Obwohl eine Senkung der kardiovaskulären Sterblichkeit bei arterieller Hypertonie bislang nur durch Modifikationen des Lebensstils, durch Betarezeptoren-Blocker und durch Diuretika eindeutig nachgewiesen ist (seit kurzem auch für die ACE-Hemmer, s. AMB 1999, 33 ,28a), wurden in den vergangenen Jahren zunehmend die teureren Kalziumantagonisten und ACE-Hemmer verordnet. Mit jeweils über 30% Marktanteil wurden sie deutlich häufiger verschrieben als Beta-Blocker und Diuretika zusammen (nur 19%). Diese Verordnungspraxis widerspricht den bisherigen Empfehlungen der nordamerikanischen und der deutschen Fachgesellschaften (s. AMB 1998, 32, 33). Danach sollen ACE-Hemmer und Kalziumantagonisten nur bei bestimmten Begeiterkrankungen als Mittel der Wahl eingesetzt werden.
Es stellt sich also die Frage, warum diese beiden Substanzklassen entgegen den vorliegenden bzw. bei (noch) nicht vorliegenden wissenschaftlichen Daten, entgegen den Empfehlungen der Fachgeseschaften und entgegen der Ökonomie so häufig verordnet werden. Wird die Auswahl von Hochdruckmitteln stärker von der Werbung diktiert als von klinischen Wirksamkeitsnachweisen? Gerne weisen Ärzte diese Verdächtigung von sich. In Umfragen geben höchsten 5% der Ärzte an, daß die Werbung für sie eine wichtige Informationsquelle ist. Wie groß ist der Einfluß der Werbung aber tatsächlich?
Eine Gruppe aus dem Institut für Gesundheitspolitik der Harvard-Universität hat sich mit dieser Frage beschäftigt. Sie hat die weltweit am meisten gelesene Medizinzeitschrift, das New England Journal of Medicine, auf ihre Werbeinhalte und speziell auf die Häufigkeit der Werbung für Antihypertensiva untersucht und das Ergebnis kürzlich in Circulation veröffentlicht (Wang, T.J., et al.: 1999, 99, 2055).
Dabei fiel auf, daß in den letzten 11 Jahren die Werbung für Diuretika und Betarezeptoren-Blocker immer seltener wurde: 1985 zusammen 17% aller Anzeigen, 1996 keine mehr. Demgegenüber nahm die Werbung für ACE-Hemmer in den 80er Jahren erheblich zu und sank danach wieder (1985: 3,5%, 1988: 19,6% und 1996: 4,3% aller Anzeigen). Am deutlichsten waren die Zuwachsraten bei der Werbung für Kalziumantagonisten (1985: 4,6% und 1996: 26,9%, d.h., nahezu ein Drittel aller Anzeigen). Damit waren die Kalziumantagonisten – zumindest in der untersuchten Zeitschrift – mit Abstand die am stärksten beworbene Substanzgruppe. In etwa dem gleichen Zeitraum nahmen in den USA die Verordnungen der Kalziumantagonisten um den Faktor 90 und die der ACE-Hemmer um den Faktor 30 zu.
Ob tatsächlich eine Kausalität zwischen Werbung und Verordnungshäufigkeit besteht, läßt sich nicht schlüssig beweisen. Welche Faktoren aber – außer der Werbung – könnten dazu geführt haben, daß diese Mittel häufiger verordnet werden? Etwa das „günstigere Nebenwirkungsprofil von Kalziumantagonisten“ oder der „nephro- und kardioprotektive Effekt der ACE-Hemmer“? Sind nicht auch diese Eigenschaften inzwischen zu „Werbe-Slogans“ geworden? Es ist zu vermuten, daß von den Werbeanzeigen doch mehr ins Unterbewußtsein dringt als erwünscht. Beim Schreiben des Rezepts kommt sicher bei vielen Ärzten die Erinnerung an die Werbung, und sie entscheiden sich für das neuere Medikament. Aber zum Glück gibt es ja noch Informationsquellen ohne diese täuschenden Geister.