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„Alternative Fakten“ zur Erklärung enttäuschend negativer Studienergebnisse?

Die Weihnachtsausgaben des renommierten British Medical Journal (BMJ) sind traditionell von britischem Humor geprägt. Seit 1982 werden darin Studien vorgestellt, die mit durchaus seriösen Methoden nicht ganz ernst gemeinte Themen untersuchen. Eine in der Weihnachtsausgabe 2018 erschienene Arbeit (1) untersucht am Beispiel kardiologischer Studien, mit welchen Argumenten sogenannte „Key Opinion Leaders“ (KOL) enttäuschend negative Studienergebnisse zu erklären versuchen. Als KOL gelten Experten, deren Einfluss auf die (internationale/nationale/regionale) Kollegenschaft als gewichtig eingeschätzt wird. Von pharmazeutischen und medizintechnischen Unternehmern werden sie als wertvolle „Multiplikatoren“ in der Werbung angesehen und für entsprechende Meinungsäußerungen gut bezahlt (vgl. 2).

Methodik: Als Basis diente die Berichterstattung zweier großer medizinischer Nachrichtendienste (Medscape; MedPage Today) über die drei größten Internationalen Kardiologie-Jahreskongresse (European Society of Cardiology, American Heart Association, American College of Cardiology). Die Autoren analysierten alle über einen Zeitraum von fünf Jahren erschienenen Berichte zu enttäuschenden klinischen Studienergebnissen und die darin zitierten Kommentare von KOL. Als „negativ“ wurde jede Studie eingestuft, deren gewünschter prädefinierter primärer Endpunkt nicht erreicht wurde. Als KOL wurden alle Experten angesehen, deren Aussagen und Stellungnahmen von einem der beiden genannten Nachrichtendienste publiziert worden waren, unabhängig von möglichen Interessenkonflikten.

Ergebnisse: Es wurden 321 klinische Studien gefunden, die auf den 15 großen Kardiologie-Kongressen von 2013 bis 2017 präsentiert wurden und über die von mindestens einem der Nachrichtendienste berichtet wurde. Von diesen Studien waren 127 (40%) negativ und diese erhielten insgesamt 438 Kommentare von verschiedenen KOL in den beiden Nachrichtendiensten. Bei 108 Studien (85%) wurden von den KOL „andere“ Erklärungen für den negativen Studienausgang angeführt, als ein einfaches Versagen der untersuchten Therapie. Diese alternativen Erklärungen wurden als „Ausrede“ („excuse“) gewertet. Die Autoren kategorisierten diese Alternativerklärungen und erstellten auf dieser Basis ein „Panellist’s Playbook“ (Auszug s. Tab. 1). Wenn es ihnen „an Zeit, Lust oder Fähigkeit fehlt, sich näher mit einer Studie zu befassen, so können KOL Teile daraus entnehmen und so mühelos den Anschein von Wissen vermitteln“, und „keine Intervention ist so ineffektiv, dass es nicht eine Ausrede dafür gibt“ – so das satirische Resümee der Autoren.

Fazit: Ein ironischer Beitrag in der Weihnachtsausgabe des British Medical Journal beschäftigt sich mit häufig verwendeten alternativen Erklärungen in Expertenkommentaren zu unerwünschten negativen Studienergebnissen. Der ernste Hintergrund: Eine kritische Analyse wissenschaftlicher klinischer Daten ist wichtig und notwendig, sollte aber differenziert und unvoreingenommen sein – das gilt für negative Studienergebnisse ebenso wie für positive. Kommerzielle Interessen dürfen ebenso wenig zur Beliebigkeit verleiten wie so manche (berechtigte) Kritikpunkte an der evidenzbasierten Medizin oder deren Komplexität. In Zeiten weit verbreiteter Leugnung basaler wissenschaftlicher Erkenntnisse aufgrund „alternativer Fakten“ in manchen Medien und auf höchsten politischen Ebenen kann dies nicht genug gefordert werden.

Literatur

  1. BMJ 2018, 363, k5207. Link zur Quelle

  2. AMB 2016, 50, 16DB01 Link zur Quelle . AMB 2012, 46, 56 Link zur Quelle . AMB 2012, 46, 32DB01 Link zur Quelle . AMB 2012, 46, 59. Link zur Quelle

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