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Antidiabetika als „Lifestyle Drugs“ zur Gewichtsreduktion auf TikTok propagiert

Im Jahr 2006 wurde der erste Vertreter aus der Gruppe der s.c. zu applizierenden Inkretin-Mimetika oder Glucagon-like peptid-1(GLP-1)-Rezeptor-Agonisten zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 (DMT2) zugelassen. Seitdem sind mehrere Nachfolgepräparate auf den Markt gekommen, darunter Liraglutid (Victoza®, Novo Nordisk; 0,6 mg bis 1,8 mg; seit Juni 2008) und zuletzt das länger wirkende und statt einmal täglich nur einmal wöchentlich s.c. zu injizierende Semaglutid (Ozempic®, ebenfalls Novo Nordisk; 0,25 mg bis 2 mg; seit Februar 2018). Die beiden Wirkstoffe sind aufgrund ihres auch bei Nicht-Diabetikern ausgeprägten gewichtsreduzierenden Effekts mittlerweile in höheren Dosierungen und unter anderen Namen (Saxenda®; 0,6 mg bis 3,0 mg seit März 2015, bzw. Wegovy®; 0,25 mg bis 2,4 mg seit Januar 2022) auch zugelassen zur Behandlung von Adipositas (BMI > 30 kg/m2) sowie Übergewicht (BMI > 27 kg/m2) – letzteres wenn zusätzlich mindestens eine mit Adipositas assoziierte Erkrankung vorliegt: DMT2, Dyslipidämie, arterielle Hypertonie, obstruktives Schlafapnoe-Syndrom, kardiovaskuläre Erkrankung. Die Behandlung ist mit häufigen und nicht unerheblichen, allerdings meist vorübergehenden Nebenwirkungen verbunden, vor allem Übelkeit, Stuhlunregelmäßigkeiten und Gallenwegserkrankungen (vgl. [1]). Über erwünschte und unerwünschte Langzeiteffekte ist noch wenig bekannt. Nach Absetzen von GLP-1-Agonisten droht ein Rebound-Phänomen mit neuerlicher Gewichtszunahme, sodass häufig eine Dauertherapie erforderlich ist. Wir haben in einem Hauptartikel darüber berichtet [2].

Seit Bekanntwerden der Zulassung zur Gewichtsreduktion wird Semaglutid verbreitet „Off-Label“ zum kosmetischen Gewichtsverlust angewendet – trotz der erheblichen monatlichen Kosten von ca. 1.300 € und regional sehr unterschiedlicher Erstattungssituationen. Dies wird auch durch „Postings“ prominenter Personen (zuletzt von Elon Musk) in den sogenannten „Sozialen Medien“ ausgelöst und gefördert (z.B. [3]). So wurden Videos zum Thema Gewichtsreduktion durch Semaglutid auf dem Videoportal TikTok hunderte Millionen Mal angesehen. Eine aktuell publizierte Studie belegt mit beeindruckenden Zahlen den hohen Stellenwert, der den Themen Ernährungsverhalten und Körperwahrnehmung von den überwiegend sehr jungen TikTok-Nutzern beigemessen wird [4].

Ozempic® ist wegen länderspezifischer Verordnungsregeln als Antidiabetikum trotz des identischen Wirkstoffs Semaglutid leichter verschreibbar als Wygova® und daher stärker vom Off-Label-Gebrauch betroffen. Von manchen wird der Handelsname „Ozempic“ im modernen Sprachgebrauch bereits als Synonym des Wirkstoffs verwendet – so wie „Aspirin“, „Viagra“ oder „Botox“ [5]. Nachdem neben der erhöhten Nachfrage auch Probleme in den Lieferketten aufgetreten waren, kam es in den vergangenen Monaten zu einem globalen Versorgungsengpass bei den niedrigen Semaglutid-Dosierungen, der voraussichtlich noch bis in das Jahr 2023 hinein bestehen wird [6]. Davon sind nicht nur so manche „Reiche und Schöne Hollywoods“ betroffen, sondern leider auch Patienten mit Diabetes, die seit langem auf Semaglutid eingestellt sind.

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hat dazu kürzlich ein Informationsschreiben veröffentlicht [7], und die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie warnt vor einer Anwendung von GLP-1-Agonisten im Eigengebrauch [8]. Auch nach unserer Meinung sollten alle GLP-1-Agonisten strikt den zugelassenen Indikationen entsprechend verschrieben und von umfassenden ärztlichen Maßnahmen zur Behandlung von Patienten mit DMT2 bzw. Übergewicht/Adipositas sowie anderer kardiovaskulärer Risikofaktoren begleitet werden.

Fazit

GLP-1-Agonisten, die neben Diabetes mellitus Typ 2 auch zur Behandlung von Adipositas und Übergewicht bei Risikopatienten zugelassenen sind, haben – gefördert durch Aktivitäten in den „sozialen Medien“ – rasch und weltweit einen beträchtlichen Marktanteil bei Off-Label-Anwendungen zur kosmetischen Gewichtsreduktion erreicht. Infolge dieser erhöhten Nachfrage ist es in diesem Jahr zu globalen Versorgungsengpässen von Semaglutid gekommen, die sich nachteilig auf die Behandlung von Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 auswirken. Wir raten – nicht nur deshalb – dringend, GLP-1-Agonisten nur entsprechend den zugelassenen Indikationen zu verordnen. Eine Anwendung als „Lifestyle drug“ zur kosmetischen Gewichtsreduktion ist eindeutig abzulehnen.

Literatur

  1. AMB 2022, 56, 27. (Link zur Quelle)
  2. AMB 2021, 55, 21. (Link zur Quelle)
  3. https://twitter.com/elonmusk/status/1592768518050574336 (Link zur Quelle)
  4. https://www.vogue.de/beauty/artikel/ozempic-medikament (Link zur Quelle)
  5. Minadeo, M., und Pope, L.: PLoS One 2022, 17, e0267997. (Link zur Quelle)
  6. https://www.medscape.com/viewarticle/984758#vp_1 (Link zur Quelle)
  7. https://www.bfarm.de/SharedDocs/Arzneimittelzulassung/Lieferengpaesse/DE/2022/info_semaglutid_20221019.html?nn=471334 (Link zur Quelle)
  8. https://www.endokrinologie.net/pressemitteilung/adipositas-mit-diabetesmedikament-zum-traumgewicht.php (Link zur Quelle)