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Ausmaß und Transparenz des Sponsorings von Patientenorganisationen durch pharmazeutische Unternehmer in Österreich

Patientenorganisationen (PO) spielen eine wichtige Rolle beim Management vieler Erkrankungen. Sie können und sollen bei gesundheitspolitischen Entscheidungen für mehr Patientenorientierung sorgen und Aspekte wie Mit- und Selbstbestimmung sowie alters-, geschlechts- und lebenslagenspezifische Behandlungsziele und die Lebensqualität in den wissenschaftlichen Diskurs einbringen. Patientenvertreter sollen daher auch an der Erstellung medizinischer Leitlinien mitwirken (vgl. 1).

Die Bedeutung von PO im wissenschaftlichen und gesundheitspolitischen Diskurs haben auch die pharmazeutischen Unternehmer (pU) erkannt. Sie unterstützen PO seit Jahren logistisch und finanziell. Es ist davon auszugehen, dass viele PO ohne die Zuwendungen von der Industrie gar nicht existieren würden oder betrieben werden könnten. Diese Verbindungen sollten transparent dargelegt werden und die pU keinen Einfluss auf die Positionen der PO nehmen.

Tatsächlich ist diese Transparenz aber in vielen Fällen nicht vorhanden. Ein systematisches Review von 15 Untersuchungen zum Thema Finanzierung von PO durch die Industrie in Nordamerika und Europa kam 2020 zu dem Ergebnis, dass nur wenige PO über Transparenz-Richtlinien verfügen. Über 70% der identifizierbaren Zuwendungen von der Industrie werden nicht auf den Webseiten der PO veröffentlicht. In den wenigen Studien, die die Zusammenhänge zwischen Industriefinanzierung und den Positionen der PO analysierten, zeigte sich zudem, dass die industriefinanzierten PO bevorzugt Positionen vertreten, die für ihre Sponsoren günstig sind (2, 3).

Das „Austrian Institute for Health Technology Assessment“ GmbH (AIHTA, vormals Ludwig Boltzmann Institut für Health Technology Assessment) hat in den vergangenen Jahren wiederholt die Zuwendungen der österreichischen pU an Ärzte, Angehörige der Fachkreise sowie andere Organisationen des Gesundheitswesens, darunter auch PO analysiert. Wir haben darüber berichtet (vgl. 4). Grundlage dieser Analysen ist die seit 2014 bestehende Selbstverpflichtung des Verbandes der pharmazeutischen Industrie Österreichs zur Transparenz (5). Demnach sollen einmal jährlich, bis zum 30.6., die 115 Mitglieds-Unternehmen für das vorangegangene Kalenderjahr alle Zahlungen und andere Leistungen an die genannten Kreise auf ihrer Website veröffentlichen. In Artikel 10 des Verhaltenskodexes wird auch die Zusammenarbeit mit PO geregelt. Demnach soll zum genannten Stichtag Art, Umfang und Zweck der Unterstützung von PO veröffentlicht werden (Ausnahme: Zuwendungen und Leistungen von geringem Wert). Außerdem sollen die pU die unterstützten PO vertraglich dazu verpflichten, die erhaltene Unterstützung „jederzeit klar erkennbar und von Beginn an ersichtlich“ offenzulegen (5).

In ersten Analysen wurden – nicht unerwartet – erhebliche Mängel in der Transparenz festgestellt, sowohl bei den pU als auch bei den PO (vgl. 4). Das AIHTA hat dies schon bei seiner ersten Analyse stark kritisiert und der PHARMIG mehrere Verbesserungsvorschläge unterbreitet (s.u. 6). Nun wurde das vierte Update veröffentlicht (7). Für die Analyse wurden erneut die Websites aller PHARMIG-Mitgliedsunternehmen (Stand April 2021) systematisch auf Informationen zu finanziellem Sponsoring an PO im Jahr 2019 durchsucht und mit den Ergebnissen aus den Vorjahren verglichen.

Es fanden sich nur bei einem Drittel der pU Angaben über Zahlungen an PO (39 von 115). 33 pU gaben konkrete Zahlen an, 6 dass sie keine Zahlungen geleistet haben und 76 (= 66%) machten gar keine bzw. keine aktuellen Angaben. Also auch im Jahr 2021 kommen zwei von drei pU dieser Selbstverpflichtung nicht nach – immerhin 7 Jahre nach ihrer Einführung. Im Vergleich zu 2018 nimmt die Bereitschaft zur Transparenz sogar ab (von 43% auf 34%).

Die Gesamtsumme der veröffentlichten Zahlungen an PO beträgt 2,2 Mio. €. Das ist die bisher höchste Summe und entspricht einer Zunahme um 38% im Vergleich zu 2018 (1,65 Mio. €). Insgesamt profitierten 165 PO von den Zuwendungen. Das Sponsoring ging an PO aus 9 Krankheitsfeldern: Hämato-Onkologie (16%), Hämophilie (13%), Lungenerkrankungen (11%), Diabetes und Stoffwechselerkrankungen (10%), seltene Erkrankungen (9%), Neurologie (7,5%), Darmerkrankungen (6,5%), AIDS/HIV (5%) und Hauterkrankungen (5%). Das sind Krankheitsfelder, bei denen die pU ihre höchsten Umsätze erwarten. Die drei PO mit den meisten Zuwendungen (121.000-287.000 €) waren die Österreichische Hämophilie Gesellschaft, die Pulmonary Hypertension Association (PHA) Europe und die Österreichische Morbus Crohn-Colitis ulcerosa Vereinigung.

Die deklarierten Zwecke für die Zuwendungen waren: projektgebundene Unterstützungen (z.B. Finanzierung von Therapiewochen oder Seminaren), Unterstützung von Basisarbeit (z.B. Vereinstätigkeit, Öffentlichkeitsarbeit), Informationsveranstaltungen für Betroffene und Angehörige, Unterstützung durch Logoplatzierungen (Druckkostenzuschüsse, Jahresberichte, Informationsstände, Websites) und andere (z.B. Medikamentenspenden).

Auch die laut Transparenzkodex vertraglich festgelegte Transparenz auf Seiten der PO wurde stichprobenartig überprüft. Auf den Webseiten jener 17 PO mit den höchsten finanziellen Zuwendungen fanden sich gerade einmal bei 6 (35%) konkrete Angaben zu den Summen der Spenden. Auf einigen Webseiten fanden sich nur die Logos der Sponsoren, auf anderen gar keine Hinweise auf Verbindungen zu den unterstützenden pU.

Die Autoren des AIHTA schlussfolgern, dass die Bereitschaft zur Offenlegung von Zahlungen der österreichischen pU an PO auch im Jahr 2019 unzureichend ist und sogar wieder zurückgeht. Das Problembewusstsein sei immer noch „nur sehr selektiv vorhanden“. Sie fordern u.a. ein zentrales Portal für alle Offenlegungen, ein einheitliches „Wording“ und maschinenlesbares Dateiformat, eine verpflichtende Nulldeklaration und die Einhaltung des Stichtags der Veröffentlichung. Diese Forderungen müssen aus unserer Sicht aber noch erweitert werden. Wenn 2 von 3 Mitgliedsunternehmen ihren Verpflichtungen zur Offenlegung nicht nachkommen, dann muss dieses Fehlverhalten von der PHARMIG sanktioniert werden und es muss auch Konsequenzen für die säumigen PO geben (z.B. temporärer Ausschluss von einem Sponsoring). Andernfalls bleibt ein Täuschungsverdacht bestehen. Schließlich fordert die PHARMIG für die pU Vertrauen durch Transparenz ein (8).

Entsprechende Erhebungen und Daten aus Deutschland zu diesem wichtigen Thema sind uns nicht bekannt. Es wäre verwunderlich, wenn die Situation bei den etwa 300 deutschen PO wesentlich anders wäre. Immerhin gibt es Initiativen und Beratung für PO, die unabhängig von der Industrie agieren wollen (9, 10).

Fazit: Nur ein Drittel der pharmazeutischen Unternehmer in Österreich machen Angaben über ihr Sponsoring von Patientenorganisationen, obwohl sie sich vor 7 Jahren in einem Transparenzkodex freiwillig hierzu verpflichtet haben. Auch die Transparenz über Zuwendungen von der Industrie ist bei vielen Patientenorganisationen lückenhaft. Aus unserer Sicht sollten Patientenvertreter mit nicht deklarierten Interessenkonflikten von gesundheitspolitischen Entscheidungen und dem wissenschaftlichen Diskurs ausgeschlossen werden.

Literatur

  1. AMB 2013, 47, 24DB01. Link zur Quelle
  2. Fabbri, A., et al.: BMJ 2020, 368, l6925.
  3. Schott, G., et al. AVP 2021. Link zur Quelle
  4. AMB 2016, 50, 17. Link zur Quelle
  5. PHARMIG Verhaltenscodex, in Kraft per 1.7.2007, download am 2.7.2021 bei: Link zur Quelle
  6. Wild, C., et al.: Sponsoring von PatientInneninitiativen in Österreich. Systematische Analyse. 2015 Rapid Assessment 007b. Download am 2.7.21 bei: Link zur Quelle
  7. Sehic, O., und Wild, C.: Sponsoring von Patient*innen-Initiativen in Österreich. 4. Update, AIHTA Policy BriefNr.: 007; Download am 2.7.21 bei: Link zur Quelle
  8. http://www.transparenz-schafft-vertrauen.at/ Link zur Quelle
  9. https://www.selbsthilfe-bestimmt-selbst.de/ Link zur Quelle
  10. https://www.nakos.de/ Link zur Quelle