Zu diesem Thema hat im Dezember 2001 Andrew Herxheimer, der Senior-Präsident der International Society of Drug Bulletins (ISDB), anläßlich eines Vortrags in Luxemburg Feststellungen gemacht und Forderungen aufgestellt, die von den Aufsichtsbehörden umgesetzt werden sollten. Sie sind aber auch für das Verordnungsverhalten der Ärzte und für die Beratungstätigkeit der Apotheker von Bedeutung. Daher wollen wir sie im folgenden referieren.
Die Zulassung von Medikamenten geschieht auf der Grundlage vorklinischer und klinischer Untersuchungen, die der Hersteller bei der Zulassungsbehörde einreicht. Sie wurden geplant und durchgeführt, um die Wirksamkeit und Verträglichkeit bei speziell ausgewählten Patienten nachzuweisen. Die Untersuchungen sind jedoch nicht in der Lage zu zeigen, was bei „Routinepatienten“ in der Praxis passieren wird. Sie sind auch nicht geeignet, seltene Nebenwirkungen zu entdecken. Daher ist in den ersten „Lebensjahren“ eines Medikaments viel mehr über seine Effektivität und seinen Nutzen bekannt als über seine Nachteile. Risiken und Nebenwirkungen kennenzulernen, erfordert eine längere, sehr sorgfältige Beobachtung. Die Spontanerfassung bei Ärzten und Apothekern sind nützlich, entdecken aber weniger als 10%. Wenn es gelänge, Patienten in die Lage zu versetzen, Nebenwirkungen zu melden, würde dies den Prozentsatz der entdeckten Nebenwirkungen sicher erheblich steigern. Werden Patienten andrerseits nicht einbezogen, wird ihnen die Fähigkeit abgesprochen, wichtige Informanten zu Wirkungen und Nebenwirkungen von Arzneimitteln zu sein.
Es wäre hilfreich, neue Medikamente, deren Nebenwirkungen noch nicht ausreichend bekannt sind, zu kennzeichnen und aufzulisten. Alle Patienten, denen ein solches Medikament angeboten und verschrieben wird, werden gleichzeitig mit der Verordnung aufgefordert, Nebenwirkungen zu melden. Sie könnten durch ein Symbol auf der Verpackung und der Packungsbeilage darüber informiert werden, daß sie ein neues Medikament erhalten (s.a. Lancet 2001, 358, 1872). In den Praxen der Ärzte und in den Apotheken könnten Informationsblätter über den Umgang mit neuen Medikamenten ausliegen, die nochmals darüber informieren was, wann und wohin gemeldet werden soll.
Der Verordnung neuer Medikamente muß natürlich ein aufklärendes Gespräch vorausgehen. Werden Patienten in die Risikoanalyse mit einbezogen, werden sie später sich selbst und anderen auch weniger Vorwürfe machen können, wenn sich der Erfolg nicht einstellt. Die Voraussetzungen, richtig informieren zu können, sollten auch von der Politik, den Krankenkassen und der Industrie geschaffen werden. Die „freien“ Arzneimittelzeitschriften sind bereits in diesen Prozeß eingebunden.
Die aktive Teilnahme der Patienten an der Pharmakovigilanz würde allen zum Vorteil gereichen: Fragen und Probleme der Patienten könnten eher erkannt und bearbeitet werden. Die Öffentlichkeit würde wieder Vertrauen entwickeln, daß Nebenwirkungen rechtzeitig erkannt und bekannt gemacht werden. Die Ärzte würden rascher Informationen über das Nutzen/Risiko-Verhältnis neuer Medikamente erhalten. Die Krankenkassen würden seltener die Behandlung von Nebenwirkungen finanzieren müssen. Auch würden sie Kosten sparen, wenn teure neue, unnötige Arzneimittel seltener verordnet würden. Die Industrie würde rascher echte Fortschritte machen können, wenn sie früher von den Nachteilen und Gefahren ihrer Produkte erführe.
Ein realistischer, offener Informationsaustausch zwischen allen Beteiligten, die Erfahrungen mit neuen Medikamenten in der Praxis haben, würde eine konstruktive Atmosphäre schaffen zwischen gesundheitsorientierten und umsatzorientierten Institutionen. Überall sollten daher neu auf den Markt gekommene Medikamente gekennzeichnet werden. Wo könnte man besser damit anfangen als in Europa?