Die fixe Kombination von Sacubitril und Valsartan (S/V; Entresto®) ist seit 2015 für erwachsene Patienten mit symptomatischer, chronischer Herzinsuffizienz und reduzierter Ejektionsfraktion (HFrEF) zugelassen [1]. Sacubitril hemmt Neprilysin, eine ubiquitär vorkommende Endopeptidase, die u.a. natriuretische Peptide abbaut. Daraus resultieren eine stärkere Natriurese und Diurese. S/V ist der bislang einzige zugelasse ARNI und spielt in der Stufentherapie der Herzinsuffizienz eine Rolle (s.u.).
Nach der NVL „Chronische Herzinsuffizienz“ aus dem Jahr 2019 (S3-Leitlinie, letzte Aktualisierung September 2021; [2]) sollen Patienten mit symptomatischer Herzinsuffizienz in den klinischen Klassen II-IV nach NYHA und deutlich reduzierter linksventrikulärer Auswurffraktion (LVEF ≤ 40%) nach einem Stufenschema behandelt werden.
Stufe 1: Alle Patienten mit HFrEF sollen einen ACE-H bis zur höchsten in Studien ermittelten Zieldosis erhalten, oder, falls diese nicht erreicht werden kann, in der maximal tolerierten Dosis. Bei Unverträglichkeit soll ein AT-II-RB gegeben werden. Weiterhin sollen alle symptomatischen Patienten mit HFrEF bei Fehlen von Kontraindikationen einen Betablocker (BB) erhalten. Patienten mit Zeichen einer Flüssigkeitsretention erhalten darüber hinaus Diuretika.
Stufe 2: Patienten, die weiter symptomatisch bleiben, sollen zusätzlich einen Mineralokortikoid-Rezeptor-Antagonisten (MRA, z.B. Spironolacton) erhalten. Die Patienten sollen aufgrund des Hyperkaliämierisikos in der Einstellungsphase engmaschig, danach mindestens viermonatlich eine Laborkontrolle erhalten.
Stufe 3: Patienten, die trotzdem weiter symptomatisch bleiben, sollen entweder einen SGLT2-Inhibitor (Sodium-Glucose Linked Transporter 2, z.B. Empagliflozin, Dapa-gliflozin, vgl. [3]) oder einen ARNI (im Austausch mit dem ACE-H bzw. AT-II-RB) erhalten. Welcher dieser beiden Wirkstoffe verordnet wird, soll nach klinischen Gesichtspunkten (Komorbiditäten, Nebenwirkungen, Erfahrung der Behandelnden) entschieden werden.
Stufe 4: Bleiben Patienten auch dann noch symptomatisch, können sie zusätzlich noch mit dem anderen Wirkstoff aus Stufe 3 behandelt werden, also ARNI plus SGLT2-Inhibitor. Zur Wirksamkeit dieser Kombination gibt es aber nach unserem Wissen keine Studienergebnisse.
Für S/V wurde von den Autoren der NVL eine systematische Literaturrecherche durchgeführt. Als Belege für die Wirksamkeit wurden eine randomisierte kontrollierte Studie (PARADIGM-HF, s.u.), Daten aus der klinischen Praxis und nicht randomisierten kontrollierten Studien zu patientenrelevanten Endpunkten herangezogen. Die Leitliniengruppe bewertete diese Daten aber als nicht ausreichend valide, um eine Empfehlung zur Initialtherapie mit ARNI auszusprechen. Da die zur Verfügung stehenden Wirkstoffe bislang nicht miteinander verglichen wurden, lasse sich nicht abschätzen, ob alle Optionen gleichwertig sind und welche Patienten von welchem Medikament am ehesten profitieren. Deshalb gibt es eine starke Empfehlung für das Prinzip der Therapieeskalation mit einer individuellen Wahl des Wirkstoffs unter Berücksichtigung der individuellen Situation der Patienten und der klinischen Beurteilung.
Die ESC bewertet die vorliegenden Studiendaten anders und kommt zu anderen Empfehlungen. Sie hat in ihren methodisch deutlich schwächeren Herzinsuffizienz-Leitlinien von 2021 [4], die maximal S2k-Niveau haben und deren Entstehungs- und Bewertungsprozess intransparent ist, den ARNI auf die gleiche Stufe wie die ACE-H gehoben und präferiert diesen sogar („an ARNI may be considered as a first-line therapy instead of an ACE-I“; Empfehlungsstärke 1, Evidenzgrad B). Weiterhin verlässt die ESC-Leitlinie die symptomgesteuerte Stufentherapie und empfiehlt nun bei Patienten mit HFrEF in den klinischen NYHA-Klassen II-IV bereits zu Beginn die Gabe möglichst von allen vier „Disease Modifying Drugs“, also ACE-H oder ARNI plus MRA plus BB plus SGLT2-Hemmer. Dazu kommt noch ein Diuretikum bei Überwässerung. Dies wird von einigen Kardiologen neuerdings auch als „Quadruple Therapy“ der Herzinsuffizienz bezeichnet. Da eine solche „All-in“-Behandlung Risiken birgt (v.a. Hypotensionen, Nierenfunktionsstörungen und Hyperkaliämien), wird empfohlen, die Therapie unter stationären Bedingungen zu beginnen und auf die Zieldosen nach Entlassung zu titrieren. Eine zufriedenstellende Begründung für diesen als „neuen, vereinfachten Behandlungsalgorithmus“ bezeichneten Weg, findet sich in der ESC-Leitlinie nicht. Ebenso fehlt eine Diskussion zum Vorgehen bei älteren und multimorbiden Patienten oder bei komplexer Komedikation. Es fehlt auch ein Vorschlag zur Reduktion der Therapie nach klinischer Besserung. Immerhin werden im Kapitel 16 der Leitlinie („Gaps of Evidence“) pragmatische Studien zur Reihenfolge der Verordnung dieser Wirkstoffe vorgeschlagen, sowie pro-spektive klinische Studien an Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion und zum Vorgehen, sollte sich die reduzierte linksventrikuläre Funktion wieder erholen.
Aus unserer Sicht ist besonders die Aufwertung der ARNI durch die ESC nicht nachzuvollziehen. Begründet wird dies in der Leitlinie mit einer einzigen Studie aus dem Jahre 2014 (PARADIGM-HF; [5]). An dieser Studie gibt es mehrere Kritikpunkte und daher Zweifel an ihrer internen und externen Validität. Dazu zählen u.a. die geringere Wirksamkeit in den NYHA-Klassen III und IV und bei älteren Patienten mit HFrEF (vgl. [5]). Außerdem bestehen nach wie vor Bedenken hinsichtlich einer Begünstigung von Demenz durch S/V: Sacubitril hemmt den Abbau von Amyloid [6]. Pharmakovigilanz-Daten aus den USA weisen außerdem darauf hin, dass das Problem des „Kinin-Hustens“ zurückkehren könnte, da Sacubitril auch den Bradykinin-Abbau hemmt [7].
Weitere Zweifel an der Rechtfertigung des „Upgrades“ von ARNI in der ESC-Leitlinie ergeben sich aus der Tatsache, dass es kein zweites bzw. kein unabhängiges RCT gibt, das den Nutzen von ARNI gegenüber ACE-H bestätigt. In einem kürzlich veröffentlichten kleineren japanischen RCT mit dem Akronym PARALLEL-HF wurde ein sehr ähnliches Studiendesign gewählt [8]. 255 Patienten mit HFrEF erhielten entweder S/V oder Enalapril. Nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 33,9 Monaten fand sich kein Unterschied zwischen den beiden Gruppen: der kombinierte Endpunkt kardiovaskulärer Tod und Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz trat mit S/V bei 27% und mit Enalapril bei 25% der Patienten auf (HR: 1,09; CI: 0,65-1,82; p = 0,62). Es fanden sich auch keine Unterschiede in der NYHA-Klasse und dem „Kansas City Cardiomyopathy Questionnaire“ (KCCQ) zur Erhebung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität nach 8 Wochen und 6 Monaten. Nur Hypotensionen wurden unter S/V signifikant häufiger beobachtet als mit Enalapril (11,7% vs. 4,5%).
Und noch ein Punkt nährt das Misstrauen in die Empfehlungen der ESC. Die Leitlinienautoren haben – wie schon in vielen anderen Leitlinien dieser Fachgesellschaft – erhebliche Interessenkonflikte mit pU und Medizintechnikfirmen (vgl. [9]). Die Mehrzahl (19 von 31) hat einen Interessenkonflikt mit dem pU von S/V. Allerdings haben auch viele kardiologische Experten der NVL Interessenkonflikte durch finanzielle Beziehungen mit pU [10].
Blickt man auf die letzten sechs Jahre zurück, so ist festzustellen, dass sich S/V zunächst kaum durchsetzen konnte. Zudem zeigten Marktanalysen, dass die empfohlene Zieldosis in der „realen Welt“ (vgl. [11]) wegen Verträglichkeitsproblemen nur bei einem Fünftel der Patienten erreicht wurde. Bei zwei Dritteln wird die Anfangsdosis über Monate nicht mehr erhöht (vgl. [12]). Die Situation änderte sich nach Publikation der PIONEER-HF-Studie im Jahr 2019 (vgl. [13]). In dieses, ebenfalls vom pU initiierte und finanzierte multizentrische doppelblinde RCT wurden ausschließlich hospitalisierte Patienten mit akut dekompensierter Herzinsuffizienz eingeschlossen. Erneut wurde S/V mit Enalapril verglichen. Endpunkt der Studie war aber diesmal ein Surrogatparameter: die Senkung des NT-proBNP-Werts innerhalb von 8 Wochen. Unter S/V kam es zu einem Abfall um 46,7% und unter Enalapril um 25,3%. Nicht
signifikant waren die Unterschiede bei Tod, Rehospitalisierung wegen Herzinsuffizienz, zusätzlicher Verordnung von Herzinsuffizienz-Medikamenten oder Erhöhung der Diuretikadosis. Für diese Endpunkte war die Studie aber nicht ausreichend statistisch gepowert. Immerhin erwies sich die Therapie mit S/V bei diesen schwerkranken Patienten als sicher. Es kam im Vergleich zu Enalapril nicht häufiger zur Verschlechterung der Nierenfunktion, Hyperkaliämien oder symptomatischen Hypotensionen.
Trotz dieser wenig überzeugenden Vorteile wurde S/V nach Publikation von PIONEER-HF an vielen Kliniken nun bevorzugt bei HFrEF eingesetzt, und die Verordnungszahlen stiegen deutlich an: Im Jahr 2018 wurden in Deutschland noch 19,5 Mio. DDD verordnet und 2020 bereits 51 Mio. DDD [14]. S/V zählte auf dem deutschen Arzneimittelmarkt 2020 mit 272,7 Mio. € zu den 20 führenden Arzneimitteln nach Nettokosten, und weltweit ist S/V für den pU mittlerweile ein Blockbuster mit Umsatzsteigerungen von 42% zwischen 2020 und 2021 [15].
Zwei neue RCT sollten die Euphorie und das Vertrauen in die Empfehlungen hinsichtlich der Therapie mit ARNI bzw. S/V jedoch mindern. In der LIFE-Studie wurde S/V gegen den AT-II-RB Valsartan bei hospitalisierten Patienten mit schwerer HFrEF in der NYHA-Klasse IV und einer LVEF ≤ 35% geprüft [16]. Diese Patienten fehlten in der PARADIGM-HF-Studie. Die Studienleitung hatte der 92-jährige Eugene Braunwald.
Zu den Ausschlusskriterien zählten u.a. eine eGFR < 20 ml/min/1,73 m2 und ein systolischer RR < 90 mm Hg. Geplant war, 400 Personen einzuschließen. Wegen der Corona-Pandemie wurde die Rekrutierung im März 2020 vorzeitig abgebrochen. Die Patienten erhielten die Studienmedikation erst nach einer „Run-In-Phase“ zur Verträglichkeitsprüfung. Nur Patienten, die zweimal 50 mg/d S/V vertrugen, wurden eingeschlossen, wobei 72 von 409 (17,6%) an dieser Hürde scheiterten. Letztlich wurden 335 randomisiert. Ihr mittleres Alter lag bei 59,3 Jahren, 27% waren Frauen. Zieldosis war zweimal 200 mg/d S/V bzw. zweimal 160 mg/d Valsartan. Die mediane Tagesdosis betrug zuletzt 178,4 mg S/V und 138,6 mg Valsartan. Das ist weniger als die Hälfte der Zieldosis und liegt deutlich unter der erreichten S/V-Dosis in PARADIGM-HF (375 mg/d). S/V wurde im Studienverlauf zudem von 29% der Teilnehmer wieder abgesetzt, Valsartan von 21%. Diese Zahlen zeigen, wie kompliziert die Behandlung der HFrEF sein kann, speziell mit einem ARNI.
Der primäre Effektivitätsendpunkt in dieser Studie war der Verlauf der „Area Under the Curve“ (AUC) von NT-proBNP nach 2, 4, 8, 12 und 24 Wochen, also auch wieder nur ein Surrogatendpunkt. Dieser war unter V/S nahezu gleich wie unter Valsartan. Bei dem sekundären klinischen Endpunkt, der Kombination von Zahl der Tage am Leben, außerhalb des Krankenhauses und ohne Herzinsuffizienz-Ereignisse (147,0 unter S/V vs. 157,0 unter Valsartan) gab es keine statistisch signifikanten Unterschiede. Mit S/V wurden mehr Hyperkaliämien beobachtet (17% vs. 9%; p = 0,04), aber ansonsten keine weiteren Signale hinsichtlich der Sicherheit festgestellt.
Auch die PARADISE-MI-Studie führte zu enttäuschenden Ergebnissen für S/V [17]. Es wurden 5.661 Patienten ohne Herzinsuffizienz in der Vorgeschichte mit akutem Myokardinfarkt und reduzierter LVEF (≤ 40%) und/oder Lungenstauung und mindestens einem von 8 Risikofaktoren für die Entwicklung einer chronischen HFrEF eingeschlossen. Die Hypothese der Studienautoren war, dass es nach einem größeren Herzinfarkt mit einer frühen Therapie mit S/V seltener zu einer symptomatischen Herzinsuffizienz oder kardiovaskulär bedingten Todesfällen kommt (kombinierter primärer Endpunkt).
Die Randomisierung fand im Mittel 4,3 Tage nach dem Infarkt statt. Die Patienten sollten als Zieldosis zweimal 200 mg/d S/V oder zweimal 5 mg/d Ramipril erhalten. Die Studie verzichtete auf eine „Run-In-Phase“ zur Verträg-
licheitsprüfung. Patienten, die mit einem ACE-H oder AT-II-RB vorbehandelt waren (78%), mussten diesen 36 h zuvor absetzen, um das Risiko eines Angioödems zu vermindern. Ziel war es, die Studienmedikation auf die höchste Dosis zu titrieren. Dies wurde nur von jedem zweiten Patienten erreicht (50,8% mit S/V und 56,7% mit Ramipril). Die Studienmedikation wurde von knapp jedem Fünften im Laufe der Studie wieder abgesetzt (S/V: 17,7%; Ramipril:18,3%), meist wegen Nebenwirkungen (12,6% bzw. 13,4%). Die eingeschlossenen Patienten waren vergleichsweise jung, im Mittel 63,7 Jahre alt, und 24,1% waren Frauen.
Während einer medianen Nachbeobachtungszeit von 22 Monaten traten im S/V-Arm 338 primäre Endpunktereignisse auf (137 kardiovaskuläre Todesfälle, 164 Hospitalisierungen und 37 ambulante Behandlungen wegen Herzinsuffizienz) und im Ramipril-Arm 373 Ereignisse (entsprechend 136, 187 und 50). Dieser Unterschied war nicht signifikant (11,9% vs. 13,2%; HR: 0,90; CI: 0,78-1,04; p = 0,17). Hypotensionen waren unter S/V signifikant häufiger (28,3% vs. 21,9%). Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass diese Studienergebnisse gegen eine Therapie mit einem ARNI in der Frühphase eines akuten Myokardinfarkts sprechen.
DER ARZNEIMITTELBRIEF empfiehlt, sich bei der Behandlung von Patienten mit HFrEF weiter an die Empfehlungen der deutschen NVL zu halten und sie nach dem aufgeführten Stufenschema zu behandeln. Eine Indikation für S/V sehen wir nach den vorliegenden Studienergebnissen in erster Linie bei jüngeren Patienten mit HFrEF in der NYHA-Klasse II. Bei diesen sollte S/V dann aber auch konsequent aufdosiert werden. Wir schätzen die Studienlage zu den SGLT2-Hemmern jedoch derzeit als überzeugender ein. Die gleichzeitige Behandlung mit einem SGLT2-Hemmer und S/V, wie in den ESC-Leitlinien empfohlen, kann derzeit nicht überzeugen. Diese Kombination muss in ihrer Wirksamkeit und Verträglichkeit erst in einem RCT gegen SGLT2- und ACE-H getestet werden.