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Behandlung von Hypertonikern mit Diabetes mellitus Typ 2. Myokardinfarkte häufiger unter Nisoldipin als unter Enalapril

Seit 1995 stehen kurzwirkende Kalziumantagonisten vom Dihydropyridin-Typ (z.B. unretardiertes Nifedipin u.a.) im Verdacht, daß sie bei Patienten mit Hypertonie und koronarer Herzkrankheit das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse erhöhen (1-4). Leider stehen Langzeitstudien zur Wirksamkeit und zu Nebenwirkungen einer antihypertensiven Therapie mit Kalziumantagonisten (und auch mit ACE-Hemmern) immer noch aus (5).

In diesem Zusammenhang sind erste Ergebnisse der kürzlich publizierten ABCD-Studie einer renommierten Arbeitsgruppe aus Denver, Colorado, zur Wirksamkeit bzw. zu Nebenwirkungen des langwirksamen Dihydropyridin-Kalziumantagonisten Nisoldipin (Baymycard) bzw. zum ACE-Hemmer Enalapril (Xanef u.v.a.) von Interesse (5). Die Studie wurde konzipiert, um die primäre Hypothese zu testen, ob eine intensive bzw. moderate Bludrucksenkung bei Typ-Il-Diabetikern mit und ohne Hypertonie die typischen Komplikationen (Nephropathie, Neuropathie, Retinopathie und „koronare Ereignisse“) verhindern bzw. ihre Progression verlangsamen kann. Die sekundäre Hypothese war, ob bei hypertensiven Diabetikern (diastolischer Blutdruck > 90 mmHg) Nisoldipin bei gleicher blutdrucksenkender Wirkung wie Enalapril auch gleich protektiv wirksam ist im Hinblick auf die Diabeteskomplikationen.

Tab. 1 gibt die wichtigsten Charakteristika der Patienten zu Studienbeginn wieder. Darüber hinaus hatten 18 bzw. 19 der jeweils 235 hypertensiven Patienten in der Nisoldipin- bzw. Enalapril-Gruppe eine diabetische Nephropathie mit Albuminune (Kreatinin-Clearance 88,4 vs. 82,7 mI/Min.), 61 bzw. 60 eine Retinopathie und 45 bzw. 44 eine Neuropathie. Auch die Zahl der Raucher sowie der „Packungsjahre“ waren in beiden Gruppen gleich. Im Laufe der 5jährigen Beobachtungszeit kam es bei völlig gleicher (moderater wie intensiver) Blutdrucksenkung in der Enalapril-Gruppe zu 5, in der Nisoldipin-Gruppe zu 10 tödlichen kardialen Ereignissen; auch Myokardinfarkte (tödliche und nichttödliche) waren unter Nisoldipin deutlich häufiger als unter Enalapril (Tab. 1; p < 0,001). Die Autoren haben zudem verschiedene Variable, welche die Ergebnisse möglicherweise hätten verfälschen können (z.B. Ausmaß bzw. Risiko einer bereits vorher bestehenden koronaren Herzkrankheit, Gründe für das Absetzen der Studienmedikation u.a.) statistisch untersucht. Die Ergebnisse waren auch nach dieser Analyse valide, ja es zeigte sich, daß die Patienten der Enalapril-Gruppe zu Studienbeginn potentiell eher stärker kardial gefährdet waren. Die Therapie mi tNisoldipin bei hypertensiven Diabetikern wurde auf Empfehlung des Data and Safety Monitoring Committee abgebrochen; die Studienarme mit normotensiven Diabetikern werden weitergeführt. In einem begleitenden Editorial (6) diskutiert J.F. Cutler nochmals die Unsicherheiten in der Beurteilung der bisherigen Befunde zu den Kalziumantagonisten, speziell die möglichen kardialen Risiken der kurzwirksamen Dihydropyridine („Uncertainty continues“). Er weist darauf hin, daß das Design der verschiedenen Studien zu unterschiedlich ist und daß auch in der hier besprochenen Studie von R.O. Estacio et al. in der Enalapril-Gruppe etwas mehr Patienten zusätzliche Antihypertensiva, speziell Betablocker, erhielten (119 vs. 93 bzw. 99 vs. 89). Die letzteren Patienten könnten von den Betablockern profitiert haben, da diese eine möglicherweise gefährliche Reflextachykardie bremsen. Die laufende ALLHAT-Studie (7) mit 40000 Patienten (davon ein Drittel Diabetiker), in der Amlodipin, Lisinopril, Doxazosin und Chlortalidon verglichen werden, wird sicher einige Fragen klären. Fazit: Unter der antihypertensiven Therapie mit dem Kalziumantagonisten Nisoldipin ist das Risiko für Myokardinfarkte bei Typ-ll-Diabetikern höher als unter Enalapril. KaIziumantagonisten sind nicht erste Wahl bei initialer antihypertensiver Monotherapie, besonders bei Diabetikern. Nach wie vor haben – solange nicht große, vergleichende, klinische Studien mit Kalziumantagonisten und ACE-Hemmern andere Ergebnisse bringen – die Empfehlungen des Joint National Committee on Prevention, Detection, Evaluation, and Treatment of High Blood Pressure Gewicht, eine antihypertensive Therapie generell mit einem Diuretikum oder einem Betarezeptoren-Blocker (oder beiden) zu beginnen (8). Bei Diabetikern ist wegen der nachgewiesenen renoprotektiven Wirkung die frühzeitige Gabe eines ACE-Hemmers zu empfehlen (9).

Literatur

1. Psaty, B.M., et al.: JAMA 1995, 274, 620.
2. Furberg, C.D., et al.: Circulation 1995, 92, 1326.
3. Borhani, N.O., et al. (MIDAS = Multicenter Israpidine Diuretic Atherosclerosis Study): JAMA 1996, 276, 785.
4. AMB 1995, 29, 84.
5. Estacio, R.O., et al. (ABCD = Appropiate Blood Pressure Control in Diabetes Trial): N. EngI. J. Med. 1998, 338, 645.
6. Cutler; J.A.: N. Engl. J. Med. 1998, 338, 679.
7. Davis, B. R., et al. (ALLHAT = Antihypertensive and Lipid Lowering to Prevent Heart Attack Trial): Am J. Hypertens. 1996, 9, 342.
8. The Sixth Report of the Joint National Committee on Prevention, Detection, Evaluation, and Treatment of High Blood Pressure: Arch. Intern. Med. 1997, 157, 2413.
9. Maschio, G., et al. (AIPRI = Angiotensin converting enzyme Inhibition in Progressive Renal Insufficiency): N. EngI. Med. 1996, 334, 939.

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