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Die ACTS-Studie: kein Nutzen von Glukokortikosteroiden in Kombination mit Thiamin plus Ascorbinsäure im septischen Schock

Der septische Schock ist noch immer mit einer extrem hohen Letalität assoziiert; nach einer Erhebung an deutschen Krankenhäusern betrug sie im Jahr 2013 58,8% und für die Kombination Sepsis, schwere Sepsis und septischer Schock 24,3% (1). Etwa 20% aller Todesfälle weltweit werden mit einer Sepsis in Verbindung gebracht (2). Viele Patienten leiden zudem an den Langzeitfolgen eines septisch bedingten Multiorganversagens (3). Die Gabe von Hydrokortison (HC) im septischen Schock ist seit Jahren umstritten (4-6); über zwei bedeutende Negativstudien zu dieser Therapie haben wir 2018 ausführlich berichtet und in einem Leserbrief diskutiert (7). HC soll, quasi als ultima ratio nur dann verabreicht werden, wenn trotz adäquater Flüssigkeitssubstitution und Gabe von Vasopressoren keine hämodynamische Stabilität erreicht werden kann.

Bei vielen Patienten mit Sepsis wurde ein Mangel an Vitamin C (Ascorbinsäure = As) und Thiamin (Th) festgestellt, möglicherweise durch mangelnde Aufnahme oder durch gesteigerten Verbrauch (8, 9). Seit Jahrzehnten wird kontrovers diskutiert, ob eine Substitution dieser Vitamine bei septischen Patienten die Prognose verbessert (4, 10-13); auch ein synergistischer Effekt für die Kombination mit HC wurde erwogen (13). Die Ergebnisse sind uneinheitlich, und es fehlen randomisierte plazebokontrollierte Studien (RCT). Auch beim Management von Patienten mit COVID-19 und respiratorischem Versagen wurde unlängst wieder eine Substitution mit As in Erwägung gezogen (14).

Jetzt wurden die Ergebnisse einer multizentrischen, randomisierten plazebokontrollierten Studie veröffentlicht (15). Untersucht wurde der Einfluss von As plus Th plus HC im Vergleich zu Plazebo auf den Verlauf von septisch bedingtem Organversagen im Verlauf von 72 Std., gemessen am SOFA-Score (Sequential Organ Failure Assessment Score). Dieser umfasst eine Punkteskala von 0-24, wobei 0 den besten und 24 den schlechtesten Wert widerspiegelt (16). Eine Verschlechterung von 2 Punkten ist nach geltenden Therapie-Leitlinien mit einer Zunahme der zu erwartenden Letalität von 10% assoziiert (17).

Studiendesign: Zwischen Februar 2018 und Ende 2019 wurden in 14 US-amerikanischen Zentren Patienten mit Katecholamin-pflichtigem septischem Schock und einem voraussichtlichen Überleben von mehr als 24 Std. analysiert. Von 831 einschlussfähigen Patienten hatten 224 eingewilligt. Von diesen wurden 205 randomisiert. Sie erhielten neben der leitliniengerechten Standardtherapie verblindet 1:1 randomisiert entweder 1.500 mg As plus 100 mg Thiamin plus 50 mg Hydrokortison, jeweils alle 6 Std. i.v. über 4 Tage (n = 103) oder Plazebo (n = 102). Primärer Studienendpunkt war die Veränderung des SOFA-Scores 72 Std. nach Studieneinschluss; sekundäre Endpunkte umfassten die 30-Tage-Letalität (alle Ursachen) und die Entwicklung eines progredienten Nierenversagens während des intensivstationären Aufenthalts, definiert nach KDIGO-Kriterien (Kidney Disease – Improving Global Outcomes; 19) als Anstieg auf ≥ 3. Weitere sekundäre Endpunkte waren u.a. die Zahl der beatmungsfreien und der schockfreien Tage während der ersten 7 Behandlungstage sowie die Verweilzeit auf der Intensivstation. Ausschlusskriterium war u.a. eine vorbestehende oder geplante Therapie mit Glukokortikosteroiden, Hämodialyse bei Aufnahme sowie ein auftretendes Nierenversagen nach Ablauf von 19 Tagen, um Patienten mit vorbestehendem grenzwertig präterminalem Nierenversagen abzugrenzen.

Ergebnisse: Von 205 randomisierten Patienten (mittleres Alter 68 ± 15 Jahre, 44% Frauen) konnten Befunde von 200 Teilnehmern vollständig ausgewertet werden; von diesen hatten 101 Verum und 99 Plazebo erhalten. Knapp 50% waren invasiv beatmet. Im Verlauf von 72 Std. konnte kein statistisch signifikanter Unterschied zwischen den beiden Behandlungsarmen festgestellt werden: mittlere Abnahme des SOFA-Scores um 4,7 Punkte (von 9,1 nach 4,4) im Interventionskollektiv und 4,1 Punkte Abnahme unter Plazebo (von 9,2 nach 5,1); mittlere adjustierte Differenz -0,8; 95%-Konfidenzintervall = CI: -1,7 bis 0,2; p = 0,12.

Weder für das akute Nierenversagen noch für die 30-Tage-Letalität ergab sich ein signifikanter Unterschied: 31,7% Nierenversagen im Interventions- vs. 27,3% im Kontrollarm (adjustierte Risikodifferenz 0,03; CI: -0,1 bis 0,2; p = 0,58). Für die Letalität nach 30 Tagen ergab sich entsprechend 34,7% vs. 29,3%; Hazard Ratio = HR: 1,3; CI: 0,8-2,2; p = 0,26.

Häufigste unerwünschte Ereignisse waren in beiden Gruppen gleichermaßen Hyperglykämie, Hypernatriämie und erworbene Krankenhausinfektionen. Es erhielten 6,9% im Verum- und 14,1% im Plazeboarm bei schwerster Symptomatik innerhalb der ersten 72 Std. offen Glukokortikosteroide. Die Autoren bemerken selbstkritisch die geringe Einschlussquote von etwa 25% aller einschlussfähigen Patienten und dass die Zeit bis zum Beginn der Studientherapie mit durchschnittlich 13,5 Std. für einen septischen Schock lang ist, aber in der Größenordnung wie bei anderen Studien zu dieser Thematik (5, 6).

Die Ergebnisse der ACTS-Studie decken sich auch mit denen einer offenen, randomisierten Multicenterstudie aus Brasilien, Australien und Neuseeland mit dem Akronym VITAMINS, das Anfang des Jahres publiziert wurde (18). In dieser Studie führte die Kombination von 1500 mg As plus 50 mg HC jeweils alle 6 Std. iv. plus 200 mg Th alle 12 Std. iv. über maximal 10 Tage bei 216 Patienten nicht zu einer schnelleren Überwindung des septischen Schocks als viermal 50 mg HC allein. Weder das Überleben noch die Vasopressor-freie Zeit wurde während der 7 Tage Beobachtung verlängert. Auch bei 10 sekundären Endpunkten zeigte sich kein Vorteil für die Kombination; die Letalität war sogar etwas höher unter der Kombination (28,6% vs. 24,5%). Relevante Nebenwirkungen wurden nicht beobachtet.

Fazit: Für Patienten mit septischem Schock hat sich auch in einem verblindeten RCT kein Vorteil ergeben für die Kombination Hydrokortison plus Thiamin plus Ascorbinsäure im Vergleich zu Plazebo. Zusammen mit den Daten einer weiteren Studie stützen sie die aktuelle Praxis, diese Kombination nicht routinemäßig beim septischen Schock einzusetzen.

Literatur

  1. Fleischmann, C., et al.: Dtsch. Arztebl. Int. 2016, 113, 159. Link zur Quelle
  2. Rudd, K.E., et al.: Lancet 2020, 395, 200. Link zur Quelle
  3. Prescott, H.C., und Derek, C.A.: JAMA 2018, 319, 62. Link zur Quelle
  4. Marik, P.E., et al.: Chest 2017, 151, 1229. Link zur Quelle
  5. Annane, D., et al. (APROCCHS = Activated Protein C and Corticosteroids for Human Septic shock): N. Engl. J. Med. 2018, 378, 809. Link zur Quelle
  6. Venkatesh, B., et al. (ADRENAL = ADjunctive coRticosteroid trEatment iN criticAlly ilL patients with septic shock): N. Engl. J. Med. 2018, 378, 797. Link zur Quelle
  7. AMB 2018, 52, 25 Link zur Quelle . AMB 2018, 52, 56. Link zur Quelle
  8. Moskowitz, A., et al.: Crit. Care 2018, 22, 283. Link zur Quelle
  9. Mallat, J., et al.: J. Thorac. Dis. 2016, 8, 1062. Link zur Quelle
  10. Donnino, M.W., et al.: Crit. Care Med. 2016, 44, 360. Link zur Quelle
  11. Fowler III, A.A., et al. (CITRIS-ALI = Vitamin C Infusion for TReatment In Sepsis induced Acute Lung Injury): JAMA 2019, 322, 1261. Link zur Quelle
  12. AMB 2019, 53, 86. Link zur Quelle
  13. Barabutis, N., et al.: Chest 2017, 152, 954. Link zur Quelle
  14. Arabi, Y.M., et al.: Intensive Care Med. 2020, 46, 315. Link zur Quelle
  15. Moskowitz, A., et al. (ACTS = Ascorbic acid, Corticosteroids, and Thiamine in Sepsis): JAMA 2020, 324, 642. Link zur Quelle
  16. Ferreira, F.L., et al.: JAMA 2001, 286, 1754. Link zur Quelle
  17. Seymour, C.W, et al. (Sepsis-3 = Third International Consensus Definitions for Sepsis and Septic Shock): JAMA 2016, 315, 762. Link zur Quelle
  18. Fujii, T., et al. (VITAMINS = The vitamin C, hydrocortisone and thiamine in patients with septic shock trial): JAMA 2020, 323, 423. Link zur Quelle
  19. https://www.bayerisches-aerzteblatt.de/fileadmin/ aerzteblatt/ausgaben/2015/07/einzelpdf/ BAB_7_8_2015_344_348.pdf Link zur Quelle