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Welche Wirkstoffgruppe für die Monotherapie der arteriellen Hypertonie?

Zur Einleitung einer medikamentösen Behandlung der arteriellen Hypertonie werden in Leitlinien folgende Wirkstoffgruppen empfohlen: Hemmer des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems (RAAS-H), darunter Angiotensin-Converting-Enzym-Hemmer (ACE-H) und Angiotensin-II-Rezeptor-Blocker (AT-II-RB), Kalziumantagonisten (KA), Betablocker (BB) und Diuretika (Thiazide und Thiazid-artige Diuretika wie Chlortalidon und Indapamid) (1, vgl. 2). Da man davon ausgeht, dass die Wirkstoffgruppen in der Senkung der kardiovaskulären Morbidität und Letalität gleichwertig sind und jede ihre eigenen absoluten oder relativen Kontraindikationen hat, soll sich die Auswahl des verordneten Arzneimittels nach den Begleiterkrankungen des Patienten richten. Welches Arzneimittel bei Patienten ohne Begleiterkrankungen bevorzugt eingesetzt werden soll, ist bisher unklar. Zu der Frage wurden nun die Ergebnisse einer großen internationalen Studie veröffentlicht (3).

Die Studie wurde publiziert von Wissenschaftlern des internationalen Netzwerks „Observational Health Data Sciences and Informatics“ (= OHDSI, englisch ausgesprochen Odyssey), dessen Koordinierungszentrale in der Columbia University in New York angesiedelt ist (4). Die Untersuchung gehört zum LEGEND-Projekt, in dem durch statistische Verfahren Millionen Patientendaten aus verschiedenen Datenbanken mehrerer Länder zu unterschiedlichen Fragestellungen ausgewertet werden. Alle Studiendaten, einschließlich der Analysecodes, werden offengelegt. Die Studie zur Hypertonie (LEGEND-HTN; 3) wurde finanziert durch öffentliche Mittel aus den USA, Australien und Südkorea sowie von dem pharmazeutischen Unternehmer Janssen, dessen Mitarbeiter auch als Autoren der Publikation aufgeführt werden.

Analysiert wurden Versicherungsdaten und elektronische Krankenakten von ca. 4,9 Mio. Patienten in 9 Beobachtungsdatenbanken, die zwischen 1996 und 2018 eine antihypertensive Monotherapie begannen mit Thiaziden, ACE-H, AT-II-RB sowie KA vom Dihydropyridin-Typ und Nicht-Dihydropyridin-Typ. In der aktuellen US-amerikanischen Leitlinie als Erstlinientherapie werden BB nicht empfohlen, außer bei Herzinsuffizienz oder koronarer Herzkrankheit (5). Die Studie untersuchte insgesamt 55 klinische Ereignisse: Als primäre Endpunkte wurden akuter Myokardinfarkt, Krankenhausaufenthalt wegen Herzinsuffizienz und Schlaganfall festgelegt. Außerdem wurden 6 sekundäre Endpunkte zur Wirksamkeit analysiert (kardiovaskuläres Ereignis, hämorrhagischer Schlaganfall, ischämischer Schlaganfall, Herzinsuffizienz, instabile Angina pectoris) sowie 46 Endpunkte zur Sicherheit, darunter Angioödem, Husten und Elektrolytstörungen. Berechnet wurden insgesamt 22.000 propensity-score adjustierte Hazard Ratios (HR), mit denen alle Wirkstoffgruppen und Endpunkte verglichen wurden.

Die Nachbeobachtung betrug im Median 2 Jahre, bei einem Viertel der Patienten > 5 Jahre. Am häufigsten wurden initial ACE-H eingesetzt (48%), gefolgt von Thiaziden (17%), KA vom Dihydropyridin-Typ (16%), AT-II-RB (15%) und KA vom Nicht-Dihydropyridin-Typ (3%). Die am häufigsten verordneten Wirkstoffe in jeder Gruppe waren Lisinopril (80%), Hydrochlorothiazid (94%), Amlodipin (85%), Losartan (45%) und Diltiazem (62%).

Alle drei primären Endpunkte traten unter Thiaziden signifikant seltener auf als unter ACE-H:

  • Akuter Myokardinfarkt HR: 0,84; 95%-Konfidenzintervall = CI: 0,75-0,95;

  • Krankenhausaufenthalt wegen Herzinsuffizienz HR: 0,83; CI: 0,74-0,95;

  • Schlaganfall HR: 0,83; CI: 0,74-0,95.

Zwischen ACE-H, AT-II-RB und KA vom Dihydropyridin-Typ ergaben sich keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich der Wirksamkeit. KA vom Nicht-Dihydropyridin-Typ waren am wenigsten wirksam.

Unter Thiaziden traten Hypokaliämien und Hyponatriämien häufiger auf als unter den anderen Wirkstoffgruppen. Bei den ACE-H ergab sich im Vergleich mit Thiaziden u.a. ein erhöhtes Risiko für die Gesamtsterblichkeit und kardiovaskuläre Letalität sowie Angioödem, Husten und akute Niereninsuffizienz.

Zu den Auswirkungen der Entscheidung für ein Arzneimittel berechnen die Autoren folgendes: Wenn die 2,4 Mio. Patienten mit neu diagnostizierter Hypertonie, die in den Jahren 1996 bis 2018 initial ACE-H erhalten haben, als Erstes mit Thiaziden behandelt worden wären, hätten 3.100 schwere kardiovaskuläre Ereignisse vermieden werden können sowie unzählige schwere Nebenwirkungen.

Die Autoren verwendeten aufwendige statistische Verfahren, um Verzerrungen durch Störfaktoren („Confounder“), den Publikationsbias und sogenanntes p-hacking zu kontrollieren. Unter p-hacking versteht man ein nachträgliches Anpassen der Studienparameter, um statistisch signifikante Ergebnisse zu erhalten). Wie alle Beobachtungsstudien ist jedoch auch LEGEND-HTN infolge nicht quantifizierbarer Verzerrungen (BIAS) mit Unsicherheiten behaftet (vgl. 6). Beispielsweise waren in den meisten Datenbanken keine Blutdruckwerte zu Beginn der Behandlung dokumentiert, die die Auswahl des Antihypertensivums beeinflusst haben könnten („Confounding by indication“). Auch zur Adhärenz gab es nur unzureichende Daten. Nach den aktuellen europäischen Leitlinienempfehlungen aus dem Jahr 2018 sollte die Arzneimitteltherapie bei den meisten Patienten mit einem RR ≥ 140/90 mm Hg primär als zweifache Kombinationstherapie aus RAAS-H plus KA oder plus Diuretikum erfolgen. Eine Monotherapie wird nur noch für solche Patienten empfohlen, deren systolischer Blutdruck bei niedrigem kardiovaskulärem Risiko < 150 mm Hg beträgt, sowie bei Patienten mit hochnormalen Blutdruckwerten und sehr hohem kardiovaskulärem Risiko oder bei gebrechlichen älteren Patienten (1, vgl. 2). Im Unterschied dazu wird in den US-amerikanischen Leitlinien eine antihypertensive Monotherapie bei Risikofaktoren, wie kardiovaskulären Erkrankungen oder Diabetes mellitus, ab einem RR ≥ 130/80 mm Hg empfohlen und eine Kombinationstherapie bei einem RR ≥ 140/90 mm Hg.

Fazit: In einer retrospektiven Beobachtungsstudie zur Wirksamkeit und Sicherheit von Antihypertensiva in der Monotherapie der arteriellen Hypertonie ergab sich für Thiazid-Diuretika eine bessere Wirksamkeit und weniger Nebenwirkungen als für ACE-Hemmer. Kalziumantagonisten vom Nicht-Dihydropyridin-Typ zeigten sich weniger wirksam als die anderen Wirkstoffgruppen. Die Aussagekraft der Ergebnisse ist trotz der großen Zahl von Daten und Berechnungen – wie bei allen Beobachtungsstudien – infolge der nicht quantifizierbaren Verzerrungen eingeschränkt.

Literatur

  1. https://leitlinien.dgk.org/files/2019_ Pocket_Leitlinie_Hypertonie_Version2018.pdf Link zur Quelle
  2. AMB 2018, 52, 76. Link zur Quelle
  3. Suchard, M., et al. (LEGEND-HTN = Large-scale Evidence Generation and Evaluation across a Network of Databases-HyperTensioN: Lancet 2019, 394, 1816. Link zur Quelle
  4. https://ohdsi.org/ Link zur Quelle
  5. Whelton, P.K., et al.: J. Am. Coll. Cardiol. 2018, 71, e127. Link zur Quelle Erratum: J. Am. Coll. Cardiol. 2018, 71, 2275.
  6. AMB 2019, 53, 79b. Link zur Quelle