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Ist das Monitoring von klinischen Studien ausreichend?

Es ist davon auszugehen, dass heute die Mehrzahl der klinischen Studien zu neuen Arzneimitteln und Medizinprodukten von ihren Herstellern geplant, bezahlt, maßgeblich durchgeführt und publiziert werden. Das mag man beklagen, aber solange kaum öffentliche Gelder für unabhängige klinische Forschung zur Verfügung gestellt werden, bestimmen die pharmazeutischen Unternehmer (pU), was geforscht und publiziert wird. Diese Entwicklung ist problematisch, weil von pU finanzierte Studien häufig so angelegt werden, dass der untersuchte Wirkstoff oder das Medizinprodukt möglichst günstig abschneidet (1, 2). Zudem wird in solchen Studien oft nur unzureichend über unerwünschte Ereignisse berichtet, und sicherheitsrelevante Informationen werden unterdrückt (2).

Das Aufdecken von Manipulationen bei klinischen Studien und die Praxis des selektiven Publizierens (vgl. 3) haben bei vielen Ärzt(inn)en zu einem tiefgreifenden Misstrauen gegenüber klinischen Studien und der Evidenz-basierten Medizin (EBM) geführt. John Ioannidis schreibt in seinem sehr lesenswerten Essay „EBM has been hijacked by the industry“ (4) hierzu: „Der Kardinalfehler ist, dass man der Industrie die Beweisführung für den Wert ihrer eigenen Produkte überlässt. Dies führt zwangsläufig dazu, dass die Studien oft sehr tendenziös sind und mehr dem Zwecke der Produktwerbung als der Wahrheitsfindung dienen.“

Die Anmeldung und Registrierung aller Studien und Offenlegung aller Rohdaten (open access campaign) sowie eine sekundäre Analyse der Daten durch unabhängige Institutionen (z.B. Cochrane-Gruppen oder HTA-Institutionen wie das IQWiG) sind wichtig, um das Vertrauen in die EBM zu erhalten (vgl. 5). Eine weitere Möglichkeit besteht darin, die sog. Data Monitoring Committees (DMC) aufzuwerten und zu stärken. Hierbei handelt es sich um eine Gruppe von Experten, die den Verlauf und die Ergebnisse einer klinischen Studie fortlaufend überwacht. Die europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) hat 2005 Leitlinien zu Data Monitoring Committees erstellt (6). Darin wird eine solche Überwachungsinstanz zwar nicht prinzipiell gefordert, aber bei folgenden Studien empfohlen:

  • Studien zu lebensbedrohlichen oder kritischen Erkrankungen,
  • Studien mit Kindern oder nicht entscheidungsfähigen Personen, z.B. Patienten mit Demenz,
  • Studien mit Therapien, die das Potenzial haben, die Teilnehmer zu schädigen,
  • Studien mit kompliziertem Studiendesign, bei denen im Verlauf Protokollanpassungen zu erwarten sind.

Das DMC erhält Zugang zu den unverblindeten Zwischenergebnissen der Studie. Auf der Basis dieser Informationen kann das DMC den Studienverantwortlichen (Sponsoren und hauptverantwortliche Prüfer) Modifikationen im Studienablauf empfehlen oder bei deutlichen Hinweisen auf schwere unerwünschte Ereignisse sogar den Studienabbruch. Das DMC hat also eine beratende Funktion, die letzte Verantwortung für die Studie bleibt beim Studiensponsor und den beteiligten Wissenschaftlern (6).

Bei der Bestellung eines DMC sind drei Aspekte zu bedenken: die personelle Zusammensetzung, die erforderliche Qualifikation und die Unabhängigkeit der Mitglieder. Zu den erforderlichen Qualifikationen zählt die EMA klinische, biostatistische und ethische Expertise sowie praktische Erfahrungen mit Studien. Besonders kritisch ist die Unabhängigkeit der DMC-Mitglieder. Üblicherweise werden diese nämlich vom Sponsor und/oder den hauptverantwortlichen Prüfern ausgewählt und für ihren Arbeitsaufwand meist auch vom Sponsor bezahlt. Hierin liegt zweifelsohne ein bedeutsamer Interessenkonflikt, da die Sponsoren für sie bequeme und ihnen wohlgesonnene Experten bevorzugen werden. Die EMA empfiehlt in ihren Leitlinien zum Thema Unabhängigkeit, dass die Mitglieder eines DMC keine Firmenangestellten sein sollen und keine finanziellen Interessen bezüglich des Studienergebnisses haben dürfen. Auch intellektuelle Interessenkonflikte, z.B. eine in Aussicht gestellte Autorenschaft, sollten vermieden werden (6).

In einer aktuellen Übersichtsarbeit, die unter der Rubrik „The Changing Face of Clinical Trials“ im N. Engl. J. Med. veröffentlicht wurde, machen sich die beiden Biostatistiker David DeMets und Susan Ellenberg Gedanken über die zukünftige Rolle von DMC (7). Unter dem Untertitel „expect the unexpected“ beschreiben sie an Hand von verschiedenen realen Beispielen aus der Vergangenheit, wie schwierig und verantwortungsvoll die Arbeit eines DMC sein kann. Zugleich kritisieren sie, dass die Aufgaben und Kompetenzen der DMC nur unscharf definiert sind und dass Mitglieder des DMC in der Praxis nicht regelhaft einbezogen werden. Aus ihrer Kritik leiten die Autoren einige Forderungen für die Zukunft ab. So sollten die DMC bereits an der Entwicklung und Verabschiedung des Studienprotokolls beteiligt werden und auch die Einhaltung des Protokolls überwachen. Das DMC benötige einen freien Zugang zu allen Studienrohdaten sowie zu allen Informationen des Herstellers zu dem untersuchten Arzneimittel oder Medizinprodukt. Das DMC muss unabhängige statistische Analysen durchführen und darf sich nicht auf die vom Sponsor gelieferten Analysen verlassen. Das DMC benötigt eine klare Aufgabenstellung, prospektiv festgelegte Interventionskriterien und seine Mitglieder sollten eine Rechtsschutzversicherung erhalten, da es in der Vergangenheit zu Rechtsstreitigkeiten mit Studiensponsoren und auch Studienpatienten gekommen ist. Als weiteres Problem wird die Inflation an klinischen Studien genannt. Experten mit der erforderlichen Qualifikation sind nicht in ausreichender Zahl vorhanden. Daher seien die wenigen Experten oft zugleich in mehreren DMC aktiv und viele DMC würden mit unzureichend qualifizierten Personen besetzt. Dies schwäche die Qualität der DMC und auch die Durchsetzung von Entscheidungen gegen den Willen der Sponsoren.

Diese Vorschläge halten wir für vernünftig. Sie sollten aber noch erweitert werden: Warum richten die forschenden pU nicht eine Art unabhängigen „Studien-TÜV“ ein? Dieser sollte von der Industrie bezahlt werden. Der Studien-TÜV bildet professionelle und unabhängige Experten aus und stellt diese der Industrie bedarfsweise als Studienmonitore zur Verfügung. Solch ein Studien-TÜV könnte dabei helfen, die Glaubwürdigkeit von Industrie-Studien zu verbessern.

Fazit: Data Monitoring Committees spielen eine bedeutende Rolle bei der Durchführung klinischer Studien. Die Arbeit solcher Kontrolleinrichtungen kann wesentlich zur Glaubwürdigkeit von Industrie-gesponserten Studien beitragen. Hierzu müssen die Mitglieder der Data Monitoring Committees aber gut ausgebildet, unabhängig und bei der Durchsetzung ihrer Entscheidungen standhaft sein.

Literatur

  1. Riaz,H., et al.: Am.J. Cardiol. 2015, 116, 1944. Link zur Quelle
  2. Lundh,A., et al.: Cochrane Database of Syst. Rev. 2012;12,MR000033 Link zur Quelle .Vgl. AMB 2010, 44, 39a. Link zur Quelle
  3. AMB2008, 42, 79. Link zur Quelle
  4. Ioannidis,J.P.: J. Clin. Epidemiol. 2016, 73, 82. Link zur Quelle
  5. AMB2011, 45, 54a Link zur Quelle . AMB 2012, 46, 49 Link zur Quelle. AMB 2014, 48, 32DB01 Link zur Quelle . AMB 2015, 49, 32DB01.Link zur Quelle
  6. EuropeanMedicines Agency: Guideline on Data Monitoring Committees 2005. Link zur Quelle
  7. DeMets, D.L.,und Ellenberg, S.S.: N. Engl. J. Med. 2016, 375, 1365. Link zur Quelle