Onkologische Arzneimittel, die auf der Basis von Surrogat-Parametern von der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA beschleunigt zugelassen werden, müssen in sogenannten konfirmatorischen Studien nach der Zulassung ihren klinischen Nutzen bestätigen (1, vgl. 2). Wissenschaftler um Aaron Kesselheim untersuchten nun die regulatorischen Konsequenzen für beschleunigt zugelassene onkologische Arzneimittel, bei denen nach der Zulassung keine Besserung hinsichtlich des primären Endpunkts belegt wurde (3). Außerdem untersuchten die Wissenschaftler, ob und wie sich der fehlende Nutzenbeleg nach der Zulassung auf Empfehlungen in klinischen Leitlinien des „National Comprehensive Cancer Network®“ (NCCN®) auswirkte; diese werden von 31 führenden onkologischen Zentren in den USA erstellt.
In einer retrospektiven Beobachtungsstudie suchten die Autoren dafür in einer Datenbank der FDA nach allen beschleunigt zugelassenen onkologischen Arzneimitteln. Zu den konfirmatorischen Studien nach der Zulassung werteten sie Informationen aus, die sich ebenfalls in dieser Datenbank finden. Außerdem recherchierten sie zu den Studien beispielsweise in der Datenbank PubMed und bei Google Scholar.
Insgesamt wurden 18 Indikationen ermittelt für 10 beschleunigt zugelassene onkologische Arzneimittel, für die nach der Zulassung keine Besserung beim primären Endpunkt belegt wurde, entweder weil die betreffende Studie nach der Zulassung zu einem negativen Ergebnis gekommen war (n = 16) oder weil sie gar nicht durchgeführt worden war (n = 2). Die Arzneimittel waren zugelassen u.a. zur Therapie des Urothelkarzinoms, kleinzelligen Lungenkarzinoms, hepatozellulären Karzinoms und Mammakarzinoms. Grundlage für die beschleunigten Zulassungen waren meist die Ansprechraten (n = 15; 83%), aber auch das progressionsfreie Überleben (n = 2) und das Gesamtüberleben in einer Phase-II-Studie (n = 1). Primärer Endpunkt in den Studien mit negativem Ergebnis nach der Zulassung war das Gesamtüberleben oder ein zusammengesetzter Endpunkt aus Gesamtüberleben und progressionsfreiem Intervall.
Die häufigste Konsequenz aus dem nicht erbrachten Nutzenbeleg nach der Zulassung war die freiwillige Marktrücknahme des Arzneimittels durch den pharmazeutischen Unternehmer (n = 11; 61%). Nur eine Indikation (Bevacizumab gegen Brustkrebs) wurde von der FDA widerrufen. Die weiteren 6 Indikationen (33%) blieben zugelassen. Im Fall von Bevacizumab zur Behandlung des Glioblastoms beispielsweise änderte die FDA die beschleunigte in eine reguläre Zulassung auf der Basis des sekundären Endpunkts progressionsfreies Überleben, obwohl das Arzneimittel die primären Endpunkte Gesamtüberleben und gesundheitsbezogene Lebensqualität nicht verbesserte. Bei Nivolumab zur Behandlung des Melanoms war die angeordnete konfirmatorische Studie negativ, aber die FDA akzeptierte die Ergebnisse einer anderen Studie, auf deren Grundlage sie die beschleunigte in eine reguläre Zulassung änderte. Die Dauer vom Zeitpunkt der beschleunigten Zulassung bis zur regulatorischen Konsequenz oder bis zum Ende des Untersuchungszeitraums der Studien betrug für die Arzneimittel im Median 3,9 Jahre (Spannweite 1,7-11,5 Jahre).
Für 14 Indikationen wurden die Empfehlungen aus den entsprechenden Leitlinien des „National Comprehensive Cancer Network“ (NCCN®)-Leitlinien analysiert. Nach negativen konfirmatorischen Studien wurden in 3 Fällen die Empfehlungen aus den Leitlinien herausgenommen und in 2 Fällen herabgestuft auf Empfehlungsgrad 3; dieser wird bei Uneinigkeit des Panels über die Angemessenheit eines Arzneimittels vergeben. Ein Arzneimittel behielt jedoch seine Grad-2B-Empfehlung, die bei Einigkeit über die Angemessenheit ausgesprochen wird, und 7 Arzneimittel behielten sogar eine Grad-2A-Empfehlung, bei der die Einigkeit einstimmig ist. In einem Fall behielt das Arzneimittel trotz negativer Studie sogar den höchsten Empfehlungsgrad, eine Grad-1-Empfehlung. Den Leitlinienautoren waren die negativen Ergebnisse aus den Studien nach der Zulassung sehr wohl bekannt, und nach ihrer Publikation waren alle Leitlinien auch aktualisiert worden. Die negativen Ergebnisse wurden in den Leitlinien sogar diskutiert.
Fazit: Diese Untersuchung zeigt, dass von der FDA beschleunigt zugelassene onkologische Arzneimittel trotz negativer Ergebnisse in Studien nach der Zulassung häufig über mehrere Jahre ihre formale Zulassung behalten. In NCCN®-Leitlinien werden sie trotz der nicht erbrachten Nutzenbelege oft weiterhin empfohlen, manchmal sogar, nachdem die Zulassung zurückgezogen oder widerrufen wurde. Dies ist inakzeptabel hinsichtlich der Empfehlungen für eine optimale medizinische Versorgung, wie sie in Leitlinien gegeben werden sollten.
Literatur
- https://www.fda.gov/drugs/information-health-care- professionals-drugs/accelerated-approval-program Link zur Quelle
- AMB 2021, 55, 57 Link zur Quelle . AMB 2017, 51, 01 Link zur Quelle . AMB 2017, 51, 16DB01 Link zur Quelle . AMB 2017, 51, 86b. Link zur Quelle
- Gyawali, B., et al.: BMJ 2021, 374, n1959. Link zur Quelle