Artikel herunterladen

COVID-19: Wissenschaftliche Standards in klinischen Studien zu Arzneimitteln dürfen nicht dem Zeitdruck geopfert werden!

Zusammenfassung: Trotz des dringenden Bedarfs an wirksamen und sicheren Arzneimitteln zur Behandlung von Patienten mit schwerem Verlauf von COVID-19 ist der gegenwärtig weltweit herrschende Aktionismus mit seiner Vielzahl klinischer Studien und geprüften Wirkstoffen kritisch zu hinterfragen. Das Design der meisten klinischen Untersuchungen erfüllt nicht die etablierten wissenschaftlichen Standards für derartige Studien (2, 3). Darüber hinaus steht das große Interesse der Öffentlichkeit an den Ergebnissen dieser Studien, aber auch der Widerhall in den Medien, in keinem vernünftigen Verhältnis zur eher schwachen Evidenz hinsichtlich Wirksamkeit und Sicherheit der geprüften Wirkstoffe aus diesen Untersuchungen.

Nur die – derzeit noch nicht als Vollpublikation vorliegenden – Ergebnisse einer randomisierten kontrollierten Studie zu Remdesivir bei stationären COVID-19-Patienten sprechen für eine gewisse Wirksamkeit dieses Wirkstoffs aufgrund einer Besserung der klinischen Symptomatik und rascheren Entlassung aus dem Krankenhaus (12, 13). Die vollständige Publikation dieser Studie muss jedoch abgewartet werden, ebenso wie die noch ausstehenden Ergebnisse anderer internationaler randomisierter kontrollierter Studien mit einem Remdesivir-Arm und „adaptivem Design“ (vgl. 6). Die vorschnell als „Wundermittel“ apostrophierten Wirkstoffe Chloroquin und Hydroxychloroquin zeigen anhand der bisher vorliegenden Ergebnisse keine überzeugende Wirksamkeit bei SARS-CoV-2-Infektion, führen jedoch zu erheblichen Nebenwirkungen. Dies gilt auch für die Kombination von Lopinavir plus Ritonavir, für die in einer randomisierten kontrollierten Studie erneut kein Nutzen gegenüber der Standardbehandlung von COVID-19 gezeigt werden konnte (4; vgl. auch 7).

Auch Anfang Mai 2020 gibt es weltweit noch kein Medikament, das für die Behandlung von Patienten mit COVID-19 von der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) oder der Food and Drug Administration (FDA) in den USA regulär zugelassen ist. Die aufgrund ihrer – vorwiegend in Tierversuchen und/oder in vitro an Zellkulturen nachgewiesenen – antiviralen Aktivität vermutlich wirksamen Arzneimittel werden deshalb momentan in einer Vielzahl klinischer Studien hinsichtlich Wirksamkeit und Sicherheit geprüft (Stand 5.5.2020: 1.161 Studien; 1). Das Design und die Qualität dieser klinischen Studien wurde in aktuellen Übersichtsarbeiten zu Recht stark kritisiert, beispielsweise unter der Überschrift: „Krisen sind keine Rechtfertigung dafür, wissenschaftliche Standards zu vermindern“ (2). Renommierte Pharmakoepidemiologen und Ethiker aus den USA haben insbesondere beanstandet, dass frühe Phasen klinischer Studien begonnen wurden, noch bevor solide Ergebnisse aus experimentellen Untersuchungen zu der jeweiligen medikamentösen Intervention vorlagen, die eine weitere Entwicklung bzw. Prüfung in klinischen Studien gerechtfertigt hätten. Außerdem würden vor allem Strategien in der klinischen Forschung verfolgt, die einfach umzusetzen seien und bei denen bereits vorab feststeht, dass sie nur eine verzerrte Schätzung der therapeutischen Effekte von Wirkstoffen gegen COVID-19 erlauben würden (2, 3).

Wir konzentrieren uns in dieser Ausgabe des ARZNEIMITTELBRIEFs auf aktuelle Ergebnisse klinischer Studien zur Wirksamkeit von Remdesivir und Chloroquin (CQ) bzw. Hydroxychloroquin (HCQ) in der Behandlung von COVID-19. Alle 3 Arzneimittel haben inzwischen eine „Emergency Use Authorization“ (EUA) der US-amerikanischen FDA erhalten – CQ und HCQ am 28.3.2020 (5) kurz nachdem diese Arzneimittel vom Präsidenten der USA, Donald Trump, vorschnell als „Wundermittel“ bzw. „GameChanger“ apostrophiert wurden. Am 1. Mai 2020 wurde von der FDA eine EUA dann auch für Remdesivir zuerkannt (6). Die EUA setzt voraus, dass in einer Notfallsituation bisher keine Arzneimittel für die Behandlung bzw. Prävention von schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten zur Verfügung stehen und ermöglicht ausschließlich in Krankenhäusern die Verordnung von Remdesivir. Zudem wird dadurch in den USA sogar der Zugriff auf strategische Lagerbestände („Strategic National Stockpile“) dieser Arzneimittel ermöglicht. Eine EUA wurde bisher erst einmal erteilt für den Neuraminidase-Inhibitor Peramivir während des Ausbruchs der Schweinegrippe 2009-2010. Peramivir zeigte dann später in einer randomisierten kontrollierten Studie („randomized controlled trial“ = RCT) keine bessere Wirksamkeit als Plazebo bei schwerkranken Patienten mit Influenza (3). Eine EUA bedeutet nicht eine reguläre Zulassung des jeweiligen Arzneimittels durch die FDA.

Remdesivir: Über erste klinische Ergebnisse bei Patienten mit COVID-19 (Fallberichte, unkontrollierte Studien) und Einsatz von Remdesivir, einem Nukleotid-Prodrug mit in vitro breiter Aktivität gegenüber unterschiedlichen RNA-Viren bei Patienten mit COVID-19, haben wir (7) und das BMJ (8) bereits berichtet.

Inzwischen wurden auch Ergebnisse publiziert zum „Compassionate Use“ von Remdesivir bei 61 im Krankenhaus behandelten Patienten aus den USA, Kanada, Europa und Japan mit durch Polymerase-Kettenreaktion bestätigter SARS-CoV-2-Infektion, von denen allerdings nur 53 Patienten ausgewertet werden konnten (9). Vor Beginn der Therapie mit Remdesivir (zur Aufsättigung 200 mg i.v. am Tag 1, dann täglich 100 mg i.v. für 9 Tage) erhielten 30 Patienten eine mechanische Beatmung (57%) und 4 (8%) eine extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO). Nach medianer Nachbeobachtung von 18 Tagen zeigten 36 Patienten (68%) eine Verbesserung ihrer Lungenfunktion und 17 der 30 beatmeten Patienten konnten extubiert werden. Insgesamt wurden 25 Patienten (47%) während der Nachbeobachtung aus dem Krankenhaus entlassen und 7 Patienten (13%) starben. Bei mehr als der Hälfte der Patienten traten unerwünschte Ereignisse auf, am häufigsten eine Erhöhung der Transaminasen, Diarrhö, Verschlechterung der Nierenfunktion, Hypotension und Hautveränderungen.

Die Interpretation der Ergebnisse dieser unkontrollierten Studie wird erschwert vor allem durch die kleine Patientenzahl, kurze und unvollständige Nachbeobachtung und fehlende Daten zur Viruslast vor und nach Behandlung mit Remdesivir. Es hat viele Leser des N. Engl. J. Med. sicher überrascht, dass die Ergebnisse einer derartigen Studie, die vom pharmazeutischen Unternehmer (pU) und Anbieter von Remdesivir, Gilead, finanziell unterstützt wurde, in dieser renommierten Fachzeitschrift publiziert wurden.

Die Ergebnisse des ersten multizentrischen, doppelblinden RCT mit Remdesivir – gesponsert von wissenschaftlichen Institutionen in China – wurden online im Lancet publiziert (10). Diese klinische Studie wurde in 10 Krankenhäusern der Provinz Hubei (China) durchgeführt an insgesamt 237 erwachsenen Patienten mit bestätigter SARS-CoV-2-Infektion, von denen nach 2:1-Verteilung 158 Remdesivir i.v. (Dosierung siehe Studie zum „Compassionate Use“, 9) und 79 Patienten Plazebo erhielten. Eingeschlossen wurden nur Patienten mit radiologisch bestätigter Pneumonie, bei denen die Symptome innerhalb der vorausgegangenen 12 Tage aufgetreten waren und bei denen eine Sauerstoffsättigung (SpO2) von ≤ 94% bei Raumluft vorlag. Die Behandlung mit Remdesivir führte in dieser Studie nicht zu einer signifikanten Verkürzung der Zeit bis zur klinischen Besserung. Unerwünschte Ereignisse traten nach Verabreichung von Remdesivir bei 12% auf, gegenüber 5% bei Patienten mit Plazebo. In diese Studie sollten 453 Patienten eingeschlossen werden. Sie wurde jedoch vorzeitig nach Einschluss von 237 Patienten beendet, da infolge der Abschwächung der Epidemie in Wuhan keine Patienten mehr rekrutiert werden konnten (11). Die Autoren betonen ausdrücklich, dass RCT mit größerer Zahl an Patienten und klinisch schweren Verläufen von COVID-19 erforderlich sind, um den therapeutischen Stellenwert von Remdesivir – möglichweise in Kombination mit anderen antiviral wirkenden Arzneimitteln und/oder Wirkstoffen zur Vermeidung eines Zytokinsturms – genauer zu ermitteln (10).

In einem Kommentar zu dieser Studie im Lancet wird zu Recht darauf hingewiesen, dass eine klinische Studie mit unzureichender statistischer Trennschärfe („underpowered“) zwangsläufig keine verlässlichen Ergebnisse liefert (11).

Unmittelbar nach Veröffentlichung dieser Studie im Lancet wurden in Pressemitteilungen – am 29.4.2020 von Gilead (12) und von den National Institutes of Health (NIH) die Ergebnisse eines größeren, vom „National Institute of Allergy and Infectious Diseases“ (NIAID) am NIH in den USA durchgeführten RCT („Adaptive COVID-19 Treatment Trial“ = ACTT) mitgeteilt. Nach Einschluss von insgesamt 1.063 Patienten aus den USA, Europa und Asien erfolgte auch in dieser Studie entweder eine Behandlung mit Remdesivir oder Plazebo. Laut Pressemitteilungen benötigten die mit Remdesivir behandelten Patienten im Mittelwert 11 Tage, bis sich ihr Zustand deutlich besserte (u.a. kein Bedarf an zusätzlichem Sauerstoff, Verlassen des Krankenhauses), gegenüber 15 Tagen unter Plazebo. Nicht signifikant unterschied sich allerdings zum Zeitpunkt der Auswertung die Sterblichkeit (8% nach Remdesivir versus 11,6% nach Plazebo).

In Pressemitteilungen wurde am 29.4.2020 auch auf zwei von Gilead initiierte multizentrische, offene Phase-III-Studien hingewiesen, die sog. „SIMPLE Trials“ (14). Darin wurden auch bereits Ergebnisse des ersten „SIMPLE Trial“ mitgeteilt, in dem untersucht wurde, ob eine kürzere Gabe von Remdesivir über 5 Tage eine ähnliche Wirksamkeit hat wie die Gabe über 10 Tage. Voraussetzung für den Einschluss in diese Studie waren eine Pneumonie und erniedrigte Sauerstoffsättigung. Die Patienten durften jedoch noch keine mechanische Beatmung erhalten. Die Zeit bis zur klinischen Besserung („clinical improvement“) um 50% unterschied sich nicht signifikant und betrug 10 Tage bei Patienten, die über 5 Tage Remdesivir erhielten, bzw. 11 Tage bei Patienten, die über 10 Tage behandelt wurden (14). Mehr als die Hälfte der insgesamt 397 eingeschlossenen Patienten aus 180 beteiligten Studienzentren in den USA, Europa und Asien hatten am Tag 14 das Krankenhaus verlassen. Eine explorative Analyse ergab laut Pressemitteilung des pU, dass die Therapieergebnisse bei Patienten, die innerhalb von 10 Tagen nach Beginn der Symptome von COVID-19 Remdesivir erhalten hatten, besser waren als bei Patienten mit späterem Therapiebeginn. Die Aussagekraft einer derartigen Studie ohne Plazeboarm ist naturgemäß gering. Unerwünschte Ereignisse unter Gabe von Remdesivir traten bei etwa der Hälfte der Patienten auf (z.B. Übelkeit, Erhöhung der Transaminasen), moderate oder schwere unerwünschte Ereignisse (≥ Grad 2) jedoch bei weniger als 10% der Patienten. Geplant ist im Rahmen dieser Studien, weitere 5.600 Patienten einzuschließen und auch an beatmeten Patienten Wirksamkeit und Sicherheit von Remdesivir zu untersuchen (14).

Das zweite „SIMPLE Trial“ vergleicht Remdesivir über 5 bzw. 10 Tage mit der Standardtherapie bei Patienten mit weniger schwer verlaufender („moderate manifestations“) COVID-19-Erkrankung. Die Ergebnisse der ersten 600 Patienten werden Ende Mai 2020 erwartet (14).

Die Ergebnisse des ersten „SIMPLE Trial“ waren ebenso wie die Ergebnisse des vom NIAID durchgeführten RCT („ACTT“, s.o.) Grundlage der am 1.5.2020 erteilten EUA durch die FDA. Bis Ende Mai 2020 plant Gilead 1,5 Mio. Dosen herzustellen, die für 210.000 Behandlungen mit Remdesivir (jeweils über 5 Tage) ausreichen würden und vorläufig gratis zur Verfügung stehen sollen (15). Die EMA hat inzwischen – basierend auf den Ergebnissen der „ACTT“-Studie vom NIAID – ein sog. „rolling review“-Verfahren begonnen und wird zunächst die Ergebnisse dieser Studie gründlich analysieren und erst dann beurteilen, ob das Nutzen-Risiko-Verhältnis von Remdesivir positiv ist (16).

Unterstützt werden die Aussagen dieser Studien zur klinischen Wirksamkeit von Remdesivir auch durch kürzlich publizierte experimentelle Ergebnisse im J. Biol. Chem. (15). Sie konnten den Mechanismus der Hemmung der für die Replikation von SARS-CoV-2 verantwortlichen viralen RNA-abhängigen RNA-Polymerase (RdRp) durch die aktive Form von Remdesivir (Remdesivir-Triphosphat) zeigen.

Auch die Ergebnisse aus tierexperimentellen Untersuchungen mit Remdesivir an einem kürzlich etablierten Rhesusmakaken-Modell mit SARS-CoV-2-Infektion (18, 19; vgl. auch 7) sprechen für eine antivirale Wirksamkeit von Remdesivir, wobei möglicherweise das Auftreten einer schweren Pneumonie verhindert wird, sofern es frühzeitig nach der Diagnose appliziert wird.

Chloroquin bzw. Hydroxychloroquin: Im Gegensatz zu Remdesivir liegen für CQ oder HCQ auch Anfang Mai 2020 keine Ergebnisse vor aus größeren RCT mit anderen antiviralen Wirkstoffen oder Plazebo im Vergleichsarm. Es gibt jedoch deutliche Hinweise für gravierende Nebenwirkungen. Mehrere Wissenschaftler weisen deshalb am Beispiel der bisher durchgeführten klinischen Studien zu CQ bzw. HCQ zu Recht auf die Probleme hin, die aus den gelockerten Anforderungen an die Standards wissenschaftlicher Datengenerierung und ihrer Interpretation in Zeiten einer Pandemie resultieren (20-22). Ein Paradebeispiel hierfür ist die viel diskutierte, offene, nicht randomisierte Studie aus Frankreich zur Wirksamkeit von HCQ, auf die wir bereits ausführlich eingegangen sind (vgl. 7). Derartige Studien eignen sich bestenfalls für die Generierung von Hypothesen, nicht aber von solider Evidenz, die dann klinische Entscheidungen beeinflussen kann (20-22).

Die vorschnelle, häufig viel zu positive Interpretation der Ergebnisse klinischer Studien hat dazu geführt, dass es zu versorgungsrelevanten Engpässen von HCQ in der Behandlung von Patienten mit systemischem Lupus erythematodes gekommen ist und Angehörige der Gesundheitsberufe und ihre Familien HCQ für eine eventuelle Selbstmedikation gegen COVID-19 gehortet haben (21). Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat deshalb aufgrund des vermehrten Off-Label-Gebrauchs von HCQ-haltigen Arzneimitteln auch eine Anordnung erlassen, die vorsieht, dass außerhalb von klinischen Prüfungen die Verordnung dieser Arzneimittel nur im Rahmen eines individuellen Heilversuchs bei stationär überwachten Patienten mit SARS-CoV-2-Infektion erfolgen sollte. Außerdem müssen Ärzte die HCQ-haltige Arzneimittel ambulant verordnen, ab sofort die zugelassene Indikation angeben, und HCQ sollte nicht auf einem Privatrezept verordnet werden (23).

Derzeit sind weltweit etwa 80 Studien registriert, in denen CQ oder HCQ, teilweise sogar beide Wirkstoffe in Kombination mit anderen Arzneimitteln, zur Behandlung von COVID-19 untersucht werden (22). Auch die großen RCT (vgl. 7), die von der WHO („Solidarity Trial“), INSERM („Discovery“) bzw. vom NIAID initiiert wurden, untersuchen in einem Vergleichsarm CQ bzw. HCQ. Die ersten Ergebnisse dieser Studien werden hoffentlich bald eine endgültige Beurteilung des derzeit noch sehr fraglichen therapeutischen Stellenwerts von CQ bzw. HCQ in der Behandlung von COVID-19 erlauben.

Die auf einem Preprint Server (medRxiv) Mitte April 2020 publizierten Daten einer retrospektiven Analyse von insgesamt 368 Patienten, die mit bestätigter SARS-CoV-2-Infektion in den „Veterans Health Administration“-Krankenhäusern mit HCQ alleine oder in Kombination mit Azithromycin behandelt wurden, lassen jedoch wenig Optimismus hinsichtlich der Wirksamkeit und Sicherheit dieser Wirkstoffgruppe aufkommen (24). Die Auswertung der Studie ergab, dass weder HCQ alleine noch in Kombination mit Azithromycin das Risiko für eine mechanische Beatmung senken konnte und die Gabe von HCQ alleine sogar die Sterblichkeit erhöhte.

Eine kleine doppelblinde, randomisierte Phase-IIb-Studie an 81 Patienten, die wegen COVID-19 mit schwerer Pneumonie (SARS) in Brasilien entweder mit CQ in hoher Dosierung (600 mg zweimal täglich für 10 Tage) oder CQ in niedrigerer Dosis (450 mg zweimal tägl. an Tag 1 und einmal täglich an den Tagen 2-5) behandelt wurden, ergab in einer vom „Data Safety and Monitoring Board“ (DSMB) dieser Studie empfohlenen Zwischenanalyse eine höhere Sterblichkeit in der Gruppe der Patienten mit höherer CQ-Dosis. Sie wurde zumindest teilweise durch Verlängerung des QTc-Intervalls auf > 500 Millisekunden verursacht (25).

Eine Ende April 2020 im CMAJ publizierte Übersichtsarbeit hat, basierend auf einer PubMed-Recherche von 1966-2020, die Nebenwirkungen von CQ, HCQ und Azithromycin zusammenfassend dargestellt (26). Neben den häufiger nach Einnahme von CQ und HCQ auftretenden Nebenwirkungen wie Pruritus, Übelkeit und Kopfschmerzen werden demnach auch vermehrt lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen infolge Verlängerung des QTc-Intervalls mit Torsade-de-pointes-Tachykardien beobachtet – insbesondere unter höherer Dosierung. Diese lebensbedrohliche Nebenwirkung kann durch gleichzeitige Einnahme von Azithromycin verstärkt werden (26, 27). Weitere, eher selten auftretende, aber schwere Nebenwirkungen sind Hypoglykämien, Unruhezustände, Verwirrtheit, Halluzinationen und Wahnvorstellungen (26).

Sowohl die „Pandemic Task Force“ der EMA (COVID-ETF; 28) als auch die FDA (29) warnen inzwischen vor dem Risiko schwerwiegender Nebenwirkungen bei der Anwendung von HCQ bzw. CQ zur Behandlung von COVID-19.

Angesichts dieser Ergebnisse und Nebenwirkungen erscheint die Ende März für CQ und HCQ erteilte EAU durch die FDA (5) – obwohl zu diesem Zeitpunkt überzeugende Evidenz für die Wirksamkeit und Sicherheit dieser beiden Wirkstoffe aus klinischen Studien nicht vorlag – als fahrlässig und erfolgte vermutlich aufgrund des öffentlichen Drucks, ausgelöst durch die COVID-19-Pandemie mit schweren Krankheitsverläufen und zahlreichen Toten. Der Empfehlung US-amerikanischer Experten im „Journal Watch“ des N. Engl. J. Med. vom 24. April 2020 schließen wir uns deshalb uneingeschränkt an (30): „Angesichts der unzureichenden Ergebnisse zur Wirksamkeit beider Wirkstoffe und Bedenken hinsichtlich ihrer Toxizität sollten CQ oder HCQ zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 derzeit nicht außerhalb kontrollierter klinischer Studien eingesetzt werden“.

Eine sehr informative Übersichtsarbeit zur medikamentösen Behandlung von COVID-19, die auch acht häufig in diesem Zusammenhang gestellte Fragen beantwortet, wurde kürzlich in JAMA publiziert (31). Aktuelle Hinweise der derzeit in klinischen Studien geprüften Arzneimittel mit Empfehlungen für ihren Einsatz in Abhängigkeit vom Schweregrad von COVID-19 finden sich auf der Homepage des NIH (32).

Insbesondere in Krisensituationen wie der COVID-19-Pandemie sollten wir die Studienergebnisse und die daraus sich ergebende Evidenz für die Wirksamkeit von Medikamenten kritisch beurteilen. Dabei müssen wir auch mögliche Verzerrungen (Bias) der Studien bedenken, die unsere klinischen Entscheidungen beeinflussen (33, 34).

Literatur

  1. https://clinicaltrials.gov/ct2/results?cond=COVID-19. Link zur Quelle
  2. London, A.J., und Kimmelman, J.: Science 2020, 368, 476. Link zur Quelle
  3. Rome, B.N., und Avorn, J.: N. Engl. J. Med. 2020, Apr 14. Link zur Quelle
  4. Cao, B., et al.: N. Engl. J. Med. 2020, 382, 1787. Link zur Quelle
  5. https://www.fda.gov/media/136784/download Link zur Quelle
  6. https://www.fda.gov/media/137564/download Link zur Quelle
  7. AMB 2020, 54, 25. Link zur Quelle
  8. Ferner, R.E., und Aronson, J.K.: BMJ 2020, 369, m1610. Link zur Quelle
  9. Grein, J., et al. N. Engl. J. Med. 2020, Apr 10. Link zur Quelle
  10. Wang, Y., et al.: Lancet published online April 29, 2020. Link zur Quelle
  11. Norrie, J.D.: Lancet published online April 29, 2020. Link zur Quelle
  12. GILEAD Sciences: Link zur Quelle
  13. https://www.nih.gov/news-events/news-releases/ nih-clinical-trial-shows-remdesivir-accelerates- recovery-advanced-covid-19 Link zur Quelle
  14. https://www.gilead.com/news-and-press/press-room/press- releases/2020/4/gilead-announces-results-from-phase-3- trial-of-investigational-antiviral-remdesivir-in- patients-with-severe-covid-19 Link zur Quelle
  15. https://www.nzz.ch/wirtschaft/ das-gilead-medikament-remdesivir- gibt-hoffnung-in-der-behandlung-von-covid-19-ld.1554623 Link zur Quelle
  16. https://www.ema.europa.eu/en/news/ ema-starts-rolling-review-remdesivir- covid-19 Link zur Quelle
  17. Gordon, C.J., et al.: J. Biol. Chem. 2020. Link zur Quelle
  18. de Wit, E., et al.: Proc. Natl. Acad. Sci. USA 2020, 117, 6771. Link zur Quelle
  19. Williamson, B.N., et al.: Link zur Quelle
  20. Kim, A.H.J., et al.: Ann. Intern. Med. 2020. Link zur Quelle
  21. Yazdany, J., und Kim, A.H.J.: Ann. Intern. Med. 2020. Link zur Quelle
  22. Ferner, R.E., und Aronson, J.K.: BMJ 2020, 369, m1432. Link zur Quelle
  23. https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/111773/ BfArM-Anordnung-fuer-Anwendung-von- Hydroxychloroquin-haltigen-Arzneimitteln Link zur Quelle
  24. Magagnoli, J., et al.: Link zur Quelle
  25. Borba, M.G.S., et al.: JAMA Network Open 2020, 3, e208857. Link zur Quelle
  26. Juurlink, D.N.: CMAJ 2020, 192, E450. Link zur Quelle
  27. Lane, J.C.E., et al.: Link zur Quelle
  28. https://www.ema.europa.eu/en/ documents/press-release/covid-19-reminder- risk-serious-side-effects- chloroquine-hydroxychloroquine_en.pdf Link zur Quelle
  29. https://www.fda.gov/drugs/drug-safety-and-availability/ fda-cautions-against-use-hydroxychloroquine -or-chloroquine-covid-19-outside-hospital-setting-or Link zur Quelle
  30. Sakoulos, G., et al.: Link zur Quelle
  31. Sanders, J.M., et al.: JAMA 2020. Link zur Quelle
  32. https://www.covid19treatmentguidelines.nih.gov/ therapeutic-options-under-investigation/ Link zur Quelle
  33. Zagury-Orly, I., und Schwartzstein, R.M.: N. Engl. J. Med. 2020. Link zur Quelle
  34. Bauchner, H., und Fontanarosa, P.B.: JAMA 2020. Link zur Quelle