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Kardiovaskuläre Risiken von NSAID, einschließlich Coxiben: Eine Netzwerk-Metaanalyse

Wir haben wiederholt über Risiken bei Einnahme von Coxiben und konventionellen NSAID berichtet (1-5). Den meisten unserer Leser wird noch die Marktrücknahme von Rofecoxib im Jahr 2004 wegen vermehrter Herzinfarkte im Vergleich mit Plazebo in Erinnerung sein. 2007 ist auch Lumiracoxib bald nach seiner Zulassung wegen erhöhter Lebertoxizität vom Markt genommen worden (4). Es hätte gar nicht zugelassen werden dürfen.

Im BMJ veröffentlichten jetzt S. Trelle et al. aus Bern (5) eine umfangreiche Vergleichsstudie zu kardiovaskulären Risiken, die mit längerfristiger Einnahme von Coxiben und konventionellen NSAID assoziiert sind. Sie nennen ihre methodisch komplizierte Studie eine Netzwerk-Metaanalyse. Insgesamt wurden nach Sichtung aller publizierten, zum Teil auch von Hersteller-Firmen angeforderter unveröffentlichter Studien, 31 ausgewertet, die mindestens 100 Patienten-Benutzer-Jahre und ein definiertes Minimum kardiovaskulärer Ereignisse aufweisen mussten. Insgesamt wurden 116.429 Patienten mit 115.000 Patientenjahren analysiert, d.h. die durchschnittliche Studiendauer betrug knapp ein Jahr.

Bei sieben Substanzen reichte die Datenlage aus: Celecoxib, Diclofenac, Etoricoxib, Ibuprofen, Lumiracoxib, Naproxen und Rofecoxib. Nur für vier dieser Substanzen lagen Vergleichsstudien mit Plazebo mit ausreichender statistischer „Power” vor (Celecoxib, Lumiracoxib, Naproxen und Rofecoxib). Die anderen Substanzen waren aber alle mit einer oder mehreren der zuletzt genannten Arzneimittel verglichen worden, so dass aus diesem raffinierten Netzwerk mit einer gewissen Vorsicht plausible Rückschlüsse auf ein „Abschneiden” im Vergleich mit Plazebo gezogen werden können. Obwohl gastrointestinale UAW ein wichtiges Thema bei Anwendung dieser Substanzklassen sind, beschränkte sich die Netzwerk-Metaanalyse auf den Vergleich der Risiken für die kardiovaskulären Ereignisse: Myokardinfarkt, Schlaganfall, Tod durch kardiovaskuläre (KV) Ursache, Tod jeder Ursache und „Zusammengefasste Ereignisrate”, letztere nach der APTC-Methodik (8).

Insgesamt war die Anwendung von Naproxen mit der geringsten KV-Ereignisrate assoziiert. (s. Tab. 1). Das nicht mehr auf dem Mark befindliche Rofecoxib war mit einem signifikant erhöhten Risiko für Herzinfarkt, Tod jeder Ursache und zusammengefasster Ereignisse assoziiert. Lumiracoxib war signifikant mit vermehrt Schlaganfällen und zusammengefassten Ereignisraten und nicht signifikant, aber hoch suspekt, mit vermehrten Schlaganfällen, Tod jeder und Tod durch KV-Ursache assoziiert. Diese Substanzen brauchen uns prospektiv keine Sorgen mehr zu machen. Sie sind nicht mehr auf dem Markt.

Das sehr viel verordnete konventionelle NSAID Diclofenac war jedoch auch mit einem signifikant erhöhten Schlaganfall-Risiko assoziiert, ebenso mit einem signifikant erhöhtem Risiko für KV-Tod und Tod jeder Ursache. Ibuprofen kommt etwas besser weg, obwohl es ebenfalls mit signifikant vermehrt Schlaganfällen und einer signifikant erhöhten Inzidenz zusammengefasster Ereignisse nicht gut abschneidet. Das immer noch viel beworbene Celecoxib verfehlt bei KV- Tod und Tod jeder Ursache und zusammengefasster Ereignisrate knapp das Signifikanzniveau. Etoricoxib ist mit einer signifikant erhöhten KV-Letalität und mit nicht-signifikant erhöhten Risiken für Schlaganfall und für Tod jeder Ursache assoziiert.

Die Ergebnisse sind Studie für Studie gut dokumentiert. Die Autoren deklarieren, keine Honorare von Herstellern bekommen zu haben. Sie beklagen, von der Firma Merck (USA) keine unveröffentlichten Sicherheits-Daten zu Rofecoxib und dem noch auf dem Markt befindlichen Etoricoxib erhalten zu haben. Die Arbeit wurde von der Schweizer National Science Foundation finanziert.

Obwohl diese Netzwerk-Analyse ohne das Vorliegen direkter Vergleiche aller Substanzen mit Plazebo gewisse Schwächen hat, die die Autoren selbst erwähnen, betrachten wir sie als ein wichtiges Warnsignal gegen die unkritische oder zu großzügige Verordnung von Coxiben, aber auch von Diclofenac und Ibuprofen, bei älteren Menschen mit erkennbarem kardiovaskulären Risiko.

Ältere Menschen mit Arthrosen und anderen schmerzhaften Skelett- und Muskelbeschwerden, die mit diesen Arzneimitteln behandelt werden, haben oft auch ein erhöhtes KV-Risiko, so dass die Dauertherapie generell problematisch ist. Im Zweifelsfall sollte immer zunächst eine Physiotherapie versucht werden. Die Dosierung der besprochenen Substanzen muss individualisiert werden. In Studien sind Coxibe mehrfach mit viel zu hohen Dosen Diclofenac (150 mg/d) verglichen worden (6; vgl. 3), was möglicherweise zum schlechten Abschneiden dieses stark wirksamen NSAID beigetragen hat.

Die Arbeit von Trelle et al. (5) wird im gleichen Heft des BMJ von W.A. Ray aus Nashville, USA kommentiert (7). Als Alternativen zu NSAID und Coxiben erwähnt er Paracetamol und bei ausgewählten Patienten niedrig dosiert Opiate. Ersteres ist aber bei Arthrosen wenig wirksam und letztere sind mit anderen Problemen behaftet. Die sehr unterschiedlichen Preise der Substanzgruppen sind bei diesen differenzialtherapeutischen Überlegungen nicht in Erwägung gezogen worden.

Fazit: Nicht nur die vom Markt genommenen Coxibe Rofecoxib und Lumiracoxib sind mit einem erhöhten kardiovaskulären (Lumiracoxib auch mit einem hepatotoxischen) Risiko assoziiert. Auch die konventionellen NSAID Diclofenac und Ibuprofen teilen dieses Risiko. Naproxen scheint das geringste kardiovaskuläre Risiko zu haben. Generell sollten Coxibe und NSAID nur bei richtiger Indikation, in individueller Dosierung und, wenn möglich, nur bei Bedarf eingenommen werden.

Literatur

  1. AMB 2005, 39,38b. Link zur Quelle
  2. AMB 2006, 40,15. Link zur Quelle
  3. AMB 2007, 41,06. Link zur Quelle
  4. AMB 2007, 41,95a. Link zur Quelle
  5. Trelle, S.,et al.: BMJ 2011, 342, c7086. Link zur Quelle
  6. Cannon,C.P., et al. (MEDAL = Multinational Etoricoxib and DiclofenacArthritis Long-term programme): Lancet 2006, 368, 1771. Link zur Quelle
  7. Ray, W.A.:BMJ 2011, 342, c6618. Link zur Quelle
  8. AntiplateletTrialists’ Collaboration: BMJ 1994, 308, 81. Link zur Quelle

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