>> Als niedergelassener Hämatologe erreichte mich vor kurzem eine persönlich adressierte Umfrage zur Anämiebehandlung bei Tumorpatienten eines Unternehmens der Marktforschung. „Mitmachen lohnt sich! – Ihre Erfahrungen mit Erythropoietinen und Transfusionen bei Tumorpatienten” war die Überschrift. Im Anschreiben hieß es unter anderem: „Um Produktentwicklungen den klinischen Bedürfnissen bestmöglichst anzupassen und Erfahrungen in diesem Bereich zu bündeln, benötigen wir Ihre Erkenntnisse und Meinungen zu dieser Thematik – hier sind insbesondere Erfahrungen beim Vergleich von Transfusionen und Erythropoietinen relevant.”
Der Fragebogen selbst umfasste drei Seiten und 22 Fragen. Dabei erwünscht sich das Marktforschung-Unternehmen genaue Angaben über das Transfusionsverhalten, z.B. Hämoglobin(Hb)-Triggerwert für Transfusionen und für die Gabe von Erythropoietinen, Häufigkeit der Hb-Kontrollen und der Einbestellung von Tumorpatienten unter laufender Therapie, Zahl der Transfusionen pro Monat, Schwierigkeiten bei der „Bereitstellung bestimmter Blutgruppen”. Weitere Fragen betrafen Entscheidungskriterien zur Abwägung zwischen Transfusion und Erythropoietin (Kostengesichtspunkte, Verlauf Hb-Wert unter Therapie, Aufwand der Handhabung), die Steuerbarkeit der Therapie mit Transfusionen bzw. mit Erythropoietin (bei wöchentlicher oder dreiwöchentlicher Darreichung) und zu (guter?) Letzt, mit welcher Therapie bisher die besten Erfahrungen gemacht worden sind (Möglichkeiten der Antwort: Aranesp®, NeoRecormon®, Transfusion, Andere).
Bemerkenswert an dieser Anfrage ist, dass sie eine Zuordnung der Antworten zu meiner Person ermöglichte, da eine Anonymisierung nicht stattfand. Die Beantwortung der Fragen hätte ein exaktes Abbild meines Verordnungsverhaltens ergeben. Darüber hinaus wurde spezifisch auf nur zwei von drei zugelassenen Erythropoietin-Präparaten zur Behandlung der Tumoranämie abgehoben. Ist wirklich nur die „bestmögliche Anpassung von Produktentwicklungen” das Ziel dieses Fragebogens? Beim „Bündeln der Erfahrungen” sind doch sicherlich auch die mit Erypo® von Interesse. Oder verfolgt dieses Marktforschung-Unternehmen die Interessen von Amgen (Aranesp®), Roche (NeoRecormon®) oder gar die von Janssen-Cilag (Erypo®), um bei für Erythropoietin negativen Antworten verkaufsfördernde Argumente anbieten zu können? Oder schießt sie ins Blaue, um Informationen sowie deren Auswertung dann an die pharmazeutische Industrie meistbietend zu verkaufen?
Als „kleines Dankeschön” für das Ausfüllen des Fragebogens wurde ein Büchergutschein in Höhe von 20 EUR angeboten. Abgesehen von der Tatsache, dass die meisten medizinischen Fachbücher deutlich mehr kosten – und zum Lesen anderer Literatur bleibt ja leider kaum Zeit -, kann man mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass die pharmazeutische Industrie für die so gewonnenen Informationen ein Vielfaches dieses Betrages zahlt. Das offensichtlich nicht anders erhältliche Wissen (das ich auch der pharmazeutischen Industrie niemals in dieser Form und Ausführlichkeit mitteilen würde) ist auf dem Markt Gold wert.
Ich kann nur hoffen, dass Anfragen von dieser plumpen Machart von uns Ärzten so behandelt werden, wie ich es nach dem Schreiben dieses Leserbriefs an den ARZNEIMITTELBRIEF getan habe. Ich habe sie unbeantwortet zum Papiermüll gegeben, damit wenigstens nach dem Recycling etwas Lohnendes herauskommt. <<
Kommentar der Redaktion: >> Niedergelassene Ärzte, aber auch Klinikärzte, erreichen immer häufiger derartige Anfragen von Unternehmen der Marktforschung. Wer sich hinter Namen wie z.B. „primus swot”, „Fieldwork International” oder „all global” verbirgt, bleibt häufig unklar. Meistens sind es vermutlich pharmazeutische Unternehmer. Ein wesentliches Ziel der Fragebögen ist es, detaillierte Informationen zu Therapiestrategien in speziellen Situationen zu erhalten, um das Verschreibungs- bzw. Verordnungsverhalten der Ärzte noch besser beeinflussen zu können. Als „kleines Dankeschön” werden z.B. Geldbeträge (in der Regel zwischen 20 und 300 EUR), Weinpräsente oder, für sozial engagierte Ärzte, Spenden für karitative Organisationen angeboten. Auch Pharmamarketing über elektronische Medien wird immer wichtiger, wie Beiträge auf der ersten europäischen Konferenz medizinischer Internetportale (European Medical Portal Conference, EMPC) zeigten. So ergab z.B. eine Studie des britischen Medizinportals Onmedica, dass die Zahl der verschreibenden Ärzte für ein Medikament, das vor einem Jahr zugelassen und über elektronische Medien intensiv beworben wurde, durch elektronische Details um 150% und die Zahl der Rezepte pro Arzt um 400% angehoben werden konnte (1). Unabhängige Informationen über neue Arzneimittel und Therapiestrategien werden deshalb immer wichtiger. <<
Literatur