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Neue Richtlinien zur Diagnostik und Behandlung der arteriellen Hypertonie

DER ARZNEIMITTELBRIEF hat mehrfach über neuere Studien zur medikamentösen und diätetischen Therapie der arteriellen Hypertonie berichtet (1-5). Eine umfangreiche und lesenswerte Zusammenstellung zur Diagnostik und Therapie des Bluthochdrucks sind die kürzlich veröffentlichten neuen Richtlinien des VI. Reports des US Joint National Committee on Prevention, Detection, Evaluation and Treatment of High Blood Pressure (6). In ihrem letzten Bericht hatte dieses amerikanische Expertengremium als Medikamente erster Wahl zur Behandlung des Bluthochdrucks nur noch Diuretika und Betablocker genannt, ACE-Hemmer und KaIziumantagonisten wurden dagegen zurückgestuft (s.a. 4). Im neuen Bericht wird zunächst auf die unveränderte Problematik des mangelnden Krankheitsbewußtseins und der fehlenden Behandlungsbereitschaft eingegangen. So werden in den USA z.Z. lediglich 53% der Patienten mit arterieller Hypertonie behandelt, und nur 27% der Patienten können als optimal behandelt eingestuft werden. Dies liegt zum einen an der schlechten Compliance der Patienten, aber auch an der Ausweitung der Behandlungsindikation. Arterielle Hypertonie wird als Bluthochdruck von systolisch > 140 mmHg und/oder diastolisch > 90 mmHg bei zwei aufeinanderfolgenden und kontrollierten Messungen in Ruhe definiert (s. Tab. 1).

Fallen systolischer und diastolischer Blutdruck in verschiedene Kategorien, ist jeweils der höhere Wert maßgebend. Messungen zu Hause oder 24-Stunden-Messungen sind zur Einschätzung einer eventuell vorliegenden „White coat hypertension“ oder von episodischen Blutdruckspitzen und zur Behandlungskontrolle erforderlich. Für Messungen zu Hause werden dabei niedrigere Normalwerte angegeben: tagsüber < 135/85 und nachts < 120/75 mmHg. Die für die Behandlungsrichtlinien vorgenommene Risikostratifizierung berücksichtigt darüber hinaus vorliegende Risikofaktoren und Endorgan-Erkrankungen. Als Risikofaktoren gelten Rauchen, Hyperlipidämie, Diabetes mellitus, Alter über 60 Jahre, männliches Geschlecht, Frauen in der Postmenopause sowie kardiovaskuläre Ereignisse in der Familienanamnese bei Frauen < 65 Jahren und bei Männern < 55 Jahren. Als Endorgan-Erkrankungen gelten Hirnischämien/Insulte, Nephropathie, Retinopathie, periphere arterielle Verschlußkrankheit und Herzerkrankungen (linksventrikuläre Hypertrophie, Koronare Herzerkrankung, Herzinsuffizienz). In Abhängigkeit vom Stadium der Hypertonie und vom Risikoprofil werden die Behandlungsempfehungen differenziert (Tab. 2). Bei allen Patienten sollte zunächst eine geeignete, d.h. blutdrucksenkende Modifikation ihres Lebensstils erfolgen. Im Stadium I der Hypertonie und ohne Endorgan-Erkrankung sollte dies sogar initial die einzige Therapie sein. Idealerweise würde dies eine Normalisierung des Gewichts, vermehrte körperliche Bewegung, Kochsalzrestriktion auf < 6 g/d, nur geringer Alkoholkonsum und insbesondere eine Umstellung der Diät beinhalten. Damit werden Konsequenzen aus der DASH-Studie gezogen (5). Diese Studie hatte gezeigt, daß eine Ernährung mit viel Obst und Gemüse und niedrigem Fettanteil den Blutdruck deutlich senkt und daß in vielen Fällen eine medikamentöse Therapie nicht notwendig ist. Bei Patienten ab Stadium II wird zusätzlich initial eine medikamentöse Therapie empfohlen. Liegt keine spezielle Risikokonstellation vor, sollten als erste Medikamente Betarezeptoren-Blocker und Diuretika eingesetzt werden. Für beide Medikamente ist in kontrollierten Studien eine signifikante Abnahme von Morbidität und Letalität nachgewiesen.Bei Patienten > 60 Jahre und besonders bei systolischer Hypertonie sollten Diuretika den Betarezeptoren-Blockern vorgezogen werden. Bei Patienten mit bereits vorhandenen Organerkrankungen oder Diabetes mellitus wird bereits bei hochnormalen Blutdruckwerten eine zusätzliche medikamentöse Therapie mit dem Ziel einer Organprotektion vorgeschlagen. Um die Compliance der Medikamenteneinnahme zu erhöhen und um eine kontinuierliche Blutdrucksenkung zu erreichen, sollten bevorzugt retardierte Präparate mit 24-Stunden-Wirkung eingesetzt werden. Kombinationen von Antihypertensiva können im Einzelfall durch additive antihypertensive Wirkung und Minimierung dosisabhängiger Nebenwirkungen Vorteile bieten. Das JNC VI nennt hier vor allem die Zugabe kleiner Dosen Hydrochlorothiazid, um die Wirksamkeit anderer Antihypertensiva zu steigern. Kurzwirksame Kalziumantagonisten sind wegen befürchteter erhöhter koronarer Letalität bis zum Erscheinen neuerer Ergebnisse aus prospektiven Studien abzulehnen (7).

Im letzten Teil des Berichtes werden ausführliche Hinweise zur Differentialtherapie unter Berücksichtigung der Risikokonstellation, der Endorgan-Schädigung und weiterer Komorbidität gegeben. Bei Diabetes mellitus Typ 1 mit Proteinurie, bei Herzinsuffizienz, isolierter systolischer Hypertonie und zurückliegendem Herzinfarkt werden aufgrund der Ergebnisse randomisierter kontrollierter Studien klare Empfehlungen ausgesprochen (s. Algorithmus Tab. 3). So sollten ACE-Hemmer bei Herzinsuffizienz bevorzugt eingesetzt werden. Die kürzlich auf den Markt gekommenen Angiotensin-ll-Rezeptor-Antagonisten (1, 8) werden in ihrer Wirkung als gleichwertig eingeschätzt bei geringerer Häufigkeit von Bradykinin-vermittelten Nebenwirkungen (z.B. Reizhusten). Da bislang keine Langzeitstudien zur Kardio- und Nephroprotektion vorliegen, sollten AT-Il-Antagonisten nur bei Unverträglichkeit von ACE-Hemmern gegeben werden.

Bei vielen weiteren Begleiterkrankungen werden speziell günstige Effekte einzelner Antihypertensiva erwähnt, z.B. Thiazid-Diuretika bei Osteoporose, ACE-Hemmer und langwirkende Kalziumantagonisten bei Diabetes Typ 2 mit Proteinurie, ACE-Hemmer bei nicht renovaskulärer Niereninsuffizienz mit Serumkreatininwerten < 3 mg/dl, Betarezeptoren-Blocker bei Angina pectoris, Hyperthyreose und Migräne. Interaktionen der Antihypertensiva mit anderen Medikamenten sind zu bedenken, z.B. die Wirkungsabschwächung durch nichtsteroidale Antiphlogistika (s. Tab. 4). Insgesamt sind die neuen Richtlinien des JNC flexibler in der Auswahl der Medikamente. Sie berücksichtigen auch stärker die Komorbidität und vereinfachen die Darreichung. Die Autoren betonten in Presseerklärungen, daß die Erhöhung der Compliance und die „Benutzerfreundlichkeit“ der Hypertoniebehandlung primäre Ziele des JNC VI waren. Es wird auch deutlich, daß die zunehmenden Daten aus großen kontrollierten Studien eine individuellere Behandlung im Sinne einer „Evidence-based medicine“ ermöglichen. Die 13. Auflage der Empfehlungen der Deutschen Liga zur Bekämpfung des hohen Blutdrucks ist ebenfalls im November 1997 erschienen. Sie kann bei der Geschäftsstelle der Liga (Postfach 102040 in 69117 Heidelberg) angefordert werden. Die Empfehlungen weichen von denen des JNC VI weder in der Gliederung noch in den Grundaussagen ab. Offenbar haben die Autoren der 13. Auflage der Empfehlungen den amerikanischen Konsens eingehend studiert. Die Amerikaner sind in ihren Aussagen wesentlich differenzierter. Sie stellen die epidemiologische Situation dar als Begründung für ihre Forderung nach einer flächendeckenden Versorgung der Hypertoniker und leiten die blutdrucksenkende Diät und die Differentialtherapie aus Studien ab, die kritisch durchleuchtet sind. Ein umfassendes Literaturverzeichnis ist angefügt.

Literatur

1. AMB 1996, 30, 3. Johnston, C.I.: Lancet 1995, 346,1403.
2. AMB 1997, 31, 61. Kostis, J.B., et al. (Systolic Hypertension in the Elderly Program = SHEP-Studie): JAMA 1997, 278, 212.
3. AMB 1997, 31, 68a. Philipp, Th., et al. (Hydrochlorothiazid, Atenolol, Nitrendipin, Enalapril = HANE-Studie): Brit. Med. J. 1997, 315, 154.
4. AMB 1997, 31, 75a. Gottdiener, J.S., et al.: Circulation 1997, 95, 2007.
5. AMB 1997, 31, 53a. Appel, L.J., et al. (Dietary Approaches to Stop Hypertension = DASH-Studie): N. Engl. J. Med. 1997, 336, 1117.
6. The Sixth Report of the Joint National Committee on Prevention, Detection, Evaluation, and Treatment of High Blood Pressure (JNC VI): Arch. Intern. Med. 1997, 157, 2413.
7. AMB 1995, 29, 84. Psaty, B.M., et al.: JAMA 1995, 274, 620.
8. AMB 1996, 30, 37. Acker, C.G., und Greenberg, A.: N. Engl. J. Med. 1995, 333, 1572.

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