Die Therapie der Adipositas (s. AMB 2000, 34, 9) ist meist ein schwieriges Unterfangen für Patienten und behandelnden Arzt. Führen Umstellung der Ernährung und vermehrte körperliche Bewegung nicht zur gewünschten Gewichtsabnahme, kommen orale Antiadiposita in Frage. Gerade bei Patienten mit kardialen Risikofaktoren steht der Arzt unter Erfolgsdruck. In der Praxis wird auch bei adipösen Patienten mit bekannter, asymptomatischer koronarer Herzkrankheit nicht selten erwogen, Sibutramin (Reductil), ein Serotonin- und Noradrenalin-Reuptake-Hemmer, zu verordnen. Dieses Vorgehen kann jedoch fatale Folge haben.
In Italien wurde Sibutramin wegen sieben schwerer, unerwünschter Arzneimittelwirkungen (UAW) und zweier Todesfälle durch Herzversagen im März 2002 vom Markt genommen.
In Kanada sind von Dezember 2000 bis Februar 2002 insgesamt 28 Fälle ernster UAW dokumentiert worden. Dabei handelt es sich überwiegend um UAW, die schon vor der Markteinführung von Sibutramin bekannt waren. Unter anderen sind dies erhöhte Blutdruckwerte, Brustschmerzen, Arrhythmien, Schlaganfall und Sehstörungen durch Hämorrhagien, Augenschmerzen und Glaukomanfälle, Krampfanfälle und manische Episoden bei bipolaren Erkrankungen (1).
In den USA fordert die große Verbraucherorganisation Public Citizen vor dem Hintergrund zahlreicher schwerer UAW von der amerikanischen Zulassungsbehörde (FDA) ein Aussetzen der Zulassung für Sibutramin. Innerhalb von 44 Monaten wurden 397 Zwischenfälle gemeldet, die zu 152 Krankenhausaufnahmen und 29 Todesfällen führten. Als Todesursache wurde bei 19 Patienten Herzversagen angegeben. Davon waren zehn Patienten unter 50 Jahren und sogar drei Frauen im Alter unter 30 Jahren betroffen (2). In einer der FDA vorliegenden Studie veränderte sich das EKG (ventrikuläre Extrasystolen, Vorhofflimmern, Linksschenkelblock, Erregungsrückbildungsstörungen) bei Patienten der Verum-Gruppe dreimal häufiger als in der Plazebo-Gruppe. Unter der Medikation mit Sibutramin traten acht apoplektische Insulte auf, unter Plazebo nur einer.
Die Herstellerfirma Abbott bestreitet die Vorwürfe und verweist in einem Schreiben an die FDA (3) darauf, daß das Präparat bei Patienten mit Kontraindikationen, wie z.B. Koronarer Herzkrankheit, angewendet worden sei und es sich bei den adipösen Patienten um eine Klientel mit erhöhter Letalität handele.
Nach Auskunft des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte in Bonn (BfArM) sind auch in Deutschland Todesfälle unter der Komedikation von Sibutramin aufgetreten (4). Vom zuständigen Europäischen Ausschuß für spezielle Arzneimittelfragen (Committee for Proprietary Medicinal Products = CPMP) wurde die Zulassung bereits im Juni 2002 erneut geprüft und nicht zurückgezogen. Der Ausschuß bewertet das Risiko-Nutzen-Verhältnis positiv und verweist auf die Notwendigkeit weiterer Studien (5).
Bei den meisten Adipösen steht nicht das kosmetische Problem im Vordergrund der therapeutischen Bemühungen, sondern das erhöhte kardiovaskuläre Risiko. Die bisher dokumentierten Zwischenfälle belegen gut, daß die UAW von Sibutramin genau das Spektrum von Symptomen umfassen, das bei Adipösen eigentlich behandelt bzw. prophylaktisch behandelt werden sollte. Das kardiovaskuläre Risiko nimmt jedoch unter Sibutramin zu.
Sollte sich der behandelnde Arzt dennoch zu einer Therapie mit Sibutramin entschließen, dann empfehlen sich neben einer ausführlichen Anamnese mit Ausschluß von Kontraindikationen regelmäßige Kontrollen des Blutdrucks und der Herzfrequenz. Sie sollten vor der Therapie und alle zwei Wochen innerhalb der ersten drei Monate, danach alle ein bis drei Monate erfolgen. Eine Erhöhung des Pulses um 10 Schläge pro Minute oder des Blutdrucks um 10 mmHg bei zwei aufeinander folgenden Visiten sind Kriterien für einen Therapieabbruch. Als absolute Kontraindikationen für Sibutramin gelten: Koronare Herzkrankheit, Herzinsuffizienz, Arrhythmien, zerebrovaskuläre Erkrankungen, schlecht eingestellter Hypertonus mit Werten > 145/90 mmHg. Also keine Behandlung ohne vorheriges Belastungs-EKG (mindestens!). Weitere Kontraindikationen sind: Anorexie, Bulimie, die Vormedikation mit MAO-Hemmern, selektiven Serotonin-Reuptake-Inhibitoren und das Engwinkel-Glaukom. Daten zur Arzneimittelsicherheit bei Patienten mit Nieren- und Leberinsuffizienz und bei stillenden Müttern liegen nicht vor.
Fazit: Bis jetzt ist keine Studie publiziert, die eine Senkung der Letalität durch die medikamentöse Therapie der Adipositas zeigt. Da aber ernst zu nehmende UAW unter Sibutramin nicht selten vorkommen, muß endlich eine Studie initiiert werden, mit der überprüft werden kann, ob Antiadiposita überhaupt in der Lage sind, Folgekrankheiten zu verhindern und das Leben zu verlängern. Solange eine solche Studie nicht vorliegt, ist eine Risiko-Nutzen-Vergleich nicht möglich und die Gabe von Sibutramin nicht ratsam.
Literatur