Artikel herunterladen

Epidemiologie der SARS-CoV-2-Infektion auf der „Diamond Princess“

Alle Schätzungen zur Ausbreitung des SARS-CoV-2 und die Sterberate bei COVID-19-Patienten basieren bisher auf unsicheren epidemiologischen Daten. Der Infektionsverlauf auf dem Kreuzfahrtschiff „Diamond Princess“ kann wichtige und vielleicht bessere Einblicke in die Dynamik der Infektion geben, weil es sich hierbei um einen abgeschlossenen Bereich handelt, die Passagierzahl und die Quarantänemaßnahmen bekannt sind und alle auf SARS-CoV-2 getestet wurden. Verschiedene Epidemiologen haben nun die Daten ausgewertet. Der Epidemiologe John Ioannidis hat die in der der Fachzeitschrift „Nature“ von Mallapaty publizierten Daten als verlässlich bewertet, aber auch gleichzeitig davor gewarnt, die Wirksamkeit von Quarantänemaßnahmen auf einem Kreuzfahrtschiff auf ganze Länder zu übertragen (1). Hier sind die wichtigsten Daten und die Schlussfolgerungen.

Chronologie des Ausbruchs (2): Die Reise des Kreuzfahrtschiffs begann am 20. Januar 2020 mit der Abfahrt aus dem Hafen in Yokohama (Japan) mit 3.711 Menschen an Bord (Passagiere plus Besatzungsmitglieder). Am 6. Reisetag ging ein Passagier mit Verdacht auf SARS-CoV-2-Infektion in Hongkong von Bord. Am 13. Reisetag (1.2.2020) kam das Schiff in Naha (Japan) an, und der Verdachtsfall wurde bestätigt. Am 16. Reisetag (4.2.2020) erreichte das Schiff wieder Yokohoma (Japan) und wurde unter Quarantäne gestellt, d.h. alle Passagiere und Besatzungsmitglieder mussten an Bord bleiben. Die Quarantäne wurde durch spezielle Quarantäne-Beamte kontrolliert. Am 30. Reisetag (18.2.2020) wurde die 14-tägige Quarantäne beendet. Alle Personen auf dem Schiff wurden auf das SARS-CoV-2 getestet. Bis zum 21.2.2020 waren 634 positiv, darunter auch 3 Besatzungsmitglieder, und 6 Menschen waren gestorben (2).

Auswertung und Schlussfolgerungen:

  • Die Daten zeigen ein mit dem Alter steigendes Infektionsrisiko. Zwei Drittel der Infizierten waren > 60 Jahre alt mit einem deutlichen Peak bei den 70- bis 79-Jährigen. 321 waren Männer, 313 Frauen.

  • Bei knapp 18% der nachweislich Infizierten traten bis zum Ende der Quarantäne keine Symptome auf (17,9%; 95%-Glaubwürdigkeitsintervall: 15,5-20,2%). Die meisten Infektionen fanden bereits vor der Quarantäne statt. Offensichtlich machte also ein nicht unerheblicher Anteil der Passagiere die Infektion asymptomatisch durch. Dieser Anteil könnte in der allgemeinen Bevölkerung noch höher liegen, da das Durchschnittsalter der Passagiere etwas höher lag als beispielsweise in der US-amerikanischen Bevölkerung und jüngere Menschen häufiger symptomlos bleiben. Einerseits können symptomfreie Infizierte für einen kürzeren Zeitraum (ca. 14 Tage) andere Menschen anstecken, andererseits – und das ist sehr wichtig für die Gesamtdynamik der Infektion – bilden auch diese nach der Infektion Antikörper gegen das Virus und tragen somit wesentlich zur Steigerung der Herdenimmunität bei.

  • Der COVID-19-Ausbruch auf der „Diamond Princess“ gibt auch Hinweise zum wirksamen Schutz vor Ansteckungen. Bevor am 17. Reisetag die strenge Isolierung verfügt wurde (alle Passagiere mussten in ihrer Kabine bleiben), konnte ein Infizierter durchschnittlich sieben andere Menschen anstecken. Diese Berechnung ist nicht ganz auf das Infektionsrisiko in den Ländern zu übertragen, da das Zusammenleben auf einem Kreuzfahrtschiff sicher besonders eng ist und die Passagiere sich täglich in den Speiseräumen sowie im Unterhaltungsprogramm in Urlaubsstimmung häufiger näherkommen als im Alltag. Während der Zeit der Kabinen-Quarantäne verringerte sich das Infektionsrisiko insgesamt deutlich, nämlich um den Faktor 7. In dieser Zeit fanden jedoch nachweislich sehr viele Infektionen in Doppelkabinen statt, d.h. nahes Zusammenleben erhöht das Infektionsrisiko besonders stark.

  • Die Sterberate („fatality rate“) lag < 1%, obwohl die Passagiere älter waren als in der US-amerikanischen Allgemeinbevölkerung.

  • Die wichtigste Erkenntnis aus diesen Analysen ist – und sie ist wohl auch auf das allgemeine Infektionsgeschehen übertragbar –, dass deutlich mehr Menschen die SARS-CoV-2-Infektion symptomfrei durchmachen als zunächst angenommen wurde. Werden diese asymptomatischen Infizierten in die Berechnungen einbezogen, fällt auch die Sterberate deutlich niedriger aus als anfangs geschätzt. Spezifische Antikörpertests und die genaue Erhebung der Anamnese könnten diese stillen Feiungen erfassen.

Literatur

  1. Malapaty, S.: Nature 2020. Link zur Quelle
  2. Mizumoto, K., et al.: Eurosurveillance 2020, 25, 12. Link zur Quelle