Frage von J.S. aus S.: >> Eine 80-jährige Patientin mit Rheumatoider Arthritis erhält seit 18 Jahren 5 mg/d Methylprednisolon (Urbason®). Sie ist adipös (BMI 31 kg/m2) und hat wegen einer Hüftfraktur vor 5 Jahren eine Hüft-TEP erhalten. Seit über 10 Jahren erhält sie ein Bisphosphonat (Risedronat 35 mg 1x/Woche), sowie täglich ein Kombinationspräparat mit Kalziumkarbonat (1.500 mg = 600 mg Kalzium) und Colecalciferol (Vitamin D3; 400 I.E. = 10 µg). Nun wurden Verkalkungen an der Aortenklappe und an einem Mitralklappensegel festgestellt, mit Aortenstenose Grad 1 und Mitralinsuffizienz Grad 1. Der behandelnde Kardiologe stellt die Indikation für das Kalzium- und das Bisphosphonat in Frage und empfiehlt im Hinblick auf die Klappenverkalkungen ein Statin. Was ist von diesen Empfehlungen zu halten? <<
Antwort: >> Ein Zusammenhang zwischen Arzneimitteln und der Entstehung von Herzklappenerkrankungen wurde zunächst für bestimmte Anorektika (z.B. Fenfluramin) und die zur Migränebehandlung verwendeten Mutterkornderivate Ergotamin und Methysergid erkannt (vgl. 1). Später kamen auch noch einige Anti-Parkinson-Medikamente hinzu, insbesondere Pergolid und Cabergolin (vgl. 2). Alle genannten Medikamente stimulieren einen an der Aorten- wie auch der Mitralklappe vorhandenen Serotonin-Rezeptor (5-HT2B). Über diesen werden Fibroblasten aktiviert und ein sklerotischer Gewebeumbau induziert. Der Pathomechanismus wird mit dem beim Karzinoid-Syndrom verglichen. Andere häufig verordnete serotoninerge Wirkstoffe wie Antidepressiva und Antipsychotika haben keine nachgewiesenen schädlichen Wirkungen auf die Herzklappen. Dies wird auf ihre geringe Affinität zum 5-HT2B-Rezeptor zurückgeführt. Weitere Arzneimittel, die zumindest mit Aortenklappensklerosen in Zusammenhang gebracht werden, sind der Gerinnungshemmer Argatroban, der Gallensäurebinder Colesevelam, das Somatostatin-Analogon Lanreotid, das Amantadin-Derivat Memantin, sowie die NSAID Naproxen und Valdecoxib (Recherche bei 3).
Für Kalzium und Vitamin D ist in den empfohlenen und bei der geschilderten Patientin verwendeten Dosierungen keine Assoziation mit atherosklerotischen kardiovaskulären Erkrankungen nachgewiesen. Hochdosierte Einnahmen von Kalzium (> 1.000 mg/d) erhöhen zwar das Risiko für Nephrolithiasis, aber sehr wahrscheinlich nicht für Gefäß- oder Klappensklerosen. In der Leitlinie der europäischen kardiologischen Gesellschaft (ESC) zu Klappenerkrankungen aus dem Jahr 2021 werden auf insgesamt 50 Seiten weder Vitamin D noch Bisphosphonate erwähnt (4). Zum Kalziumstoffwechsel und zu Statinen findet sich dort nur die Mitteilung: „Arzneimittel beeinflussen den natürlichen Verlauf der Aortenklappenstenose nicht. Statine, die in präklinischen Studien günstige Wirkungen gezeigt haben, haben keinen Einfluss auf das Fortschreiten der Krankheit. Klinische Studien, die auf die Stoffwechselwege von Kalzium abzielen, laufen.“
Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Bisphosphonaten und Klappensklerosen ist also nicht bekannt. Es gibt sogar Studien, in denen versucht wurde, die Progredienz einer Aortenstenose mit einem Bisphosphonat aufzuhalten. Im Juni wurde die SALTIRE-II-Studie von der University of Edinburgh publiziert (5). In dieser monozentrischen, plazebokontrollierten Studie wurden 150 Patienten (mittleres Alter 72 Jahre, 21% Frauen) mit kalzifizierender Aortenstenose doppelblind entweder mit dem RANKL-Antikörper Denosumab (60 mg sc., alle 6 Monate; n = 49) vs. Plazebo-Injektionen (n = 25) behandelt oder mit Alendronsäure (70 mg einmal wöchentlich per os; n = 51) vs. Plazebo-Kapseln (n = 25). Primärer Studienendpunkt war die Veränderung des Aortenklappen-Kalzium-Scores über 2 Jahre, sekundärer Endpunkt u.a. die maximale Fließgeschwindigkeit des Bluts an der Aortenklappe („peak aortic jet velocity“ = Pmax). Ausgangswerte waren ein Kalk-Score von 1.152 Einheiten und eine echokardiografisch gemessene Pmax von 3,36 m/s. Es fanden sich am Ende der Studie keine Unterschiede beim Verkalkungsgrad, weder zwischen Denosumab und Plazebo (Zunahme um +343 vs. +354 Einheiten) noch zwischen Alendronsäure und Plazebo (+326 vs. +354 Einheiten). Ebenso fanden sich keine Unterschiede bei der Zunahme der Pmax.
Somit gibt es derzeit keine Hinweise darauf, dass Arzneimittel, die auf den Knochenstoffwechsel abzielen, den Verlauf degenerativer Erkrankungen der Herzklappen beeinflussen können, weder positiv noch negativ. Insofern ist bei der geschilderten Patientin aus unserer Sicht nicht zu empfehlen, Kalzium und Vitamin D abzusetzen. Über eine Dauertherapie mit dem Bisphosphonat sollte aus anderen Gründen nachgedacht werden (z.B. „frozen bone“; vgl. 6). Eine weitere Einnahme hat sehr wahrscheinlich keinen Einfluss auf die Klappenverkalkungen. Das gilt auch für die Einnahme von Statinen, für die in mehreren Studien kein günstiger Einfluss auf den Verlauf von Aortenstenosen nachgewiesen werden konnte (7-9). <<
Literatur
- AMB 1998, 32, 87b. Link zur Quelle
- AMB 2007, 41, 30. Link zur Quelle
- http://sideeffects.embl.de/ Link zur Quelle
- https://www.escardio.org/Guidelines/Clinical-Practice-Guidelines/ 2021-Valvular Heart-Disease Link zur Quelle
- Pawade, T.A., et al. (SALTIRE II = Scottish Aortic stenosis and Lipid lowering Trial, Impact on REgression II): Circulation 2021, 143, 2418. Link zur Quelle
- AMB 2014, 48, 53b. Link zur Quelle
- Cowell, S.J., et al. (SALTIRE = Scottish Aortic stenosis and Lipid lowering Trial, Impact on REgression): N. Engl. J. Med. 2005, 352, 2389. Link zur Quelle
- Chan, K.L., et al. (ASTRONOMER = Aortic STenosis pRogression Observation: Measuring Effects of Rosuvastatin): Circulation 2010, 121, 306. Link zur Quelle
- Rossebø, A.B., et al.: (SEAS = Simvastatin and Ezetimib in Aortic Stenosis): N. Engl. J. Med. 2008, 359, 1343. Link zur Quelle