Dr. L.B. aus Mühlheim schreibt zu unserer Kleinen Mitteilung über die PROSPER-Studie (1): >> Dieser Artikel haut einen um. Ihr schon prima vista exotisches Fazit lautet: ”Die PROSPER-Studie bestätigt den protektiven Effekt von Statinen … auch bei alten Menschen mit hohem kardiovaskulärem Risiko.” Damit behaupten Sie im Ernst, die alte Generation sollte mit Statinen behandelt werden. Aus Tab. 1 gehen NNT hervor, die Ihr Fazit desavourieren. NNT im dreistelligen Bereich – damit wird das ganze zur Witzveranstaltung. Sie setzen Ihren guten Ruf aufs Spiel, wenn Sie weiter den blinden Fleck Ihrer Konklusionen zum Thema Lipidtherapie pflegen. <<
Antwort: >> Wir danken für Ihren kritischen, salopp formulierten Brief. Kleine Mitteilungen im ARZNEIMITTELBRIEF sind jedoch – von Ausnahmen abgesehen – keine „Witzveranstaltungen“, sondern ernstgemeinte, möglichst quantitativ begründete Beiträge, die dem praktisch tätigen Arzt bei seinen therapeutischen Entscheidungen helfen sollen. Denn er muß ja versuchen, sein knappes Budget so einzusetzen, daß möglichst viel „Gesundheit“ wiederherstellt wird. Deshalb müssen ihm auch Zahlen an die Hand gegeben werden, mit deren Hilfe er den Wert einer Therapie abschätzen kann. Die NNT pro Jahr sind solche statistischen Maßzahlen (7). Sie sagen, wie viele Patienten behandelt werden müssen, damit bei einem der gewünschte Effekt erzielt wird. Natürlich müssen die NNT im Zusammenhang mit der Bedrohung durch die Erkrankung und die UAW bewertet werden. Für die meisten Medikamente gibt es solche NNT leider nicht; ihre Wirksamkeit ist daher nicht genau belegt. Bei anderen sind sie sehr hoch, d.h. die Wirksamkeit ist gering, bei anderen sind sie niedrig, d.h. ihre Wirksamkeit ist gut. Durch Vergleich der NNT kann man also abschätzen, welche Therapieziele mit welchem Aufwand und welchem Präparat erreicht werden können. Als Beispiel fügen wir eine Tabelle an mit Studienergebnissen zur Prophylaxe von Herzinfarkt und Schlaganfall, zwei Erkrankungen, bei denen sich wegen der oft schweren körperlichen Auswirkungen quantitative Therapievergleiche besonders lohnen (Tab. 1).
PROSPER- und HPS-Studie haben wir eingehend besprochen. Sie zeigen, daß Herzinfarkte und Schlaganfälle quantifizierbar vermindert werden können. Etwa 120 Patienten müssen ein Jahr lang behandelt werden (s. Tab. 1). Das Leben dieser alten Menschen wird allerdings (nach PROSPER) dadurch nicht verlängert.
STOP-Hypertension ist eine alte, noch plazebokontrollierte Hypertonie-Studie, die gezeigt hat, daß sich die Blutdrucksenkung (hier mit Beta-Blockern und Diuretika um etwa 20 mmHg) auch in höherem Lebensalter lohnt. Der Effekt ist deutlich größer als der der Statine (s.o.). Auch die HOPE-Studie haben wir eingehend referiert. Hier wurden Patienten mit leichter Hypertonie (erstaunlicherweise) plazebokontrolliert mit ACE-Hemmern behandelt. Der Effekt, den man bei diesen Patienten erreichen kann, ist entsprechend gering.
Die ALLHAT-Studie vergleicht nun nicht Verum mit Plazebo, sondern Verum mit einer andern Therapie und zwar Chlortalidon (Hygroton) mit Lisinopril (Acerbon u.a.). Es ergibt sich: selbst wenn man tausend Patienten mit Lisinopril behandelt, findet sich durch die „moderne“ Behandlung mit diesem ACE-Hemmer kein Vorteil gegenüber Chlortalidon, weder im Hinblick auf die Lebenserwartung noch was die Zahl der Herzinfarkte angeht.
ALLHAT-LLT ist die erste große Statin-Studie, die keinen Effekt gezeigt hat. Sie steht mit ihrer Aussage im Gegensatz zu HPS und PROSPER. Diesen Befund wird der Arzt in das Mosaik der Fakten einbauen müssen, das er seinen therapeutischen Entscheidungen zu Grunde legt. Er wird z.B. zu berücksichtigen haben, daß 30% der „unbehandelten“ Patienten in der ALLHAT-LLT-Studie Statine eingenommen haben.
Der quantitative Vergleich von Therapieeffekten ist eine sehr wichtige Voraussetzung für eine verantwortliche Therapie. Sind die NNT zu hoch, kann man mit den zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln die entsprechenden Ziele möglicherweise nicht erreichen. Das ist nicht witzig, sondern traurig. Es ist die Pharmako-Ökonomie, die in einem blinden Fleck unserer Gesellschaft liegt, sonst würden doch nicht so viele Medikamente verordnet, bei denen die NNT unendlich groß ist, d.h., die keinen Nutzen erwarten lassen (8). Würde auf solche „Medikamente“ verzichtet, hätten wir auch Geld für Medikamente gegen bedrohliche Erkrankungen, selbst wenn ihre NNT nur im „dreistelligen Bereich“ liegt.<<
Literatur
- Shepherd, J., et al. (PROSPER = PROspective Study of Pravastatin in the Elderly at Risk): Lancet 2002, 360, 1623; s.a. AMB 2002, 36, 91.
- HPS (Heart Protection Study): Lancet 2002, 360, 7 und 23; s.a. AMB 2002, 36, 69a.
- STOP-Hypertension (= Swedish Trial in Old Patients with Hypertension): Clin. Exp. Hypertens. 1993, 15, 925; s.a. AMB 1994, 28, 81 und 2000, 34, 29.
- HOPE (= Heart Outcomes Prevention Evaluation): N. Engl. J. Med. 2000, 342, 145; s.a. AMB 2000, 34, 14.
- ALLHAT (= Antihypertensive and Lipid-Lowering Treatment to Prevent Heart Attack Trial): JAMA 2002, 288, 2981; s.a. AMB 2003, 37, 12.
- ALLHAT-LLT (= Antihypertensive and Lipid-Lowering Treatment to Prevent Heart Attack Trial): JAMA 2002, 288, 2998.
- AMB 2002, 36, 71c.
- AMB 2003, 37, 1.