Mit einer wichtigen praktischen Frage, nämlich inwieweit Insuline hitzebeständig sind, befasste sich eine aktuell im Open-Access-Journal PLoS ONE online publizierte Arbeit (1). Handelsübliche Insuline sollten, den Herstellerempfehlungen entsprechend, bei Kühlschranktemperatur, d.h. um 4°C (2-8 C°) gelagert und nach erstmaligem Gebrauch innerhalb von 4-6 Wochen verbraucht werden; während dieser Zeit sollten Insuline weiter im Kühlschrank oder nicht > 25-30°C gelagert werden (unterschiedliche Angaben je nach Hersteller). Diese Temperaturgrenzen können Diabetespatienten – manchmal auch in unseren Breiten – vor logistische Herausforderungen stellen. In Regionen mit heißem Klima und limitierter Infrastruktur sind sie aber von besonderer Bedeutung. Ab Temperaturen > 40°C fällt Insulin aus und sollte dann keinesfalls mehr verwendet werden (Wirkungsverlust, Verstopfung von Kanülen und Kathetern).
Die von der Universität Genf in Zusammenarbeit mit der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (Médecins Sans Frontières = MSF) durchgeführte Studie simulierte unter Laborbedingungen die Verhältnisse in einem Flüchtlingslager in Nord-Kenia mit fluktuierenden Temperaturen zwischen 25°C nachts und 37°C tagsüber. Untersucht wurde, wie sich diese Bedingungen während des üblichen Gebrauchszeitraums von 28 Tagen auf Stabilität (überprüft mittels wöchentlicher Flüssigchromatographie), physikalische Struktur (Cirkulardichroismus-Spektroskopie), Bioaktivität (insulin-stimulierte Glukoseverwertung in Hepatozyten-Kultur) und visuelles Erscheinungsbild (Farbveränderungen, Ausfällung) verschiedener Insuline auswirken (3 von MSF verwendete Humaninsuline und 4 Analoga). In keiner dieser Kategorien und für keines der untersuchten Insuline wurden bis zum Ablauf der 28 Tage Unterschiede im Vergleich zu einer Lagerung bei 4°C festgestellt. Es wurde von den Autoren dann entschieden, die Beobachtungszeit auf 12 Wochen zu verlängern. Auch nach diesem Zeitraum konnten keine Unterschiede nachgewiesen werden.
Insulin-Lösungen können diesen vorläufigen Ergebnissen zufolge nach erstmaligem Gebrauch und Entnahme aus dem Kühlschrank bei wechselnd hohen Temperaturen bis 37°C, d.h. ohne Kühlschrank, mindestens bis zu 4 Wochen (wahrscheinlich sogar länger) verwendet werden, ohne dass die Qualität nachlässt. Die Hitzestabilität ist somit deutlich höher, als es den Herstellerangaben aller handelsüblichen Insuline entspricht. Für die gesundheitliche Versorgung in entlegenen Gebieten hat dies sicher Vorteile. Patienten müssen nicht täglich große Strecken zurücklegen oder sogar in die Nähe einer Gesundheitseinrichtung übersiedeln, sondern können sich im häuslichen Umfeld Insulin spritzen, auch wenn kein Kühlschrank vorhanden ist. Aber auch in entwickelten Ländern hat dies Vorteile, etwa bei längeren Reisen oder wenn Insulin aus Versehen, bei Unfällen oder in Katastrophensituationen einer höheren Temperatur ausgesetzt wird (2).
Diese Schlussfolgerungen gelten naturgemäß nur für Temperaturen, bei denen die Tertiärstruktur des Insulins nicht irreversibel zerstört wird, wie es in dieser Studie nachgewiesen wurde. Andere als die bisher in Studien untersuchten Temperaturbereiche sowie andere tageszeitliche Temperaturschwankungen müssen in weiteren Studien für verschiedene Insuline untersucht werden. Eine auf solchen Analysen basierende Änderung oder Ergänzung der Fachinformationen halten wir im Hinblick auf die genannten Vorteile für angebracht.
In der Genfer Studie zeigten alle untersuchten Insuline nach Lagerung bei einer durchgehenden Temperatur von 31°C nach 4 Wochen erste Stabilitätsverluste und nach 8 Wochen waren sie so degradiert, dass die Voraussetzungen für eine klinische Anwendung nicht mehr erfüllt waren. Zwei von der WHO als „essenziell“ eingestufte Insuline wurden zusätzlich bei 37°C inkubiert und erwiesen sich bereits nach einer Woche als unbrauchbar. Insulinpumpen, bei denen das Insulin durchgehend der Körpertemperatur ausgesetzt ist, sollten daher unbedingt innerhalb der in den aktuellen Gebrauchsinformationen genannten Fristen ausgetauscht werden.
Grundsätzlich sollte bei allen Insulinen eine durchgehende Kühlkette bis zum erstmaligen Gebrauch bzw. Beginn des mehrwöchigen Gebrauchszeitraums eingehalten werden. Auf keinen Fall sollte eine Insulin-Lösung verwendet werden, die makroskopisch erkennbare Ausfällungen enthält. Dasselbe gilt für versehentlich eingefrorenes Insulin. Deshalb sollte Insulin auch nicht in der Nähe eines Gefrierfachs oder von Kühlelementen gelagert werden.
Fazit: Insuline können nach Ergebnissen dieser Studie ohne Wirkungsverlust vorübergehend bei deutlich höheren Temperaturen gelagert werden als bisher angenommen und von den Herstellern angegeben. Dies erleichtert die Logistik insbesondere in Regionen mit heißem Klima und eingeschränkter Infrastruktur. Man darf gespannt sein, ob die pharmazeutischen Unternehmer bzw. die Zulassungsbehörden die Fachinformationen ändern, falls sich die Ergebnisse bestätigen.
Literatur
- Kaufmann, B., et al.: PLoS ONE 2021, 16, e0245372. Link zur Quelle
- Tucker, M.E.: Link zur Quelle