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Betablocker als eines der Mittel der ersten Wahl bei essentieller Hypertonie erneut in Frage gestellt

In der diesjährigen Januarausgabe des AMB fanden Sie einen Artikel mit dem Thema „Schlechte Nachrichten über Atenolol als Antihypertensivum” (1). Diesem Artikel lag eine Metaanalyse von B. Carlberg et al. (2) zugrunde, in der die Effekte einer antihypertensiven Therapie, basierend auf Atenolol, hinsichtlich kardiovaskulärer Letalität, Herzinfarkt und Schlaganfall im Vergleich mit Plazebo bzw. anderen antihypertensiven Regimen verglichen wurden. Im Vergleich mit Plazebo reduzierte Atenolol nur das Schlaganfallrisiko signifikant. Im Vergleich mit anderen antihypertensiven Regimen war Atenolol bei einer mittleren Behandlungsdauer von 4,6 Jahren hinsichtlich Gesamtletalität und kardiovaskulärer Letalität sowie der Inzidenz von Schlaganfällen signifikant unterlegen.

Lindholm, Carlberg und Samuelson aus Schweden (3) erweiterten jetzt ihre Metaanalyse auf alle größeren Therapiestudien bei Patienten mit „essentieller” Hypertonie, in denen die Effekte von Betablockern auf die klinischen Endpunkte Herzinfarkt, Schlaganfall und Gesamt-Letalität mit denen anderer antihypertensiver Regime oder mit Plazebo bzw. Nicht-Therapie verglichen wurden. Auf der Betablockerseite mussten in den berücksichtigten Studien mindestens 50% der Patienten einen Betablocker als Hauptmedikament (first line) erhalten haben. Die Auswertung wurde nach den Gesichtspunkten „alle Betablocker”, „Betablocker ohne Atenolol” und „Betablocker plus Diuretikum” (meist Hydrochlorothiazid plus Amilorid) durchgeführt. Die verschiedenen antihypertensiven Vergleichs-Medikamente aus 18 Studien sind einer Tabelle der Veröffentlichung zu entnehmen.

Ergebnisse: Unter der Behandlung mit Betablockern kam es im Vergleich mit anderen Regimen zu 16% mehr Schlaganfällen (Relatives Risiko = RR: 1,16; Konfidenzintervall = CI: 1,04-1,30). Bei der Letalität und der Häufigkeit von Schlaganfällen ergaben sich keine signifikanten Unterschiede. In Bestätigung der oben referierten Daten fiel die Auswertung von Atenolol allein versus andere Therapieformen deutlich ungünstiger aus als für die Gesamtgruppe der Betablocker. Für Nicht-Atenolol-Betablocker waren die Ergebnisse nicht signifikant, jedoch ergab sich eine ungünstige Tendenz hinsichtlich Schlaganfällen. Allerdings beruhen diese Ergebnisse weitestgehend auf einer 1985 publizierten MRC-Studie, in der Propranolol mit dem Diuretikum Bendroflumethazid verglichen wurde (4). In dieser Studie war das Schlaganfallrisiko unter Propranolol (für 4 Jahre) mit einem RR von 2,28 (CI: 1,31-3,95) signifikant höher als mit dem Diuretikum – vielleicht erklärbar durch geringere Blutdrucksenkung unter Propranolol. Wurden Betablocker plus Diuretika mit anderen Antihypertensiva verglichen, dann ergab sich hinsichtlich Schlaganfall eine günstige Tendenz für andere Medikamente (RR: 1,09; CI: 0,98-1,21), während die Ergebnisse hinsichtlich Herzinfarkt und Letalität fast identisch waren.

Im Vergleich mit Plazebo oder Nicht-Therapie hatten „alle Betablocker” einen signifikant protektiven Effekt gegen Schlaganfall (RR: 0,81; CI: 0,71-0,93), während die Protektion gegen Herzinfarkt und Letalität mit RR-Werten von 0,93 bzw. 0,95 tendenziell vorhanden, aber nicht signifikant war. Die Autoren heben hervor, dass die Protektion durch „alle Betablocker” gegen Schlaganfall mit ca. 19% in den umfangreichen neueren Studien deutlich niedriger ausfällt als in einer wichtigen Referenz-Publikation von 1990 (5), die eine Reduktion um 38% ergeben hatte. Die Autoren behaupten nicht, dass Betablocker in der Reduzierung von Endpunkten wirkungslos seien, sie seien aber suboptimal und sollten nicht mehr gleichrangig mit anderen Substanzen für die Primärtherapie der essentiellen Hypertonie empfohlen werden.

Die Metaanalyse von Lindholm et al. (3) wurde nach Angaben der Autoren weder von Pharma-Firmen noch anderweitig extern gesponsert.

In einem lesenswerten Kommentar zum Artikel von Lindholm et al. (3) aus der Feder von G. Beevers aus Birmingham (6), wie auch schon in einem früheren Artikel dieses Autors (7), wird eine Revision von Therapierichtlinien der Hypertonie hinsichtlich des Einsatzes von Betablockern ebenfalls empfohlen. Beevers erwähnt zwar mögliche günstigere Wirkungen neuerer Betablocker wie Carvedilol und Nebivolol mit einer gewissen vasodilatatorischen Wirkung, bezweifelt jedoch, dass mit diesen Medikamenten bei unkomplizierter essentieller Hypertonie jemals Langzeit-Vergleichsstudien mit harten klinischen Endpunkten durchgeführt werden. Der Kommentator hebt auch den besonderen Wert von Betablockern bei Patienten mit hyperkinetischem Herzsyndrom und bei ängstlich-unruhigen Hypertonikern hervor.

Wir hatten 2003 die ALLHAT-Studie (8) und die Netzwerk-Metaanalyse zum Stellenwert der einzelnen Antihypertensiva von Psaty besprochen (9). Daraus ging bereits hervor, dass Betablocker nicht mehr erste Wahl für die Behandlung der unkomplizierten Hypertonie sind, im Gegensatz z.B. zu Diuretika. Lindholm et al. (3) bestätigen diese Ergebnisse.

Fazit: Der besondere Wert von Betablockern für die Prävention von Endpunkten bei Hypertonikern mit Zustand nach Herzinfarkt und/oder Herzinsuffizienz (auch unabhängig vom Blutdruck) sollte nicht auf Patienten mit unkomplizierter primärer Hypertonie extrapoliert werden. Bei letzteren sollten Betablocker in Zukunft in besonderen klinischen Situationen (unruhige Patienten, Tachykardieneigung, supraventrikuläre Rhythmusstörungen) unter Beachtung von Kontraindikationen, niedrig dosiert und möglichst nicht als Monotherapie eingesetzt werden. Es besteht kein ausreichender Grund, bei Hypertonikern, bei denen Betablocker gut wirksam sind und gut vertragen werden, jetzt schnell das Pferd zu wechseln. Im Fall eines geplanten Therapiewechsels müssen Betablocker „ausgeschlichen” und schrittweise durch andere Antihypertonika ersetzt werden.

Literatur

  1. AMB 2005, 39, 4.
  2. Carlberg, B., et al.: Lancet 2004, 364, 1684.
  3. Lindholm, L.H., et al.: Lancet 2005, 366, 1545.
  4. Medical Research Council Working Party: Brit. Med. J. 1985, 291, 97.
  5. Collins, R., et al.: Lancet 1990, 335, 827.
  6. Beevers, D.G.: Lancet 2005, 366, 1510.
  7. Beevers, D.G.: J. Human Hypertens. 1998, 12, 807.
  8. AMB 2003, 37, 12.
  9. AMB 2003, 37, 67.