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Fördert Alkohol die Gesundheit?

Zusammenfassung: Die Ergebnisse vieler epidemiologischer Studien der letzten 20 Jahre lassen den Schluß zu, daß moderater Alkoholgenuß über einen längeren Zeitraum einen gewissen Schutz vor Arteriosklerose bietet. Die damit verbundene Abnahme der koronaren Letalität führt in den westlichen Nationen auch zu einer geringeren Gesamtletalität bei moderatem Alkoholkonsum gegenüber Abstinenzlern. Ein Großteil der koronarprotektiven Wirkung des Alkohols wird über seine Wirkungen auf die Plasmalipoproteine und komplexe fibrinolytische Effekte erklärt. Kontrollierter moderater Alkoholgenuß hat offenbar leichte gesundheitsfördernde Wirkungen und muß bei fehlenden Kontraindikationen ärztlich nicht untersagt werden. Wegen der Gefahren des Alkoholabusus und wegen nichtkardialer Folgekrankheiten wäre eine generelle ärztliche oder gesundheitspolitische Empfehlung, Alkohol gezielt als Koronarprophylaktikum einzusetzen, jedoch mit unüberschaubaren Risiken verbunden.


Die gesundheitlichen und ökonomischen Folgen des Alkoholabusus in den modernen Gesellschaften sind erheblich. Für Deutschland ergibt sich bei einem errechneten Verbrauch von etwa 12 Litern reinem Äthylalkohol pro Kopf und Jahr eine problematische Spitzenposition in der westlichen Welt. Deshalb muß die Eingrenzung des exzessiven Alkoholkonsums in der Bevölkerung als ein vorrangiges sozialmedizinisches Ziel betrachtet werden. Von besonderem Interesse waren demgegenüber die vermehrt in den letzten Jahren publizierten Ergebnisse epidemiologischer Untersuchungen, nach denen moderater Alkoholkonsum auch protektive Wirkungen auf das Gefäßsystem hat. Vor diesem Hintergrund ist in die Bewertung einer möglichen gesundheitsfördernden Wirkung des moderaten Alkoholkonsums die gesamte alkoholassoziierte Morbidität und Letalität mit einzubeziehen.

Der Einfluß von Alkohol auf Risikofaktoren der Arteriosklerose: Einfluß auf Chylomikronen und Triglyzeride: Ein Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und verringerter Arteriosklerose ist bereits vor annähernd einem Jahrhundert in der Literatur erwähnt (1). Andererseits wurde schon 1918 erstmals eine alkoholinduzierte Hyperlipidämie beschrieben (2). Eine akute Alkoholingestion von 50 bis 70 g ohne weitere Nahrungszufuhr führt beim Stoffwechselgesunden zu einer meßbaren Hypertriglyzeridämie. Alkohol bewirkt dabei durch eine gesteigerte De-novo-Fettsäure-Synthese und eine gesteigerte periphere Lipolyse eine vermehrte VLDL-Produktion. Wesentlicher erscheint die Alkoholzufuhr im Zusammenhang mit normaler Nahrungsaufnahme. Unter solchen Bedingungen wird bei akuter Alkoholingestion der Abbau der postprandialen Chylomikronämie verzögert. Unter chronischem Alkoholkonsum steigt beim Stoffwechselgesunden hingegen die Aktivität der Lipoproteinlipase an. Es resultieren niedrigere postprandiale Chylomikronenspiegel als im Akutversuch. Durch den hypermetabolen Zustand wird die Überproduktion triglyzeridreicher Lipoproteine weitgehend kompensiert (3).

Einfluß auf High-Density-Lipoproteine (HDL): Während den Triglyzeriden insgesamt nur eine untergeordnete Rolle als atherogener Risikofaktor zukommt, finden sich auch Veränderungen der klinisch relevanten High-Density-Lipoproteine. In zahlreichen Studien wurde nachgewiesen, daß Alkohol das HDL-Cholesterin erhöht. Vermutlich führt der insgesamt hypermetabole Zustand zur vermehrten Bildung der HDL-Fraktionen. Welche HDL-Fraktionen durch Alkohol vermehrt produziert werden, ist nicht eindeutig geklärt. Einige Studien fanden bei moderater Alkoholzufuhr überwiegend eine Erhöhung von HDL-3 und nur bei starken Trinkern eine Vermehrung der eigentlich antiatherogenen HDL-2-Subfraktion (4, 5). Andere Untersuchungen konnten diese spezielle Veränderung in den HDL-Subfraktionen nicht bestätigen und zeigten unabhängig von der Menge des konsumierten Alkohols ein Ansteigen beider Fraktionen (6). Das Ausmaß des HDL-Cholesterin-Anstiegs hat vermutlich auch genetische Determinanten. So zeigte sich, daß bei speziellen Populationen mit niedrigem HDL-Cholesterin und hoher lnzidenz der Koronaren Herzkrankheit (KHK) das HDL unter Alkoholkonsum deutlicher anstieg als bei Kontrollgruppen (7). Vermutlich ist auch das „Timing“ des Alkoholkonsums und die Art der begleitenden Ernährung von Bedeutung. In einer aktuellen Untersuchung konnte die Einnahme von Alkohol zum Essen direkt atherogene postprandiale Blutveränderungen günstig beeinflussen (8). Darüber hinaus fanden sich günstige Wirkungen im postprandialen Stoffwechsel triglyzeridreicher Lipoproteine, wenn zum Alkohol mehrfach ungesättigte Omega-3-Fettsäuren als Nahrungsfett verabreicht wurden, wie es beispielsweise bei der sogenannten mediterranen Kostform üblich ist (9).

Einfluß auf Low-Density-Lipoproteine (LDL): Schätzungen zufolge können etwa 50% des protektiven Effektes von Alkohol bei der KHK der Erhöhung des HDL-Cholesterins zugerechnet werden (10). Von wesentlich geringerer Bedeutung sind Veränderungen des LDL-Cholesterins. Während bei starkem chronischem Alkoholkonsum das LDL-Cholesterin häufig erniedrigt ist, finden sich bei moderatem Alkoholgenuß (40-80 g/d) keine signifikanten LDL-Veränderungen. Inzwischen werden vermehrt andere, nicht Lipoprotein-vermittelte positive Wirkungen des Alkohols diskutiert: verminderte Plättchenaggregation, komplexe fibrinolytische Effekte mit Abnahme des Plasminogenspiegels und Anstieg des Plasminogen-Aktivators sowie Veränderungen des Fibrinogens als eigenständiger kardiovaskulärer Risikofaktor (11-13).

Andere Faktoren: Die antioxidativen Eigenschaften alkoholischer Getränke wurden, vor allem bei der Diskussion spezieller gesundheitsfördernder Wirkungen des Rotweins, in den Laienmedien besonders herausgestellt. Verschiedene antioxidative Phenole und Flavonoide konnten im Rotwein in relevanten Mengen nachgewiesen werden. Für die geringere koronare Letalität in Frankreich im Vergleich mit anderen Ländern trotz reichlicher Zufuhr gesättigter Fettsäuren und Nikotinabusus („French paradox“) wurde in diesem Zusammenhang primär der höhere Rotweinkonsum verantwortlich gemacht (14).

In einer kontrollierten Studie fanden Y.B. de Rijke et al. jedoch weder nach dem Genuß von Rotwein noch von Weißwein eine Modifikation der LDL-Oxidierbarkeit (15). In ausführlichen Übersichten ließ sich kein zusätzlicher kardioprotektiver Effekt von Rotwein gegenüber anderen Alkoholika ableiten (16). Andererseits sind auch in verschiedenen Biersorten antioxidative Polyphenole enthalten (17). Eine unlängst publizierte prospektive Studie von A. Klatsky et al. an fast 130000 Menschen über einen Zeitraum von 15 Jahren (Kaiser Permanente Study) untersuchte den Einfluß von Weißwein, Rotwein, Bier und Spirituosen auf die Häufigkeit späterer Krankenhausbehandlungen wegen Koronarer Herzkrankheit. Biertrinker hatten das niedrigste Relative Risiko (RR) für eine Behandlung im Krankenhaus von 0,7 gegenüber Weintrinkern (RR = 0,8) und Spirituosentrinkern (RR = 0,9). Die Autoren kommen zu dem Schluß, daß die koronarprotektive Wirkung überwiegend auf den Äthylalkohol selbst zurückzuführen ist (18).

Alkoholkonsum, kardiale Morbidität und Letalität: Erste epidemiologische Hinweise auf eine koronarprotektive Wirkung des Alkohols wurden in den 70er Jahren veröffentlicht, initial von der Arbeitsgruppe um A.L. Klatsky (19). Diese Befunde wurden in mehr als 12 prospektiven Studien an unterschiedlichsten Populationen einheitlich bestätigt (20-23). Es stellte sich heraus, daß bei moderatem Alkoholkonsum (definiert als 1-3 Gläser alkoholische Getränke täglich) lnzidenz und Mortalität der Koronaren Herzerkrankung am geringsten war, das heißt auch niedriger als bei völlig Abstinenten. Zur Erklärung der Daten ist – alternativ zu dem möglichen koronarprotektiven Effekt des Alkohols – der Verdacht geäußert worden, daß Abstinente ihren früheren Alkoholkonsum aufgrund einer Risikokonstellation oder beginnender kardialer Beschwerden aufgegeben haben könnten („Sick quitters“) und damit zum Zeitpunkt der Datenerfassung bereits ein erhöhtes Krankheitsrisiko hatten (23). Solche Fehlermöglichkeiten wurden in nachfolgenden prospektiven Studien bedacht und ausgeschlossen. Zwar fanden sich bei weiterer Differenzierung Morbidität und Letalität bei den „Quitters“ erhöht verglichen mit lebenslangen Abstinenzlern, aber auch diese hatten unter Berücksichtigung zahlreicher Risikofaktoren in unterschiedlichen Studiendesigns jeweils ein erhöhtes kardiales Risiko im Vergleich zu moderaten Alkoholkonsumenten.

In Fall-Kontroll-Studien lag das RR für Koronare Herzkrankheit bei moderatem Alkoholkonsum zusammenfassend bei etwa 0,5 und in prospektiven Studien bei 0,7 (20). Das RR des koronaren Herztodes war in prospektiven Untersuchungen entsprechend zwischen 0,5 und 0,8. Morbidität und koronare Letalität stiegen in diesen Studien bei unterschiedlich höheren Alkoholmengen (wieder) an, meist jedoch bei mehr als 3 bis 4 Getränken/d. Dadurch resultiert bei Alkoholkonsum ingesamt eine statistische Verteilung des Risikos im Sinne einer U- oder J-förmigen Kurve, d.h. ein mit höherem Alkoholkonsum assoziierter Anstieg anderer Todesursachen und der Gesamtetalität.

In der American Cancer Society Prospective Study, einer 12 Jahre dauernden prospektiven Untersuchung an 276000 Männern im Alter von 40 bis 59 Jahren, zeigte sich bei mehr als 3 „Drinks“/d ein Anstieg der Letalität infolge von Krebs, Unfällen, Suiziden und hämorrhagischen Hirninsulten (24). Ein günstiger Effekt auf die gesamte Sterblichkeit mit einem RR von 0,8 fand sich bei Gelegenheitstrinkern und regelmäßigem Konsum von 1 bis 2 alkoholischen Getränken/d. Aus der Nurses Health Study liegen entsprechende Daten von mehr als 85000 Frauen während eines Beobachtungszeitraums von 12 Jahren vor: Im Hinblick auf die Gesamtsterblichkeit war das RR bei gelegentlichem Alkoholkonsum (weniger als 1 Drink/d) auf 0,83 und bei moderatem Alkoholkonsum (1 bis 2 Drinks/d) auf 0,88 erniedrigt (22). Dieser Vorteil des moderaten Alkoholkonsums fand sich insbesondere bei Frauen über 50 Jahren und bei Frauen mit mindestens einem koronaren Risikofaktor; er war nicht mehr signifikant bei Frauen ohne jeden koronaren Risikofaktor. Bei starkem Alkoholkonsum war die Letalität durch nicht kardiovaskuläre Ursachen deutlich erhöht, insbesondere Tod durch Mammakarzinom oder Leberzirrhose.

In der Kaiser Permanente Study an 130000 Männern und Frauen ergab sich ein nur diskret reduziertes Risiko (RR = 0,9) für die Gesamtsterblichkeit. Männer erreichten diese Risikoreduktion bei 1 bis 2 alkoholischen Getränken/d, Frauen bei gelegentlichem, nicht täglichem Alkoholkonsum (21). Zur Begründung hierfür werden bekannte geschlechtsspezifische Unterschiede in der Metabolisierung von Alkohol herangezogen. Frauen erreichen bei äquivalenten Alkoholdosen eine höhere Alkoholkonzentration im Blut, die durch einen geringeren First-pass-Metabolismus bedingt ist (25). In einer Subgruppenanalyse zeigte sich weiter, daß insbesondere Raucher (RR = 0,7), Ex-Raucher (RR = 0,8) und die Altersgruppen über 60 Jahre (RR = 0,7-0,8) von einem moderaten Alkoholkonsum profitierten. Dies läßt erkennen, daß die protektive Wirkung des Alkohols besonders bei stärker ausgeprägtem Risikoprofil zum Tragen kommt. Auch eine finnische Untersuchung zeigte, daß die HDL bei Rauchern deutlicher ansteigen (26). In der Copenhagen Heart Study profitierten Männer mit hohen LDL-Werten deutlich mehr von moderatem Alkoholkonsum als Männer mit niedrigem LDL (27). Insgesamt ist in allen untersuchten Populationen der Nutzen eines moderaten Alkoholkonsums abhängig von der relativen Häufigkeit der Koronaren Herzkrankheit und der koronaren Letalität.

In einer kürzlich publizierten Untersuchung aus der Physician s Health Study gingen die Autoren daher der Frage nach, welche Bedeutung dem Alkoholkonsum als Sekundärprophylaxe bei manifester KHK zukommt (28). Es wurden 5358 Männer nach Myokardinfarkt über einen Beobachtungszeitraum von 5 Jahren untersucht; 920 Männer starben, davon 77% an kardiovaskulären Ereignissen. In allen Gruppen der Alkoholkonsumenten war die kardiovaskuläre Letalität und – überraschenderweise – auch die nicht kardiovaskuläre Letalität signifikant niedriger. Bei einer U-Verteilung des Risikos profitierten am meisten Männer mit 2 bis 6 Drinks/Woche (RR der Gesamtetalität = 0,72) und Männer mit einem Drink/d (RR = 0,79). Aufgrund der hohen absoluten Ereignisrate in der untersuchten Gruppe folgern die Autoren, daß der beobachtete Nutzen von klinischer Bedeutung ist. Sie schlagen vor, entsprechende Empfehlungen zum Alkoholkonsum für Patienten individuell unter Berücksichtigung der persönlichen nicht kardiovaskulären und suchtbedingten Risiken zu formulieren.

Auch zum Einfluß des chronischen Alkoholkonsums auf die Häufigkeit zerebrovaskulärer Insulte gibt es Daten aus größeren Untersuchungen. Übereinstimmend war das Risiko für ischämische Insulte leicht reduziert, allerdings das Risiko für hämorrhagische Insulte erhöht. In einer kürzlich publizierten Analyse aus der Copenhagen Heart Study wurde das Risiko nach vorwiegendem Bier-, Wein- oder Schnapskonsum (29) analysiert. Es wurden über 19000 Patienten 16 Jahre lang verfolgt. Abstinenzler und starke Trinker hatten gegenüber leichten und moderaten Alkoholkonsumenten ein erhöhtes Risiko für einen Schlaganfall; die Gruppenunterschiede waren allerdings nicht signifikant. Nach Aufschlüsselung zeigte sich bei Weintrinkern ein signifikant erniedrigtes Schlaganfallrisiko (RR = 0,59 bei gelegentlichem Konsum und 0,70 bei täglichem Konsum), während Bier- und Schnapstrinker keinen Nutzen gegenüber Abstinenzlern hatten. Da sich in den größeren Studien zur koronaren Letalität bislang kein Unterschied zwischen Wein und anderen alkoholischen Getränken fand, sind weitere Studien zur sicheren Bewertung des Alkoholkonsums im Hinblick auf das Risiko für Hirninsulte erforderlich.

In einer gerade publizierten Fall-Kontroll-Studie (34) aus New York mit 677 „Fällen“ und 1139 Kontrollen war bei moderatem Alkoholkonsum das Risiko für ischämische Schlaganfälle vermindert (Odds ratio: 0,51; Kl: 0,39-0,67), bei stärkerem Trinken (mehr als 7 Drinks/d) jedoch deutlich erhöht (Odds ratio: 2,96; Kl: 1,05-8,29).

Neben der akuten vasodilatatorischen Wirkung des Alkohols, die in früheren Jahrhunderten zur Behandlung Koronarkranker genutzt wurde, ist der blutdrucksteigernde Effekt bei chronischem Konsum gut dokumentiert. Aus Daten der Kaiser Permanente Study wurde errechnet, daß beim Überschreiten von 30 g Alkohol/d (etwa 0,5 l Bier oder 0,2 l Wein) ein weiterer Konsum von 10 g/d zu einer Blutdrucksteigerung von mindestens 2 mmHg systolisch und 1 mmHg diastolisch führt (19). Daten aus prospektiven und kontrollierten Studien zu diesem Thema waren bisher spärlich. Unlängst wurden nun die Ergebnisse der PATHS-Studie veröffentlicht (30). Es wurden 641 Männer untersucht mit einem Alkoholkonsum von mehr als 3 Getränken/d und diastolischen Blutdruckwerten zwischen 80 und 99 mmHg. 320 Patienten der lnterventions-Gruppe erhielten mindestens 15 Monate lang zusätzlich ein strukturiertes kognitives Alkoholreduktionstraining und 321 Patienten der Kontroll-Gruppe nur eine herkömmliche Behandlung. Am Ende des Beobachtungszeitraumes von 24 Monaten war der Alkoholkonsum in der lnterventions-Gruppe von 4,4 auf 2,0 Drinks/d zurückgegangen. In der Kontroll-Gruppe war der Alkoholkonsum nur um 1,1 Drinks/d zurückgegangen. Die Blutdrucksenkung in der lnterventions-Gruppe war nur geringfügig und nicht signifikant um 1,2/0,7 mmHg ausgeprägter als in der Kontroll-Gruppe. In der Subgruppe mit diastolischen Blutdruckwerten über 90 mmHg fiel die Blutdrucksenkung noch geringer aus. Die Autoren folgern aus diesen Ergebnissen, daß bei Patienten mit leichter oder mittelschwerer arterieller Hypertonie und deutlichem Alkoholkonsum durch eine Reduktion des Alkoholkonsums keine klinisch relevante Blutdrucksenkung erreicht werden kann. Dies sollte bei Empfehlungen zu Änderungen des Lebensstils berücksichtigt werden.

Ähnlich wie bei der im AMB schon mehrfach diskutierten angeblich kardioprotektiven Wirkung von Östrogenen/Gestagenen muß jedoch festgestellt werden, daß die Beziehung zwischen moderatem Alkoholkonsum und kardiovaskulärer Morbidität bzw. Letalität streng genommen bisher nur assoziativ ist. Es könnte sein, daß komplexe psychische und somatische Personenmerkmale die gemeinsame Grundlage für die Freude an einem Glas Bier oder Wein und der verminderten kardiovaskulären Sterblichkeit sind. Somit ist letztlich nicht bewiesen, ob niedriger Alkoholkonsum eine direkte Ursache der verminderten Letalität ist.

Da randomisierte klinische Studien zum Alkoholgenuß nicht durchgeführt werden können, sind Empfehlungen nur aus den umfangreichen epidemiologischen Daten abzuleiten. In einer unlängst veröffentlichten Stellungnahme der American Heart Association zu diesem Thema wird darauf hingewiesen, daß in den USA zwar über 100000 Todesfälle/Jahr alkoholbedingt sind, andererseits aber rechnerisch etwa 80000 Todesfälle jährlich neu zu erwarten wären, wenn alle Personen mit moderatem Alkoholkonsum zu Abstinenzlern würden. Die Autoren sprechen für die Beratung von Patienten u.a. folgende Empfehlungen aus (31):
1. Patienten mit Pankreatitis, Herzinsuffizienz, speziellen Bluterkrankungen, Hypertriglyzeridämie, Lebererkrankungen, unkontrollierter Hypertonie oder Alkoholismus in der Familienanamnese sowie Schwangere sollten in keiner Form Alkohol konsumieren.
2. Bei fehlenden Kontraindikationen ist moderater Alkoholkonsum (1-2 Getränke/d) im Hinblick auf gesundheitliche Risiken als sicher zu bewerten.
3. Bei höherem Konsum oder bei Problemtrinken sollte eine Gegenempfehlung ausgesprochen werden.

Bei mehr als 2 alkoholischen Getränken/d erhöhen sich die Risiken, insbesondere bei Frauen. Außerdem ist zu bedenken, daß die durchschnittlich konsumierte Alkoholmenge in einer Bevölkerung eng korreliert ist mit der Häufigkeit des Alkoholabusus (32). Eine generelle Empfehlung zu moderatem Alkoholkonsum könnte somit zu einer erhöhten Prävalenz starker Trinker führen und sollte daher nicht explizit ausgesprochen werden.

Die heutige Bewertung des Alkoholkonsums erfolgte im wesentlichen bereits 1884 durch den Münchener Arzt K. Bollinger, den Beschreiber des „Münchener Bierherzens“, als Form einer alkoholtoxischen Myokardiopathie: „Während bei mäßigem Genuß vom hygienischen Standpunkt Bier als Genußmittel unerreichbare Vorzüge besitzt, ist der Abusus, wie auch bei anderen Spirituosen, gesundheitlich von größten Gefahren begleitet“ (33).

Literatur

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