-Diabetes vorlag (maximal 6 Jahre Krankheitsdauer). Der HbA1c-Wert musste > 6,5% betragen oder > 6% unter einer Behandlung mit oralen Antidiabetika. Ausgeschlossen waren u.a. Patienten mit Insulintherapie, HbA1c-Werten ≥ 12%, einem Gewichtsverlust ≥ 5 kg innerhalb eines halben Jahres, einer fortgeschrittenen Herz- oder Nierenerkrankung, bekannten Essstörungen, Lernschwierigkeiten oder einer Anamnese mit schwerer Depression.
Intervention: Die Patienten in den Interventionspraxen sollten das sog. „Counterweight-Plus“-Programm zum Abnehmen absolvieren. Dieses sehr einschneidende Programm ist auf der Ebene der Primärversorgung evaluiert (2) und besteht aus drei Phasen:
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Phase 1 (3-5 Monate): vollständiger Verzicht auf alle konventionellen Mahlzeiten. Energiezufuhr allein mittels flüssiger Formula-Diät (Produkt: Cambridge Weight Plan, eine sog. „low-energy liquid diet“ mit 825-853 kcal/d; davon 59% Kohlenhydrate, 13% Fett, 26% Protein und 2% Ballaststoffe). Die Phase 1 konnte auf Wunsch des Patienten auf 5 Monate verlängert werden.
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Phase 2 (2-8 Wochen): Strukturierte Wiedereinführung von Mahlzeiten, beginnend mit einer leichten Mahlzeit täglich (360-400 kcal) und stufenweiser, individuell angepasster Erweiterung bis die Flüssignahrung vollständig durch drei Mahlzeiten pro Tag ersetzt war (Ziel: 50% Kohlenhydrate, 35% Fett, 15% Protein). Diese Phase wurde durch intensive Ernährungsschulungen begleitet.
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Phase 3, sog. Erhaltungsphase (bis 1 Jahr): überwiegend bestehend aus Ernährungsschulungen und kognitiver Verhaltenstherapie zur Vorbeugung von Rückfällen in alte Essgewohnheiten.
Die verwendete Formula-Diät wurde vom Hersteller zur Verfügung gestellt. Die Kosten für eine Woche (4 Mahlzeiten pro Tag) betragen knapp 80 €. Die Mitarbeiter der Hausarztpraxen, Ärzte, Ärztinnen, Praxis- und/oder Diätassistent(inn)en, steuerten die Behandlung. Alle Phasen wurden von regelmäßigen (anfänglich wöchentlichen, später monatlichen) Treffen mit dem Praxispersonal und Schulungen durch dieses begleitet. Zudem bestand immer die Möglichkeit eines Telefonkontakts. Die Praxisassistent(inn)en wurden durch das Studienteam für das Counterweight-Plus-Programm intensiv geschult. Zudem fand während der Studie ein Mentoring durch die Studienleitung statt.
Da es bei solch strengen Diäten häufig zu Blutdruckabfällen und Hypoglykämien kommt, sollten die Patienten mit Beginn der Diät die entsprechenden Medikamente pausieren. Die Arzneimitteltherapie wurde durch regelmäßige Kontrollen von Blutdruck und Blutzucker bei den Folgevisiten mit Hilfe standardisierter Protokolle gesteuert. Die Patienten sollten während der Phase 1 ihre normalen körperlichen Aktivitäten beibehalten und in Phase 2 bzw. 3 ein individuell angepasstes Bewegungsprogramm absolvieren (maximal 15.000 Schritte/d). Zur Kontrolle wurden ihnen Schrittzähler bzw. Aktivitätssensoren zur Verfügung gestellt.
Die Patienten in den „Kontrollpraxen“ sollten wie gewohnt leitliniengerecht weiterbehandelt werden („best practice care“). Um sie für die Studienteilnahme zu motivieren, erhielten sie einen Gutschein von einem Online-Händler.
Primärer Studienendpunkt war der Anteil der Patienten, die nach einem Jahr eine Gewichtsreduktion von ≥ 15 kg und eine Diabetes-Remission erreichten (Definition: HbA1c < 6,5% ohne Antidiabetika). Sekundäre Endpunkte waren u.a. die Lebensqualität und Veränderungen in der Arzneimitteltherapie.
Ergebnisse: 23 Praxen wurden dem Interventions- und 26 dem Kontrollarm zugelost. Von diesen wurden insgesamt 1.510 Patienten zur Studienteilnahme eingeladen. 841 reagierten nicht und 246 lehnten ab. Von den verbliebenen 423 (28% der Kontaktierten) erfüllten 306 alle Einschlusskriterien bzw. hatten keine Ausschlussgründe und konnten rekrutiert werden. Weitere acht Patienten schieden nach der ersten Visite aus, meist weil der HbA1c-Wert zu niedrig war. Letztlich kamen 298 Patienten in die Studie (je 149 in beide Gruppen). Diese waren im Mittel 54,4 Jahre alt und 59% Männer. Das Ausgangsgewicht betrug im Mittel 106 kg bei den Männern (BMI 34,2 kg/m2) und 98 kg bei den Frauen (BMI 35,3 kg/m2). Die Diabetesdauer betrug durchschnittlich drei Jahre. 76% nahmen bei Einschluss orale Antidiabetika ein, meist Metformin als Monotherapie. Nur ein Viertel der Patienten hatte Erfahrungen mit Programmen zur Gewichtsreduktion.
Die Adhärenz war im Interventionsarm bemerkenswert hoch: 80% blieben dem Programm über ein Jahr treu. 3% begannen die Diät nicht, und 17% brachen vorzeitig ab, überwiegend während der Phase 1. Das Gewicht sank („intention to treat“) in der Interventionsgruppe durchschnittlich um 10 kg, in der Kontrollgruppe dagegen nur um 1 kg (p < 0,0001). Ein Viertel (n = 36) der Patienten hatte nach einem Jahr durch die spezielle Diät ≥ 15 kg Gewicht abgenommen, in der Kontrollgruppe keiner (p < 0,0001). Die Gewichtsabnahme fand in der Phase 1 statt (im Mittel um 14,5 kg), gefolgt von einer durchschnittlichen Zunahme um 1 kg in Phase 2 und um 1,9 kg in Phase 3.
Zu einer Remission des Diabetes kam es bei 68 Patienten (46%) in der Interventionsgruppe und bei 6 (4%) in der Kontrollgruppe (Odds Ratio: 19,7; 95%-Kontrollintervall: 7,8-49,8; p < 0,0001). Entsprechend fiel das HbA1c im Mittel um 0,9 ± 1,4% bzw. stieg um 0,1 ± 1,1%. Eine Diabetes-Remission erreichten nur Patienten, die ihr Gewicht reduzieren konnten. Dabei scheint eine Dosis-Wirkbeziehung zu bestehen: bei 0-5 kg Abnahme 7% Remission; bei 5-10 kg Abnahme 34% Remission; bei 10-15 kg Abnahme 57% Remission und bei ≥ 15 kg Abnahme 86% Remission. Die sechs Patienten, die in der Kontrollgruppe eine Remission erreichten, nahmen durchschnittlich 4,5 kg ab. Entsprechend benötigten 74% der Teilnehmer in der Interventions-, aber nur 18% in der Kontrollgruppe nach 12 Monaten keine oralen Antidiabetika (p = 0,0032).
Der mittlere Blutdruck war nach einem Jahr in beiden Gruppen etwa gleich. Allerdings konnten knapp die Hälfte der Patienten in der Interventionsgruppe die Antihypertensiva reduzieren oder ganz absetzen (keiner in der Kontrollgruppe). Die Zahl der täglich konsumierten Arzneimittel (inklusive Antidiabetika und Antihypertensiva) sank in der Interventionsgruppe von 5,6 auf 4,8 und stieg in der Kontrollgruppe von 5,7 auf 6,5 an (p < 0,0001). Die Lebensqualität verbesserte sich auf einer visuellen Analogskala (EQ-5D, Skala von 0-100) durch die Intervention um 7,2 Punkte und verschlechterte sich in der Kontrollgruppe um 2,9 Punkte.
Die häufigsten Nebenwirkungen der Gewichtsreduktion waren: Verstopfung (n = 65), vermehrtes Kälteempfinden (n = 51), Kopfschmerzen (n = 53) und Schwindel (n = 49). Die meisten dieser Beschwerden wurden als mild oder moderat klassifiziert, nur 9 als schwerwiegend. Dabei handelte es sich um eine Gallenkolik, um eine nicht näher definierte Episode von Bauchschmerzen sowie um 7 kurze Behandlungen im Krankenhaus. Die meisten dieser Ereignisse traten in Phase 1 auf.
Die Autoren betonen in ihrer Diskussion, dass der Erfolg dieses ambitionierten Programms unerwartet groß war und wahrscheinlich darin begründet ist, dass es der individuellen Situation der Patienten angepasst wurde und zusätzlich zur Diät kognitive Techniken angewendet wurden (Rückkopplung, regelmäßige Kontrollen). Dabei scheint die Anbindung an die vertrauten Personen in der Hausarztpraxis mit Steuerung und Kontrolle durch sie besonders wichtig. In dem begleitenden Editorial von Matti Uusitupa von der Universität in Kuopio/Finnland mit dem Titel „Remission of type 2 diabetes: mission not impossible“ nennt er als Hauptlimitation der Studie die relativ kurze Nachbeobachtungsdauer. Es sei nach den Erkenntnissen vergleichbarer Studien unwahrscheinlich, dass die erzielten Effekte anhalten. Möglicherweise kann jedoch die Nachsorge in den Hausarztpraxen mehr Stabilität bringen. Offensichtlich ist eine längere Nachbeobachtung (4 Jahre) vorgesehen.
Trotzdem fordert der Kommentator, dass die Gewichtsreduktion als primäres Ziel der Behandlung von Patienten mit Typ-2-Diabetes angesehen werden muss, zumindest in den ersten Jahren der Erkrankung. Anders als mit Arzneimitteln könne mit einer Gewichtsreduktion der Glukosestoffwechsel normalisiert werden, was letztlich auch zu einer besseren Prognose führen dürfte.
Wir glauben, dass der Erfolg dieses Programms weniger in der verwendeten Diät, sondern in der engen Betreuung durch die Praxen begründet ist. Zudem ist fraglich, ob das Ergebnis der Studie in Deutschland oder Österreich reproduzierbar wäre, denn hier besteht keine strenge Zuteilung an eine Hausarztpraxis wie in Großbritannien. Auf jeden Fall würde ein Medikament, das nachweislich Diabetes in Remission bringen kann, viele Tausend Euro pro Jahr kosten. Warum zahlen wir nicht entsprechende Erfolgsprämien an Arztpraxen, die dieses Ziel erreichen?
Fazit: Diese Studie zeigt erneut, dass bei adipösen Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 durch deutliche Gewichtsabnahme eine Remission des Diabetes erreicht werden kann. Die meisten Patienten, die in diese Studie eingeschlossen wurden, hatten allerdings noch keinen fortgeschrittenen Diabetes (nur 76% nahmen orale Antidiabetika). Leider ließen sich auch nur ca. 20% der infrage kommenden Patienten für die Teilnahme an dieser Studie motivieren.
Literatur
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Lean, M.E.J., et al. (DiRECT = Diabetes Remission Clinical Trial): Lancet 2017. Published online December 5. Link zur Quelle
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Lean, M., et al. Br. J. Gen. Pract. 2013, 63, e115. Link zur Quelle
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Uusitupa, M.: Lancet 2017. Published online December 5. Link zur Quelle