Eine hochinteressante Untersuchung zum Thema „Publikationsbias“ und die geschickte Verfälschung der Evidenz findet sich in einem sehr lesenswerten Heft des British Medical Journal. Die Arbeit kommt von der schwedischen Arzneimittelbehörde in Uppsala (Melander, H., et al.: Brit. Med. J. 2003, 326, 1171).
In Schweden gibt es die Besonderheit, daß pharmazeutische Firmen für die Zulassung einer Substanz auf dem schwedischen Markt die Protokolle aller von ihnen jemals durchgeführten Studien vorlegen müssen. Anders als in Deutschland sind diese Unterlagen aber nicht ”top secret”, sondern können von der Behörde wissenschaftlich ausgewertet und auch publiziert werden. So konnten die Schweden – was nach unserer Kenntnis bisher einmalig ist – z.B. das Publikationsverhalten der Hersteller von Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmern (SSRI) in den letzten Jahren aufdecken. Dabei verglichen sie die bei der Behörde eingereichten Studienunterlagen aus insgesamt 42 Phase-II- und -III-Studien (nachfolgend als Primärstudien bezeichnet) mit den in der Fachliteratur publizierten Daten.
Es fanden sich insgesamt 38 Publikationen in den einschlägigen Datenbanken (Medline u.a.). Dabei handelte es sich in nur 25 Fällen um eine Primärstudie (60%). Die übrigen Veröffentlichungen waren sekundäre Analysen von Daten aus den Primärstudien.
Bei vier von fünf SSRI wurden die Daten aus den Primärstudien in verschiedener Form mehrfach publiziert. Am häufigsten waren kleinere Metaanalysen. Diese sind vom Leser oft schwer oder gar nicht als solche zu erkennen. Bei einer Substanz resultierten so aus acht Primärstudien drei weitere gepoolte Analysen. Dabei schien jedesmal eine völlig andere Arbeitsgruppe hinter der Publikation zu stehen, und nur ein Autor war in allen drei Studien identisch. Ein Verweis auf die anderen Metaanalysen oder die vollständige Liste der Primärpublikationen fand sich nicht.
Wie nicht anders zu erwarten flossen in die publizierten sekundären Analysen ganz überwiegend die Daten aus den positiv gelaufenen Primärstudien ein. Somit wird die neue Analyse noch eindeutiger positiv und mehrt – als zusätzliche positive Publikation – die scheinbare Evidenz für den Nutzen des Medikaments.
Von den 42 bei der Behörde eingereichten Primärstudien war das Ergebnis 21mal positiv für die getestete Substanz, und 21mal fand sich kein Vorteil gegenüber Plazebo. Während 19 von den 21 positiven Primärstudien im Original publiziert wurden, fanden sich nur 6 der 21 negativen Studien in der Fachliteratur wieder. Über die Publikation einer Primärstudie entscheidet übrigens in den meisten Fällen der Hersteller, der als Studiensponsor auch die Rechte an den erhobenen Daten hat.
In der Arbeit der schwedischen Autoren sind noch weitere Tricks nachzulesen. Sie vermuten wohl zu Recht, daß diese Manipulationen keine Besonderheit der Hersteller von Antidepressiva sind.
Fazit: Dank der schwedischen Arzneimittelbehörde mit ihren strikten Auflagen zur Transparenz erhalten wir einen schockierenden Eindruck, wie sehr Ärzte auch von seriös erscheinenden Studien in Fachzeitschriften getäuscht werden können. Das System der Evidence Based Medicine wird durch solche systematischen Manipulationen bei der Publikation unterminiert. Es muß allein aus Gründen des Verbraucherschutzes unbedingt Transparenz bei der Zulassung von Arzneimitteln geschaffen werden. Studiendaten dürfen nicht länger ein Firmeneigentum sein, das nach Gutdünken und unter Profitaspekten zusammengestellt und publiziert werden kann. Hier steht die EMEA in der Pflicht, die schwedische Transparenz zu übernehmen. Leider fährt der europäische Zug aber längst in eine andere Richtung.