Das LDL-Cholesterin (LDL-C) wird in vielen Studien als Surrogat-Parameter für Aussagen zur kardiovaskulären Morbidität und Mortalität verwendet. Nach Studienergebnissen führt die Senkung des LDL-C durch ein Statin zu einer proportionalen Abnahme des kardiovaskulären Risikos. Es ergibt sich die Beziehung: Pro 1 mmol LDL-C-Senkung (= 38,7 mg/dl) durch ein Statin sinkt das Risiko für ein klinisch bedeutsames kardiovaskuläres Ereignis („Major cvE“: Herzinfarkt, koronare Revaskularisation, Tod durch Koronare Herzerkrankung, Schlaganfall) relativ um 22% (1). Dieser Zusammenhang ist für andere Lipidsenker, wie Nikotinsäure, Fibrate, CETP-Hemmer (Cholesteryl-Ester-Transfer-Protein), Ezetimib und PCSK9-Hemmer nicht bzw. nicht im gleichen Ausmaß nachgewiesen (2). Daher ist die Höhe des LDL-C als allgemeiner kardiovaskulärer Zielparameter kritisch zu hinterfragen.
Noch nicht geklärt ist, ob zur Prävention von cvE mit Statinen ein bestimmter LDL-C-Zielwert angestrebt („Treat to Target“-Strategie) oder ob einfach die höchste tolerierte Statin-Dosis ohne LDL-C-Messwerte verordnet werden sollte („Fire and Forget“). Derzeit wird, zumindest von den europäischen Kardiologen, die zielwertgesteuerte Behandlung propagiert (1). Bei Risikopatienten hinsichtlich „Major cvE“ soll das LDL-C demnach „as low as possible“ sein (vgl. 3). Da mit Statinen das LDL-C dosisabhängig maximal um 50% gesenkt werden kann, soll zum Erreichen dieses Therapieziels alles eingesetzt werden, was derzeit zur Verfügung steht: Statin in Hochdosis plus Ezetimib plus PCSK9-Hemmer. Es fehlen jedoch nach wie vor Studien, die diese „Treat to Target“-Strategie im Hinblick auf patientenrelevante Endpunkte validieren.
Nun wurde im N. Engl. J. Med. eine randomisierte kontrollierte Studie publiziert, die die Auswirkungen von zwei verschiedenen LDL-C-Zielwerten bei Patienten nach Schlaganfall untersucht hat (4). In die „Treat Stroke to Target“-Studie wurden 2.860 Patienten aus 61 Zentren in Frankreich und 16 Zentren in Südkorea eingeschlossen. Die Studie wurde mit öffentlichen Geldern finanziert („French Ministry of Health“ und „SOS-Attaque Cérébrale Association“) und erhielt Zuschüsse von vier großen pharmazeutischen Unternehmern, die Lipidsenker vertreiben. Nur 11 der 32 Autoren geben an, dass sie keine Interessenkonflikte aufgrund von Beziehungen mit der Industrie haben.
Methodik: Eingeschlossen wurden Patienten 3 Monate nach transitorisch ischämischer Attacke (TIA) oder ischämischem Schlaganfall, wenn keine oder nur eine geringe Behinderung bestand (modified Rankin-Scale 0-3; dabei bedeutet 0 keine und 5 eine schwere Behinderung). Alle mussten nachweislich eine atherosklerotische Erkrankung haben (Stenose in hirnversorgenden Arterien, atherosklerotische Plaques im Aortenbogen ≥ 4 mm oder eine Vorgeschichte mit Koronarer Herzkrankheit). Der LDL-C-Wert musste bei ≥ 100mg/dl liegen, bzw. bei ≥ 70 mg/dl bei Vorbehandlung mit einem Statin. Getestet wurden zwei Behandlungsstrategien: In der „Lower-Target“-Gruppe (LTGr) sollte das LDL-C auf < 70 mg/dl und in der „Higher-Target“-Gruppe (HTGr) auf 90-110 mg/dl gesenkt werden. Dabei war es den behandelnden Ärzten freigestellt, welches Statin bzw. welchen weiteren Lipidsenker sie verordneten und in welchen Dosierungen. Die Studie startete im Jahr 2010; zu dieser Zeit waren PCSK9-Hemmer noch nicht zugelassen.
Die Nachbeobachtungszeit sollte mindestens 3 Jahre betragen. Die Nachbeobachtung bestand aus halbjährlichen Laborkontrollen und persönlichen Visiten. Dabei sollten auch die übrigen Risikofaktoren optimiert werden (Nichtraucherinterventionen, Blutdruck, Blutzucker). Primärer Studienendpunkt war das erste Auftreten eines „Major cvE“. Dies beinhaltete einen nicht tödlichen Schlaganfall oder Myokardinfarkt, eine Krankenhausbehandlung wegen instabiler Angina pectoris oder TIA mit dringlicher Gefäßintervention und alle kardiovaskulären und plötzlichen Todesfälle. Geplant war, insgesamt 3.786 Patienten einzuschließen, wobei 385 primäre Endpunktereignisse erwartet wurden. Wegen Problemen bei der Rekrutierung der Patienten und der Finanzierung musste die Studie jedoch vorzeitig beendet werden. Dadurch wurden nur 2.860 Patienten eingeschlossen (75% der geplanten Zahl) und nur 277 primäre Endpunktereignisse (72% der erwarteten) erreicht. Somit wurden die statistischen Grundannahmen nicht erfüllt, was die Aussagekraft der Studie einschränkt.
Ergebnisse: Das mittlere Alter der Patienten betrug 67 Jahre, 67% waren Männer, 86% hatten einen Schlaganfall und 14% eine TIA. Die Grundrisiken waren in den beiden Gruppen ähnlich verteilt. In der HTGr waren etwas mehr Hypertoniker und in der LTGr etwas mehr Raucher. Das Ausgangs-LDL-C betrug in beiden Gruppen 135 mg/dl, und 45% waren mit Statinen vorbehandelt. Die Therapiemodalitäten und die Ergebnisse sind in Tab. 1 wiedergegeben. Auffallend sind einerseits eine Abbruchrate von rund 30% (Gründe: „Lost to Follow Up“ [5%], Rücknahme der Einwilligung [15%], Entscheidung der Behandelnden [9,5%]) und andererseits, dass ein erheblicher Anteil der Patienten die vorgegebenen Therapieziele nicht erreicht hat (LTGr: 47,2%, HTGr: 16,8%).
Nach Intention to treat-Analyse trat der primäre Endpunkt in der LTGr bei 8,5% und in der HTGr bei 10,9% der Patienten auf (Relatives Risiko = RR: 0,78; 95%-Konfidenzintervall = CI: 0,61-0,98; p = 0,04). Dieser Unterschied von absolut 2,4% über 3,5 Jahre war also nur knapp signifikant. Die Number needed to treat (NNT) berechnet sich mit 41 über 3,5 Jahre. Die Kaplan-Meier-Kurven laufen ab dem dritten Jahr auseinander. Der Vorteil für die LTGr ergab sich in erster Linie durch weniger Reinsulte (8,4% vs. 9,7%), ein Überlebensvorteil war nicht erkennbar (Todesfälle: 6,2% vs. 6,5%). Nach den Subgruppenanalysen, die wegen der kleinen Patientenzahlen sehr vorsichtig interpretiert werden müssen, scheinen folgende Patienten besonders von der strengeren Zielvorgabe zu profitieren: Altersgruppe 65-75 Jahre, Körpergewicht ≥ 70 kg, Normotoniker, Diabetiker und Patienten, die an Zentren behandelt wurden, die eine gute LDL-C-Einstellung erzielen konnten (TTR = Zeit im therapeutischen Zielbereich > 50%). Hinsichtlich der Therapiesicherheit wurden in der LTGr mehr Hirnblutungen (1,3% vs. 0,9%) und mehr Diabetes-Neudiagnosen (7,2% vs. 5,7%) als in der HTGr registriert. Die Konfidenzintervalle waren jedoch weit, sodass dieser Nachteil statistisch nicht signifikant ist.
Diskussion: Die Autoren ziehen den Schluss, dass sich die Strategie eines niedrigen LDL-C-Zielwerts (< 70 mg/dl) nach einem Schlaganfall günstig auf die weitere kardiovaskuläre Morbidität auswirkt. Ob niedrigere LDL-C-Zielwerte noch günstiger sind, oder ob der hierdurch erzielbare Nutzen durch vermehrte unerwünschte Wirkungen (Hirnblutungen, Diabetes) wieder aufgehoben wird, könne die Studie nicht beantworten. Die neuen Lipidleitlinien der europäischen kardiologischen Gesellschaft lassen solche Bedenken außer Acht und fordern seit diesem Jahr bei der untersuchten Population (Personen nach Schlaganfall und dokumentierter Atherosklerose = „sehr hohes Risiko“) bereits ein LDL-C < 55 mg/dl (1). Im zugehörigen Editorial beklagt der Neurologe L. Wechsler aus Pittsburgh berechtigterweise die vielen Unsicherheiten (5). Er erinnert daran, dass die Wirkmechanismen der Statine noch immer nicht vollständig geklärt sind und dass es über die Cholesterinsenkung hinaus „pleiotrope“ und „neuroprotektive“ Effekte gebe, die ihre bessere Wirksamkeit gegenüber anderen Lipidsenkern erklären. Da die Nutzen-Risiko-Relation der sehr intensiven LDL-C-Senkung nach wie vor unsicher sei, habe sich „die scheinbar einfache Aufgabe, das Cholesterin zu senken, in ein kompliziertes Netz von Unsicherheiten über Wirkmechanismen, Dosierungen und Zielwerten verwandelt“. Wir möchten noch hinzufügen, dass die Therapieadhärenz wahrscheinlich umso stärker abnimmt, je ambitionierter die Therapieziele gesteckt sind. Außerhalb von Studien dürfte die Häufigkeit von Therapieabbrüchen deutlich > 30% sein. Es könnte sein, dass wenig evaluierte und in der Praxis kaum erreichbare Zielvorgaben Behandelnde und Behandelte gleichermaßen frustrieren und die Adhärenzproblematik verstärken können. Möglicherweise wird so das Kind mit dem Bade ausgeschüttet.
Fazit: Die randomisierte kontrollierte TST-Studie hat zwei verschiedene LDL-Cholesterin-Zielwerte in der Sekundärprävention nach Schlaganfall oder TIA bei Patienten mit atherosklerotischer Grunderkrankung untersucht. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass Patienten von niedrigeren LDL-C-Zielvorgaben (< 70 mg/dl) profitieren können. Allerdings erreichte nur jeder zweite Patient den niedrigen Zielwert, und bei einem weiteren Drittel wurde die Behandlung vorzeitig abgebrochen. Dies wirft die Frage auf, wie realistisch solche Vorgaben in der täglichen Praxis umgesetzt werden können. Zudem hat sich in dieser Studie erneut gezeigt, dass sehr niedrige LDL-C-Werte mit einer höheren Inzidenz von Diabetes und hämorrhagischen Insulten assoziiert sind.
Literatur
- Mach, F., et al.: Eur. Heart J. 2020, 41, 111. Link zur Quelle
- AMB 2015, 49, 88DB01. Link zur Quelle
- AMB 2019, 53, 73. Link zur Quelle
- Amarenco, P., et al. (TST = Treat Stroke to Target): N. Engl. J. Med. 2020, 382, 9. Link zur Quelle
- Wechsler, L.R.: N. Engl. J. Med. 2020, 382, 81. Link zur Quelle