Die Entwicklung dieser neuen Therapeutika geht im wesentlichen auf grundlegende Untersuchungen der deutschen Arbeitsgruppe von Creutzfeldt et al. in Göttingen aus den 80er Jahren zurück (1). Dabei konnte gezeigt werden, dass oral verabreichte Glukose zu einer deutlich stärkeren Insulinantwort führt als eine intravenöse Gabe. Dieser Effekt konnte der enteralen Sekretion spezieller Hormone, den so genannten Inkretinen, zugeschrieben werden. Unter zahlreichen Inkretinen (diese regulieren vor allem die Darmtätigkeit, die Sekretion von Magensäure und Pankreasenzymen, die Gallenblasenkontraktion und die Resorption von Nährstoffen) zeigten vor allem GLP-1 (Glucagon-like peptide-1) und GIP (Glucose-dependent insulinotropic polypeptide) eine deutliche insulinotrope Wirkung.
Im Vordergrund der neuen therapeutischen Entwicklung steht vor allem die physiologische Wirkung von GLP-1, das in den L-Zellen des distalen Ileums und Kolons produziert wird.
Die antihyperglykämische Wirkung von GLP-1 resultiert aus folgenden Mechanismen (2):
· Verstärkung der postprandialen Insulinantwort der Beta-Zellen,
· Stimulation der Beta-Zell-Proliferation und Inhibition der Beta-Zell-Apoptose,
· Hemmung der Glukagonsekretion,
· Verzögerung der Magenentleerung,
· Appetithemmung,
· vermehrte periphere Glukoseutilisation über neuronale Mechanismen.
In diesem Zusammenhang ist bedeutsam, dass die physiologische Wirkung von GLP-1 nur glukoseabhängig erfolgt, so dass im Nüchternzustand keine signifikante Wirkung und daher keine Gefahr für eine Hypoglykämie besteht.
Die ersten Interventionsversuche mit GLP-1 waren von besonderem Interesse, da sich zeigte, dass infundiertes GLP-1 aufgrund des raschen Abbaus im Serum durch die Dipetidyl-Peptidase-IV (DPP-IV) nur eine Halbwertszeit von wenigen Minuten hat. Deshalb richtete sich die klinische Forschung auf GLP-1-Analoga (z.B. Exenatid, Liraglutid), die nicht rasch von der DPP-IV inaktiviert werden sowie auf Inhibitoren der DPP-IV (z.B. Sildagliptin, Vildagliptin).
GLP-1-Analoga: Exenatid (Byetta®; synthetisches Exendin-4 mit 50% Homologie zu GLP-1; Fa. Lilly; Tagestherapiekosten 3,93 EUR) wurde aus dem Speichel von Echsen (Gila-Monster) isoliert. Es hat eine Halbwertszeit von 60-90 Minuten, so dass eine subkutane Injektion etwa 4-6 Stunden wirkt (3). Die initiale Dosis beträgt zweimal 5 µg/d, die dann nach vier Wochen auf zweimal 10 µg/d gesteigert wird. In Phase-III-Studien (4-7) kam es in Kombination mit oralen Antidiabetika zu einer zusätzlichen Senkung des HbA1C von etwa 1-1,75 Prozentpunkten und zu einer Gewichtsabnahme von 4-5 kg über einen Zeitraum von 80 Wochen. Typisch sind gastrointestinale UAW: Nausea, selten Erbrechen oder Diarrhö. Nausea tritt vor allem bei Therapiebeginn bei bis zu 50% der Patienten auf, nimmt aber nach den ersten Wochen deutlich ab. Bei 5% der Patienten muss die Therapie aber deshalb abgebrochen werden. Hypoglykämien traten nur in Kombination mit Sulfonylharnstoffen, nicht aber in Kombination mit Metformin auf.
Liraglutid ist ein DPP-IV-resistentes GLP-1-Analogon (8). Die Kopplung mit Myristinsäure führt zu einer 98%igen Albuminbindung und damit zu einer Halbwertszeit von 10-14 Stunden. Daher ist nur eine einmalige Gabe von 0,75-2 mg/d erforderlich (9, 10). Bezüglich der metabolischen Wirkung und der UAW ist Liraglutid dem Exenatid ähnlich, wobei Phase-III-Studien zur Zeit noch laufen. Verglichen mit Exenatid wurde eine geringere Antikörperbildung beschrieben. Bei 40-50% der Patienten waren die Antikörper niedrig-titrig mit niedriger Affinität, so dass keine Beeinträchtigung der metabolischen Wirkung beobachtet wurde. Eine solche kann aber bei höheren Titern auftreten (11). Zurzeit wird eine LAR-Formulierung (Long-acting-release) von Exenatid entwickelt, die eine nur einmal wöchentliche Gabe mit stärker ausgeprägter HbA1C-Senkung ermöglichen soll (12).
DPP-IV-Antagonisten: Vildagliptin (Zulassung für Ende 2007 vom Hersteller Novartis geplant) und Sitagliptin (Januvia®, MSD, Tagestherapiekosten 1,95 EUR) werden im Gegensatz zu den Inkretinanaloga per os verabreicht, wobei die Dosis jeweils 100 mg/d beträgt. In plazebokontrollierten Studien lag die HbA1C-Senkung bei etwa 0,8%. In Vergleichstudien mit Metformin und Rosiglitazon war die HbA1C-Senkung nicht signifikant unterschiedlich, wobei allerdings deutlich weniger UAW (insbesondere im Vergleich mit Metformin) auftraten (13-15). Im Gegensatz zu Inkretinanaloga veränderte sich das Körpergewicht unter DPP-IV-Antagonisten kaum. Trotz der ubiquitären Expression von DPP-IV im Organismus zeigte sich bisher kein typisches Muster der UAW. Da jedoch insbesondere Lymphozyten ausgeprägt DPP-IV exprimieren, sind Langzeituntersuchungen unerlässlich. Übrigens: die Preise werden in einer ganzseitigen Zeitungswerbung nicht erwähnt.
Fazit: Bei den Inkretinanaloga und den DPP-IV-Antagonisten handelt es sich um einen neuen Therapieansatz beim Diabetes mellitus Typ 2. Die Inkretinanaloga, die allerdings subkutan injiziert werden müssen, haben neben der metabolischen Wirkung einen zusätzlichen gewichtssenkenden Effekt. Die oral wirksamen DPP-IV-Antagonisten haben nach bisherigen Kurzzeitstudien offenbar wenig UAW. Die Tagestherapiekosten sind vergleichsweise sehr hoch. Langzeituntersuchungen zur Verhinderung typischer Diabeteskomplikationen und UAW liegen noch nicht vor. Daher kann man die Verordnung zurzeit nur im Rahmen von Studien empfehlen.
Literatur
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