Wenn ein neues Arzneimittel zugelassen wird, muss dies möglichst schnell bekannt gemacht werden. Der pharmazeutische Unternehmer (pU) hat wegen des begrenzten Patentschutzes (20 Jahre ab Anmeldung des Wirkstoffs) nur einige Jahre Zeit, mit dem Originalpräparat Umsatz zu machen. Nur sehr selten sind neue Arzneimittel so innovativ, dass sie zum Selbstläufer werden („good drugs should sell themselves“). In den meisten Fällen handelt es sich bei Neuzulassungen um Me-too-Präparate, Scheininnovationen oder Arzneimittel mit geringem Zusatznutzen (vgl. 1). Solche Arzneimittel können dennoch durch ein geschicktes Marketing zu einem Verkaufserfolg werden. Die potenziellen Verschreiber werden daher mit allen Mitteln der Werbungskunst beeinflusst – man könnte auch sagen: auf das neue Präparat programmiert.
Eine zentrale Rolle bei dieser Programmierung spielen ärztliche Meinungsbildner, sog. Key Opinion Leaders (KOL; 2). Damit sind regionale und überregionale Experten gemeint, die für ein Honorar vom pU direkt oder indirekt Werbung für dessen Präparat(e) machen. Dies geschieht in den Printmedien („Expertenstatement“, „Konsensuspapier“) oder auf Firmenveranstaltungen („Fortbildungsveranstaltung mit Unterstützung von…“, „Expertensymposium“ etc.). Manche KOL tauchen auf jedem Fachkongress auf, halten routiniert Vorträge für gleich mehrere pU und Produkte und verdienen damit nicht selten ein komplettes zusätzliches Jahresgehalt oder mehr. KOL verkaufen nicht nur das Produkt, sondern auch ihren guten Namen und wurden deshalb auch schon als „Mietmäuler“ bezeichnet (3).
Es gibt nun offensichtlich von Seiten der pU Überlegungen, mit dieser Praxis zu brechen. Ein nicht näher genannter Manager von GlaxoSmithKline (GSK) soll laut Forbes Magazine (4) gesagt haben, dass „der Gebrauch von bezahlten externen Experten eines Tages ähnlich gesehen wird, wie das Rauchen an Bord von Flugzeugen“. Einer der Gründe für diese bemerkenswerte Aussage könnte sein, dass manche Experten immer wieder über das Ziel hinausschießen und in Veranstaltungen auch beispielsweise für einen „Off-label use“ werben. Solche Empfehlungen können jedoch teuer werden, weil sie in den USA als irreführende Werbung interpretiert werden und zu erheblichen Strafen führen können. So mussten US-amerikanische Arzneimittelfirmen (darunter Pfizer, Eli Lilly, MSD) von 2006-2010 insgesamt 14,8 Mrd. US-$ Strafe zahlen wegen Fehlinformationen zu ihren Arzneimitteln (5).
Ein zweiter Grund für eine Abkehr von der gegenwärtigen Praxis könnten die neuen Transparenzregeln sein, nach denen sich die pU verpflichtet haben, alle Geldströme, die zu den Ärzten fließen, öffentlich zu machen (6, 7). Dadurch wird nicht nur das Ausmaß der Verstrickung zwischen pU und Ärzten offengelegt, sondern auch die Methoden und der Preis der Einflussnahme. Die Offenlegung der Geldströme wird sehr wahrscheinlich zu einem erheblichen Imageproblem für die pU führen und zu einem noch größeren für die Ärzteschaft.
In Österreich wird diese Transparenz übrigens speziell interpretiert. Eigentlich sollten ja die Geldflüsse aus dem Jahre 2015 nach der Selbstverpflichtung der pU (Pharmig: „Transparenz schafft Vertrauen“; 8) bereits auf den Webseiten der Mitgliedsunternehmen veröffentlicht sein. Dort sucht man bislang jedoch noch vergebens nach diesen Angaben. Die Suche ist darüber hinaus mühsam, weil es rund 120 Mitgliedsunternehmen der Pharmig gibt, die zum Teil gleich mehrere Webseiten betreiben. Dazu kommt, dass Ärzte, die geldwerte Zuwendungen von pU erhalten – genauso wie in Deutschland ab 2016 – einer Veröffentlichung ihres Namens zustimmen müssen. Somit bleibt es vor der Öffentlichkeit wohl weiter verborgen, was unsere heimischen KOL für ihre „Programmierarbeit“ verdienen.
DER ARZNEIMITTELBRIEF teilt in diesem Fall die Meinung des zitierten Pharma-Managers und empfindet das Kaufen und Verkaufen eines guten Namens für das Marketing von Arzneimitteln als ebenso unangemessen wie das Rauchen an Bord von Flugzeugen. Aber was kommt stattdessen? Wir raten unseren Lesern, generell nur noch „Nichtraucherflüge“ zu buchen – d.h. Veranstaltungen der pU zu meiden – und bei Kongressen und Fachtagungen auf der vorgeschriebenen Folie 2 eines Vortrags mit der Erklärung zu Interessenkonflikten zu bestehen und deren Inhalt ggf. mit dem Vortragenden zu diskutieren.
Literatur
- AMB2013, 47, 72DB01. Link zur Quelle
- AMB2012, 46, 32DB01 Link zur Quelle . AMB 2012, 46, 56 Link zur Quelle. AMB 2012, 46, 59. Link zur Quelle
- AMB 2006, 40, 71b. Link zur Quelle
- http://www.forbes.com/sites/johnlamattina/… Link zur Quelle
- http://gutepillen-schlechtepillen.de/kurz-und-knapp-kriminelles-pharma-marketing/ Link zur Quelle
- https://openpaymentsdata.cms.gov/ Link zur Quelle
- AMB2014, 48, 88DB01. Link zur Quelle
- http://www.pharmig.at/uploads/… Link zur Quelle