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Wie exakt werden die Empfehlungen des ”International Committee of Medical Journal Editors (ICMJE)” zu Verträgen zwischen medizinischen Hochschulen und Industrie in den USA beachtet?

Klinische Forschung wird in den USA und natürlich auch in Deutschland häufig durch Verträge zwischen medizinischen Hochschulen und kommerziellen Sponsoren geregelt. Diese Verträge, insbesondere bei multizentrischen Therapiestudien, lassen den Klinikern meistens wenig Mitspracherecht bei der Planung von Studien, kaum Zugang zu den Rohdaten und eine unzureichende Beteiligung an der Interpretation der Ergebnisse. Da das Mitwirken als Autor bei der Publikation derartiger multizentrischer Therapiestudien gleichzeitig Verantwortung für die Ergebnisse und Unabhängigkeit von kommerziellen Interessen des Sponsors beinhalten sollte, hat das ICMJE im vergangenen Jahr seine Empfehlungen zur Abfassung von Forschungsverträgen zwischen medizinischen Hochschulen, Klinikern und kommerziellen Sponsoren revidiert (1). Neben uneingeschränkter Offenlegung möglicher Interessenkonflikte von Autoren, externen Gutachtern und Verfassern von Leitartikeln wurde in diesen Empfehlungen besonderer Wert auf die Unabhängigkeit der Wissenschaftler bei der Planung der Studien, Erheben, Auswerten und Interpretieren der Ergebnisse sowie bei der Publikation gelegt. An diesen Richtlinien waren die Herausgeber von insgesamt 12 internationalen medizinischen Zeitschriften (darunter auch drei europäische, jedoch keine deutsche) maßgeblich beteiligt. Vor dem Hintergrund der immer engeren Verbindungen zwischen Ärzten und Industrie in der biomedizinischen Forschung (vgl. AMB 2002, 36, 43) und transparent gewordener Konflikte zwischen Autoren, Universitäten und pharmazeutischer Industrie bei der Publikation ungünstiger Therapieergebnisse (2) ist es sehr wichtig, daß diese Empfehlungen eingehalten werden.

Inwieweit die ICMJE-Empfehlungen an medizinischen Hochschulen in den USA bei vertraglichen Vereinbarungen mit industriellen Sponsoren im Rahmen multizentrischer klinischer Studien tatsächlich beachtet werden, hat eine Umfrage der Duke Universität in Durham (USA) untersucht (3). Von 108 der 122 kontaktierten medizinischen Hochschulen wurden auswertbare Antworten auf insgesamt 22 Fragen erhalten, die im Rahmen eines strukturierten Telefoninterviews gestellt wurden. Zahlreiche Fragen bezogen sich direkt auf die Empfehlungen der ICMJE und betrafen z.B. die vertraglichen Vereinbarungen hinsichtlich Erfassung und Interpretation der Daten, Zugang zu den Ergebnissen aller an der Studie beteiligten Kliniken, Existenz eines unabhängigen ”data and safety monitoring board” sowie Fragen zur Sponsor-unabhängigen Publikation der Studie. Die Ergebnisse dieser Auswertung wurden als medianer ”Compliance Score” angegeben, der für jede Frage den Prozentsatz der Hochschulvereinbarungen angibt, in denen der jeweilige Gegenstand der Frage vertraglich berücksichtigt wurde. Gleichzeitig wurde an 10 medizinischen Hochschulen vor Ort die Übereinstimmung zwischen Antworten im Telefoninterview und tatsächlich getroffenen Vereinbarungen überprüft. Die Ergebnisse der Umfrage sind außerordentlich ernüchternd und verdeutlichen, daß die medizinischen Hochschulen nur selten die Empfehlungen der ICMJE beachten. So lag der mediane ”Compliance Score” nur bei 5% hinsichtlich des Vorhandenseins eindeutiger Vereinbarungen zur Datenauswertung und -interpretation. Nur in 1% der analysierten Vereinbarungen wurde explizit der ungehinderte Zugang zu allen im Rahmen der multizentrischen Studie erhobenen Daten den Autoren garantiert, und ebenfalls nur in 1% wurde in Verträgen ein unabhängiges ”data and safety monitoring board” gefordert. Der ”Compliance Score” für Vereinbarungen, die eine Publikation der Studie unabhängig von den Ergebnissen verlangten, lag ebenso wie der Score, für ein unabhängiges Komitee, das die Anfertigung des Manuskripts und dessen Publikation kontrolliert, bei 0%. Demgegenüber wurde in den meisten Vereinbarungen das Beachten der Vertraulichkeit sowie das Einhalten des Therapieprotokolls klar geregelt. Nur 17 der medizinischen Hochschulen gaben an, daß das lokale ”institutional review board” (entspricht unseren Ethikkommissionen) routinemäßig die zwischen Hochschule und kommerziellem Sponsor getroffenen Vereinbarungen begutachtet. Die Validierung der Ergebnisse des Telefoninterviews vor Ort ergab, daß die Teilnehmer das Befolgen der Richtlinien in ihrer Institution eher über- als unterschätzten.

Fazit: Medizinische Hochschulen in den USA, in denen regelmäßig klinische Forschungsprojekte durchgeführt werden, beachten nur wenig die ICMJE-Empfehlungen bezüglich Verantwortlichkeit und ungehindertem Zugang der beteiligten Wissenschaftler zu allen Daten der Studie sowie zur Sponsor-unabhängigen Publikation der Ergebnisse. Auch in Deutschland ist ein Umdenken hinsichtlich der vertraglichen Vereinbarungen mit industriellen Sponsoren in multizentrischen Studien und eine Kontrolle der getroffenen Vereinbarungen durch Ethikkommissionen dringend notwendig. Die ICMJE-Empfehlungen müssen zur Kenntnis genommen und besser eingehalten werden, auch um die ethischen Verpflichtungen der Mediziner gegenüber den beteiligten Patienten stärker als in der Vergangenheit zu berücksichtigen. Nur auf diesem Weg kann das Vertrauen der Öffentlichkeit und der Patienten in klinische Forschung bewahrt bzw. wiederhergestellt werden.

Literatur

  1. Davidoff, F., et al.: N. Engl. Med. 2001, 345, 825.
  2. Nathan, D.G., und Weatherall, D.J.: N. Engl. J. Med. 2002, 347, 1368.
  3. Schulman, K.A., et al.: N. Engl. J. Med. 2002, 347, 1335.