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Herausforderungen für einen globalen Zugang zu Impfstoffen gegen SARS-CoV-2

p > Ein unter der Rubrik „Health Policy“ veröffentlichter, sehr lesenswerter Übersichtsartikel im Lancet beschäftigt sich ausführlich mit den Herausforderungen für die Entwicklung, Herstellung sowie weltweite Bereitstellung von Impfstoffen gegen SARS-CoV-2 (1). Wesentliches Ziel dieses von 7 Autoren, vorwiegend aus den Bereichen „Public Health“, Ökonomie, Infektiologie und Epidemiologie verfassten Artikels ist es, auf die Bedeutung einer globalen Verteilung der verfügbaren Impfstoffe hinzuweisen, um Menschen vor schweren Verläufen von COVID-19 zu schützen und eine Herdenimmunität nicht nur in den Industrieländern, sondern weltweit zu erreichen. Hierfür ist neben der Produktion und Verfügbarkeit von bezahlbaren Impfstoffen in ausreichender Menge vor allem die Bereitstellung einer geeigneten Infrastruktur und eine den regionalen Anforderungen angepasste Organisation von Impfprogrammen erforderlich.

In einer sehr informativen Abbildung werden wichtige Informationen zu den am 3.2.2021 als besonders relevant erscheinenden 26 Impfstoffen dargestellt (s. Abb. 1). Hierzu zählen folgende Merkmale der Impfstoffe: Zulassung der Impfstoffe durch eine sog. „stringent regulatory authority“ (SRA; 2) oder die „World Health Organisation“ (WHO), Wirksamkeit in klinischen Studien der Phase III, Preise, Prozentsatz der bereits von Industrienationen (HIC’s = „high income countries“) vorbestellten Dosen, Anzahl der für eine vollständige Impfung benötigten Dosen sowie die Anforderungen an Transport und Lagerung der einzelnen Impfstoffe. Mittels Ampelfarben (rot, gelb, grün) wird gleichzeitig eine Bewertung dieser Merkmale für jeden Impfstoff vorgenommen.

Wie dieser Abbildung zu entnehmen ist, variiert die Produktionskapazität zwischen 11 Mio. (Vector Institute) und 2 Mrd. (BioNTech/Pfizer, Novavax) bzw. 3 Mrd. Dosen (AstraZeneca mit Oxford University). Auch die niedrigsten Preise für eine Dosis des Impfstoffs unterscheiden sich deutlich und liegen zwischen 5 US-$ (AstraZeneca) und 62 US-$ (Sinopharm). Anhand von Verträgen, die den Autoren vorlagen, sind zumindest 5 dieser Impfstoffe bereits zu 73% (Sanofi/GlaxoSmithKline) bis zu 100% (CureVac) von Industriestaaten für das Jahr 2021 vorbestellt worden und werden deshalb vermutlich für Impfungen in Entwicklungs-/Schwellenländern nur wenig oder gar nicht zur Verfügung stehen.

Auf die Entwicklung und Herstellung neuer Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 in weniger als 12 Monaten sowie Gründe für die deutlich beschleunigten Zulassungen dieser Impfstoffe sind wir bereits ausführlich eingegangen (3). Während früher die Impfstoffentwicklung häufig aufgrund unzureichender Investitionen nur langsam in Gang kam, besteht dieses Problem bei der momentanen Pandemie nicht. Mit Stand vom 3.2.2021 befanden sich 289 experimentelle Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 in der Entwicklung, von denen 66 in unterschiedlichen Phasen der klinischen Prüfung waren und 20 in Phase III. Allerdings sind bisher nur 6 der 66 Impfstoffe (AstraZeneca, BioNTech/Pfizer, Moderna, Gamaleya, Johnson & Johnson, Sinopharm) durch SRA oder die WHO zugelassen worden. Weitere 5 Impfstoffe aus China, Indien, Kasachstan und Russland haben durch nationale regulatorische Behörden eine Notfallzulassung erhalten. Die meisten dieser Impfstoffe haben in klinischen Studien eine gute Wirksamkeit (> 70%) gezeigt.

In einer Tabelle werden die zur Herstellung der Impfstoffe verwendeten Technologien (z.B. mRNA, virale Vektoren, abgeschwächte Viren, Protein-Impfstoffe) dargestellt und – soweit bekannt – die Finanzierung durch Regierungen (z.B. USA, Kanada, China, Japan, Russland, Deutschland) bzw. „No-profit“-Organisationen (z.B. Bill & Melinda Gates Foundation, „Coalition for Epidemic Preparedness Innovations“ = CEPI) angegeben. Die genauen Zahlen zur Finanzierung variieren deutlich zwischen 3 Mio. US-$ von Non-profit-Organisationen für einen inaktivierten Virusimpfstoff bis hin zu 2,1 Mrd. US-$ von der Regierung der USA sowie Bill & Melinda Gates Foundation und CEPI für die Impfstoffe der pharmazeutischen Hersteller Novavax bzw. Sanofi mit GlaxoSmithKline, jeweils für gentechnisch hergestellte Protein-Impfstoffe.

Man darf gespannt sein, ob die für Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 von pharmazeutischen Unternehmern verlangten Preise die staatliche finanzielle Unterstützung bei der Entwicklung der Impfstoffe sowie die für die weltweiten Impfkampagnen benötigten großen Volumina an Impfstoffen adäquat berücksichtigen. Dies ist für die Bezahlbarkeit der Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 – besonders in einkommensschwachen Ländern bzw. Ländern mit mittlerem Einkommen, in denen derzeit ca. 85% der Weltbevölkerung leben – von großer Bedeutung.

Angesichts negativer Erfahrungen während der H1N1-Influenza Pandemie 2009, während der in Entwicklungs-/Schwellenländern Impfstoffe nicht ausreichend zur Verfügung standen, da sich reiche Industriestaaten rasch einen Großteil der globalen Impfstoffbestände sicherten, hat die WHO nach Ausbruch der SARS-CoV-2-Pandemie jetzt rasch reagiert. Sie gründete die „COVID-19 Vaccine Global Access“ (COVAX) Infrastruktur, die von der CEPI und der „Global Alliance for Vaccines and Immunisation“ (GAVI) gemeinsam koordiniert wird und eine faire sowie gerechte Verteilung der Impfstoffe erreichen soll (4). Ein wichtiges Ziel von COVAX – im frühen Stadium der Impfkampagne in allen Ländern weltweit etwa 20% der Bevölkerung zu impfen und dabei vor allem ältere Erwachsene, im Gesundheitswesen beruflich Tätige sowie Menschen mit erhöhtem Risiko für schwere COVID-19-Verläufe zu berücksichtigen – wird höchstwahrscheinlich jedoch nicht erreicht werden. Auch die Grundidee von COVAX, dass kein Land mehr als 20% seiner Bevölkerung impft bis weltweit alle Länder 20% der Bevölkerung geimpft haben, kann sicher nicht umgesetzt werden. Dies verdeutlicht auch eine aktuelle Nachricht der WHO, dass erst am 1.3.2021 im Rahmen der COVAX-Kampagne mit Impfungen gegen SARS-CoV-2 in Afrika begonnen wurde, und zwar in Ghana und der Elfenbeinküste (5). Deshalb wird heute zu Recht der Impf-Nationalismus reicher Industrienationen angeprangert und darauf hingewiesen, dass Staaten, die etwa ein Siebtel der Weltbevölkerung ausmachen, bereits heute mehr als die Hälfte der erfolgversprechenden Impfstoffe für sich reserviert haben (6-8).

Abschließend widmet sich der Übersichtsartikel der momentanen Impfbereitschaft weltweit und vermittelt hierzu einen Überblick anhand einer Umfrage, die zwischen 21.1.2020 und 16.12.2020 in insgesamt 32, alle Kontinente umfassenden Ländern durchgeführt wurde. Diese Umfrage ergab deutliche Unterschiede. Die größte Bereitschaft, gegen SARS-CoV-2 geimpft zu werden, bestand in Vietnam (98%) und die geringste in Serbien (38%). Deutschland lag mit 65% im mittleren Drittel. Für die teilweise nicht sehr hohe Impfbereitschaft wurden vor allem 3 Gründe genannt: 1. sehr rasche Entwicklung der Impfstoffe in weniger als einem Jahr; 2. erstmals zugelassene mRNA-Impfstoffe; 3. Verschwörungstheorien hinsichtlich aktuell verfügbarer Impfstoffe gegen SARS-CoV-2, die über (meist unkontrollierte) soziale Medien verbreitet werden. Über geeignete Maßnahmen, die Impfbereitschaft zu erhöhen, haben wir bereits berichtet (9).

Literatur

  1. Wouters, O.J., et al.: Lancet 2021, 397, 1023. Link zur Quelle
  2. https://www.who.int/medicines/regulation/sras/en/ Link zur Quelle
  3. AMB 2020, 54, 85. Link zur Quelle
  4. https://www.who.int/initiatives/act-accelerator/covax Link zur Quelle
  5. https://www.who.int/news/item/01-03-2021-first-covid- 19-covax-vaccine-doses-administered-in-africa Link zur Quelle
  6. Bollyky, T.J., et al.: JAMA 2020, 323, 2462. Link zur Quelle
  7. Bollyky, T.J., und Bown, C.P.: Foreign Affaires 2020. Link zur Quelle
  8. https://www.nzz.ch/meinung/das-coronavirus-vertieft-die- ungleichheit-in-der-welt-ld.1596665 Link zur Quelle
  9. AMB 2021, 55, 01. Link zur Quelle

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