Analoga des Glucagon-like-peptide-1 (GLP-1-A, Inkretinmimetika) stimulieren Glukose-abhängig die Insulin-, inhibieren die Glukagon-Inkretion und senken den HbA1c-Wert je nach Wirkstoff, Dosis und Pharmakokinetik um 0,55 bis 1,7%-Punkte [1]. GLP-1-A zählen auch zu den Antidiabetika, für die eine Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse nachgewiesen ist [2] [3]. Daher werden GLP-1-A inzwischen in den Leitlinien für Typ-2-Diabetiker mit manifesten kardiovaskulären Vorerkrankungen empfohlen. Im Jahr 2020 wurden in Deutschland innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung bereits 120 Mio. Tagesdosen verordnet, und die Verordnungszahlen nehmen derzeit pro Jahr um 30% zu [4].
Zwei GLP-1-A sind auch zur Behandlung von Adipositas zugelassen (Liraglutid, Semaglutid). Wahrscheinlich durch hemmende Effekte auf die Magenentleerung und das Appetitzentrum kommt es zu teilweise deutlichen Gewichtsabnahmen [5]. Es ist zu erwarten, dass GLP-1-A auch in den zu aktualisierenden Adipositas-Leitlinien als eine der ersten medikamentösen Therapieoptionen empfohlen werden.
Die Verträglichkeit von GLP1-A ist jedoch häufig ein Problem. In randomisierten kontrollierten Studien (RCT) traten bei teilweise > 50% der Anwender Übelkeit, Diarrhö, Bauch- und Kopfschmerzen sowie Nasopharyngitiden auf. Bei 5-10% kam es zu Studienabbrüchen wegen unerwünschter Arzneimittelwirkungen (UAW; [2][5]). Diese UAW können sich im Verlauf von Wochen bessern. Es wird daher auch empfohlen, GLP-1-A vorsichtig aufzudosieren.
Pankreatitiden zählen zu den seltenen schwerwiegenden UAW der GLP1-A. In den RCT wurden 1,1 Fälle pro 1.000 behandelte Patienten beschrieben [6]; das Risiko scheint um 45% höher zu sein als bei Sulfonylharnstoffen [7]. Daher sollen GLP1-A nicht bei Personen angewendet werden, die bereits eine Pankreatitis hatten, und bei Therapiebeginn soll über die Symptome einer akuten Pankreatitis informiert werden [8]. Der anfängliche Verdacht, dass auch vermehrt Pankreaskarzinome auftreten, hat sich nicht bestätigt [9]. Weitere seltene, aber potenziell schwerwiegende UAW sind Angioödem, Anaphylaxie, Thrombopenie sowie Niereninsuffizienz bzw. -versagen, besonders unter Exenatid.
Gallenwegserkrankungen wurden im Zusammenhang mit GLP-1-A bisher nur selten berichtet. In der STEP-3-Studie wurden jedoch Erkrankungen der Gallenblase unter Semaglutid mit einer Häufigkeit von 4,9 pro 100 Patientenjahre beobachtet, also deutlich häufiger als unter Plazebo (1,1%; [10]). Cholelithiasis und Cholezystitis werden in den Fachinformationen zwar als „häufige“ bzw. „gelegentliche“ UAW aufgeführt [8], aber offenbar nur selten von den Anwendern als UAW gedeutet oder gemeldet [11].
Eine chinesische Arbeitsgruppe hat nun ein systematisches „Review und Metaanalyse“ der Gallenwegs-UAW in den RCT mit GLP-1-A durchgeführt [12]. Sie suchten hierzu in den üblichen Literaturdatenbanken nach RCT mit Albiglutid (seit 2018 vom Markt), Dulaglutid (Trulicity®), Exenatid (Byetta®), Liraglutid (Victoza®), Lixisenatid (Lyxumia®) und Semaglutid (Ozempic® und Wegovy®). Sie identifizierten 76 RCT mit 103.371 Teilnehmern (mittleres Alter 58 Jahre, 40% Frauen). Darunter waren 60 Studien zum Diabetes mellitus mit 91.599 Teilnehmern, 13 Studien mit 11.281 Teilnehmern befassten sich mit Adipositas und drei mit experimentellen Indikationen: nichtalkoholische Fettleberhepatitis, polyzystisches Ovarialsyndrom und Schizophrenie.
Ergebnisse: Eine Behandlung mit GLP-1-A geht demnach im Vergleich zu den Kontrollen mit einem signifikanten, um 37% höheren Risiko für Gallenwegserkrankungen einher (Relatives Risiko = RR: 1,37; 95%-Konfidenzintervall = CI: 1,23-1,52; I2 = 0%). Das absolute Risiko wird mit 2,7 zusätzlichen Ereignissen pro 1.000 Patienten und Jahr berechnet. Die einzelnen, signifikant häufiger beobachteten UAW waren Cholelithiasis (RR: 1,27), Cholezystitis (RR: 1,36), biliäre Erkrankungen (RR: 1,55) und Cholezystektomie (RR: 1,70).
GLP-1-A mit signifikant erhöhtem Risiko für Gallenwegs-UAW sind nach dieser Analyse Liraglutid (RR: 1,79; CI: 1,45-2,25) und Dulaglutid (RR: 1,35; CI: 1,06-1,73). Die Berechnungen für Semaglutid und Exenatid weisen ebenfalls auf ein erhöhtes Risiko hin (RR: 1,28 bzw. 1,23), die Vertrauensintervalle reichten jedoch bis zum Wert 1 oder überschritten diesen. Für oral eingenommenes Semaglutid, Lixisenatid und Albiglutid wurde kein erhöhtes Risiko für Gallenwegs-UAW gefunden.
Weitere Berechnungen ergaben, dass die Wahrscheinlichkeit für Gallenwegs-UAW mit der eingenommenen Dosis und der Behandlungsdauer mit GLP-1-A steigt. Außerdem war das Risiko bei Patienten, die einen GLP-1-A zur Gewichtsabnahme erhielten, höher als bei Patienten mit Typ-2-Diabetes. Die Befunde waren konsistent in allen Studien, und das Verzerrungsrisiko wird von den Autoren als gering bis moderat eingeschätzt. Sie schlussfolgern daher, dass GLP-1-A das Risiko für Gallenwegerkrankungen erhöhen. Allerdings sei das absolute Risiko gering und sollte gegen die positiven Wirkungen dieser Arzneimittel abgewogen werden.
In einem Kommentar weisen die beiden Endokrinologen Shanzay Haider und Kasia Lipska von der Yale University darauf hin, dass ein Detektionsbias vorliegen könnte, da nur in einem kleinen Teil der RCT gezielt nach Gallenwegserkrankungen gesucht wurde. Zugleich könnte auch ein „Surveillance-Bias“ bestehen, da die Anwendung von GLP-1-A bekannterweise mit vermehrten gastrointestinalen UAW einhergeht und daher vielleicht in den Interventionsgruppen häufiger Oberbauchsonografien oder CT durchgeführt wurden. Zudem sei mit der verwendeten Methodik nicht zu unterscheiden, ob es sich bei den Gallenfunktionsstörungen um eine UAW handelt, etwa durch Hemmung der Motilität mit konsekutiver „Verschlammung“ und Steinbildung oder um einen indirekten Effekt durch die Gewichtsabnahme. Rasche Gewichtsverluste beispielsweise durch Fasten oder infolge bariatrischer Operationen könnten zu einer Übersättigung von Cholesterin in der Gallenflüssigkeit und zu Gallensteinen führen.
Nach einem gerade publizierten systematischen Review von 120 publizierten Fallberichten über UAW von GLP-1-A entfallen ein Drittel auf gastrointestinale UAW; davon betrafen 23 Pankreatitiden. Gallenwegserkrankungen werden nicht explizit erwähnt [11]. Dies könnte auf ein bekanntes Problem der Pharmakovigilanz hinweisen: Es wird in erster Linie das gesehen und gemeldet, was ohnehin schon bekannt ist („Confirmation-Bias“). Daher ist es wichtig, bei unerwartet auftretenden Erkrankungen an eine mögliche UAW zu denken und den Verdacht auch an die Aufsichtsbehörden zu melden.