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Vollpublikationen der beiden Phase-II/III-Studien mit Molnupiravir bzw. Nirmatrelvir zur Behandlung nicht hospitalisierter Patienten mit COVID-19 und Risikofaktor(en) für einen schweren Verlauf

Wir haben bereits im November 2021 und Februar 2022 über die beiden antiviral wirksamen Medikamente, Molnupiravir (Lagevrio®, Merck Sharp & Dohme = MSD) und Nirmatrelvir plus Ritonavir (Paxlovid®, Pfizer) berichtet ([1][2]). Da am 10. Februar 2022 zu Molnupiravir [3] bzw. am 16. Februar 2022 zu Nirmatrelvir plus Ritonavir [4] die Vollpublikationen der für die Zulassung relevanten klinischen Studien im N. Engl. J. Med. erschienen sind, möchten wir erneut kurz über beide Medikamente berichten. Wir konzentrieren uns dabei vor allem auf die Ergebnisse, die zum Zeitpunkt der vorausgegangenen Zwischenanalysen zu diesen beiden Studien noch nicht vorlagen.

Unsere kleine Mitteilung zu Molnupiravir basierte auf einer Zwischenanalyse einer doppelblinden, randomisierten und plazebokontrollierten Phase-III-Studie (MOVe-OUT) zur Wirksamkeit und Sicherheit dieses Prodrug von N4-Hydroxycytidin (NHC) [1]. NHC ist ein Ribonukleosid-Analogon, das als falscher Baustein in die virale RNA von SARS-CoV-2 eingebaut wird und dadurch die Replikation des Virus hemmt. Im Rahmen dieser klinischen Studie mit insgesamt 1.433 nicht hospitalisierten Teilnehmern und mildem oder moderatem Verlauf von COVID-19 erhielten nach Randomisierung 716 Teilnehmer über jeweils 5 Tage Molnupiravir (4 Kapseln mit jeweils 200 mg zweimal täglich) oder identisch aussehende Plazebo-Kapseln [3]. Unter den randomisierten Teilnehmern wurden als die drei häufigsten SARS-CoV-2-Varianten nachgewiesen: B.1.617.2 (Delta: 58,1%), B.1.621 (My: 20,5%) und P.1 (Gamma: 10,7%). Wichtige Einschlusskriterien waren eine durch Laboruntersuchungen bestätigte SARS-CoV-2-Infektion und Beginn der für COVID-19 typischen Symptome ≤ 5 Tage zuvor sowie das Vorliegen zumindest eines Risikofaktors (Alter > 60 Jahre; aktive Krebserkrankung; chronische Niereninsuffizienz bzw. chronisch-obstruktive Lungenerkrankung, Adipositas mit Body-Mass-Index ≥ 30 kg/m2, schwere kardiovaskuläre Erkrankung oder Diabetes mellitus). Ausschlusskriterien waren u.a. eine bereits erfolgte Impfung gegen SARS-CoV-2, eine vorhergesehene Notwendigkeit einer Krankenhausaufnahme innerhalb der nächsten 48 Stunden, Dialysebehandlung bzw. stark verminderte glomeruläre Filtrationsrate (GFR < 30 ml/min/1,73 m2, Schwangerschaft sowie fehlende Bereitschaft der Teilnehmerinnen an der Studie, während der Therapie mit Molnupiravir und 4 Tage danach Kontrazeptiva einzunehmen.

Primärer kombinierter Endpunkt war Hospitalisierung oder Tod nach 29 Tagen. Für Molnupiravir ergab die finale Auswertung einen geringen Vorteil: Der primäre Endpunkt wurde von 6,8% der mit Molnupiravir und 9,7% der mit Plazebo behandelten Patienten erreicht [3]; dies entspricht einem absoluten Unterschied von ca. 3% und bedeutet statistisch, dass 34 Patienten behandelt werden müssen („Number needed to treat“ = NNT: 34), damit einer von ihnen profitiert [5]. Einige Subgruppenanalysen zeigten sogar einen Vorteil für die Patienten in der Plazebo-Gruppe, z.B. vorausgegangene Infektion mit SARS-CoV-2, geringe Viruslast bei Diagnose von COVID-19 und bekannter Diabetes mellitus.

Die Ergebnisse dieser klinischen Studien zu Molnupiravir (und Nirmatrelvir plus Ritonavir) wurden bereits letztes Jahr in einem Editorial im BMJ unter der Überschrift: „Safety and efficacy of antivirals against SARS-CoV-2: We need evidence not optimism“ kritisch kommentiert [5]. Ausführlicher hat sich jetzt, ebenfalls im BMJ, ein kanadischer Epidemiologe (James M. Brophy) unter der Überschrift „Molnupiravir’s authorisation was premature“ mit den Ergebnissen der MOVe-OUT-Studie zu Molnupiravir auseinandergesetzt [6]. Er kritisiert zunächst eine am 1. Oktober 2021 von Merck veröffentlichte Pressemitteilung zu den Ergebnissen der Zwischenanalyse der MOVe-Out-Studie, in der über eine Reduktion hinsichtlich Hospitalisierung oder Tod von ca. 50% (p = 0,0012) durch Molnupiravir in den ersten 29 Tagen nach Infektion mit SARS-Co-V2 berichtet wurde [7]. Basierend auf dieser Zwischenanalyse von MOVe-Out erteilten die Zulassungsbehörden in Großbritannien (Medicines and Healthcare Products Regulatory Agency = MHRA) und den USA (Food and Drug Administration = FDA) eine bedingte Zulassung (MHRA) bzw. „emergency use authorization“ (FDA), die jedoch im Vergleich zu einer regulären Zulassung nur auf schwächerer Evidenz hinsichtlich Wirksamkeit und Sicherheit von Molnupiravir basierte [6]. Zu Recht weist James M. Brophy auch auf die Gefahren von vorzeitig beendeten klinischen Studien (“truncated trials“) hin, insbesondere wenn die Gründe hierfür nicht klar benannt werden. Die in der jetzt publizierten klinischen Studie mitgeteilte absolute Differenz im primären Endpunkt und dementsprechend auch im p-Wert im Vergleich zur Pressemitteilung (-3%, p = 0,043 vs. -6,8%, p = 0,0012) sind nur grenzwertig signifikant [6]. Vor diesem Hintergrund stellt sich natürlich auch die Frage nach dem klinischen Nutzen angesichts des noch ungewissen Sicherheitsprofils von Molnupiravir und seiner hohen Kosten: ca. 600 € für eine Behandlung über 5 Tage [6]. Darüber hinaus sind zu dem Artikel von James M. Brophy drei sehr lesenswerte „Dear Editor“-Artikel mit weiteren Kritikpunkten zur MOVe-OUT-Studie und der Interpretation ihrer Ergebnisse erschienen [8].

Bevor die von MSD prognostizierten ca. 10 Mio. Behandlungszyklen im kommenden Jahr verabreicht werden, sollten unbedingt „cost effectiveness“-Analysen durch „Health Technology Assessment“ (HTA)-Organisationen durchgeführt werden, auch um Fehler aus der Vergangenheit nicht zu wiederholen, nämlich staatliche Ausgaben in Höhe von mehr als 18 Mrd. US-$ für Oseltamivir (Tamiflu®), einem antiviralem Medikament mit sehr fraglichem Nutzen [6].

Die Ergebnisse von MOVe-Out werden in einem Editorial des N. Engl. J. Med. unter dem Titel „Molnupiravir – A step toward orally bioavailable therapies for Covid-19“ kommentiert und vier wichtige Punkte betont [9]: 1. Ziel sollte es sein, alle Patienten innerhalb von 72 Stunden nach Beginn der Symptome von COVID-19 zu behandeln; 2. Molnupiravir ist weniger wirksam, wenn Symptome bereits 3-5 Tage bestanden haben oder die Patienten schon hospitalisiert wurden; 3. die Ergebnisse zur Sicherheit von Molnupiravir sind noch unzureichend und erfordern weiterhin eine sorgfältige Überwachung der Nebenwirkungen; 4. die mutagene Toxizität muss aufgrund der Ergebnisse in Tierversuchen an CHO-Zellen (Chinese Hamster Ovary: immortalisierte Zelllinie aus Ovarien des chinesischen Zwerghamsters) bedacht werden.

In die doppelblinde, randomisierte, kontrollierte Phase-II/III-Studie (EPIC-HR) zu Nirmatrelvir plus Ritonavir (Paxlovid®) vs. Plazebo wurden 2.246 Patienten mit hohem Risiko für einen schweren Verlauf von COVID-19 eingeschlossen, von denen 98% mit der Delta-Variante von SARS-CoV-2 infiziert waren [4]. Nirmatrelvir bindet an die SARS-CoV-2-3CL-Protease (früher bezeichnet als 3-Chymotrypsin-ähnliche Protease) und hemmt dadurch die Virusreplikation. Ritonavir ist ein Inhibitor von Cytochrom P450 (CYP3A4), blockiert deshalb die Metabolisierung von Nirmatrelvir und erhöht dessen Plasmakonzentration. Nach Randomisierung der ungeimpften, symptomatischen, nicht hospitalisierten, erwachsenen (≥ 18 Jahre; medianes Alter 46 Jahre) Patienten erhielten diese entweder 300 mg Nirmatrelvir plus 100 mg Ritonavir als pharmakokinetischen Booster (1.120 Patienten) oder Plazebo (1.126 Patienten) alle 12 Stunden über 5 Tage. Alle Patienten hatten eine bestätigte SARS-CoV-2-Infektion mit Symptomen, die nicht früher als 5 Tage vor der Randomisierung aufgetreten waren, sowie zumindest einen Risikofaktor für einen schweren Verlauf von COVID-19. Ausschlusskriterien waren u.a. eine zuvor bestätigte Infektion mit SARS-CoV-2 oder Hospitalisierung infolge von COVID-19, eine erwartete Hospitalisierung innerhalb von 48 Stunden nach Randomisierung, die vorausgegangene Gabe von Rekonvaleszentenplasma sowie die bereits erfolgte oder erwartete Behandlung mit monoklonalen Antikörpern. Primärer Endpunkt war die Wirksamkeit von Nirmatrelvir im Vergleich zu Plazebo hinsichtlich des Prozentsatzes an Patienten, die wegen COVID-19 hospitalisiert wurden oder innerhalb von 28 Tagen nach Randomisierung starben. Ein wichtiger sekundärer Endpunkt war der Vergleich der zuvor genannten Parameter bei Patienten, bei denen die medikamentöse Behandlung mit Nirmatrelvir innerhalb von 5 Tagen nach Beginn der Symptome von COVID-19 erfolgte. Als Endpunkte in Bezug auf die Sicherheit wurde das Auftreten unerwünschter Ereignisse während der medikamentösen Behandlung oder vor Tag 34 nach Behandlung mit Nirmatrelvir ausgewertet. Geplant war, etwa 3.000 Patienten in diese Studie einzuschließen, wobei die primäre Analyse nach 1.717 Patienten mit 90%iger statistischer Power einen Unterschied von 50% zwischen den beiden Gruppen hinsichtlich Hospitalisierung wegen COVID-19 oder Tod nachweisen sollte.

Insgesamt wurden 2.246 Patienten randomisiert und 1.120 Patienten erhielten danach Nirmatrelvir bzw. 1.126 Patienten Plazebo. In einer geplanten Zwischenanalyse von Patienten mit Behandlung innerhalb von 3 Tagen nach Beginn der Symptome von COVID-19 war die Häufigkeit von Hospitalisierung oder Tod am Tag 28 um 6,32% niedriger in der Gruppe mit Nirmatrelvir im Vergleich zu Plazebo (p < 0,001; relative Risikoreduktion 89,1%). Kein Patient in der medikamentös behandelten Gruppe starb im Vergleich zu 7 Todesfällen in der Gruppe mit Plazebo. Auch die finale Analyse von 1.379 Patienten bestätigte die Wirksamkeit von Nirmatrelvir im Vergleich zu Plazebo (Unterschied von 5,81%, p < 0,001, relative Risikoreduktion 88,9%; NNT = 17). Alle bis zu diesem Zeitpunkt der Auswertung aufgetretenen Todesfälle ereigneten sich in der Plazebo-Gruppe. Die Inzidenz der durch die Behandlung ausgelösten unerwünschten Ereignisse (UE) war ähnlich in beiden Gruppen; sie traten bei 22,6% unter Behandlung mit Nirmatrelvir und bei 23,9% unter Plazebo auf. Es handelte sich meistens um geringe (Grad 1) oder mäßige Nebenwirkungen (Grad 2; 10). Insbesondere Störungen des Geruchs- und Geschmackssinnes und Diarrhö traten unter Nirmatrelvir häufiger auf als unter Plazebo. Die in dieser Studie auch gemessene Viruslast an Tag 5 der Behandlung war niedriger bei den mit Nirmatrelvir behandelten Patienten [4].

Die Sicherheit und Wirksamkeit von Nirmatrelvir plus Ritonavir bei Schwangeren und stillenden Frauen sind noch unklar. Das Stillen sollte deshalb während und 7 Tage nach der antiviralen Behandlung mit Nirmatrelvir plus Ritonavir unterbrochen werden. Da Ritonavir vermutlich die Wirksamkeit kombinierter antihormoneller Kontrazeptiva reduziert, sollten Frauen während der Behandlung und darüber hinaus während eines Menstruationszyklus nach antiviraler Behandlung andere Kontrazeptiva anwenden [10]. Aufgrund der zahlreichen Interaktionen ist die Behandlung mit Nirmatrelvir plus Ritonavir kontraindiziert bei Patienten, die Medikamente einnehmen, die durch CYP3A metabolisiert werden oder CYP3A induzieren. Darüber hinaus ist Nirmatrelvir plus Ritonavir kontraindiziert bei Patienten mit deutlicher Einschränkung der Leber- oder Nierenfunktion ([10], [2], [11]).

Auch die Ergebnisse dieser, vom „Data Monitoring Committee“ wegen des Erreichens des vorab festgelegten Endpunkts zur Wirksamkeit von Nirmatrelvir vorzeitig beendeten Studie werden in einem Editorial im N. Engl. J. Med. kommentiert [12]. Zu Recht wird ausdrücklich auf die Unterschiede zwischen relativer und absoluter Risikoreduktion hingewiesen und betont, dass Patienten mit einem niedrigeren Risiko nur einen sehr geringen Nutzen von Nirmatrelvir hatten und der größte absolute Nutzen bei Patienten mit dem höchsten Risiko nachgewiesen wurde.

Literatur

  1. AMB 2021, 55, 96DB01. (Link zur Quelle)
  2. AMB 2022, 56, 12. (Link zur Quelle)
  3. Jayk Bernal, A., et al. (MOVe-OUT = Efficacy and Safety of Molnupiravir (MK-4482) in Non-Hospitalized Adult Participants With COVID-19): N. Engl. J. Med. 2022, 386, 509. (Link zur Quelle)
  4. Hammond, J., et al. (EPIC-HR = Evaluation of Protease Inhibition for COVID-19 in High Risk patients): N. Engl. J. Med. 2022. Feb.16. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/35172054/ (Link zur Quelle)
  5. Sidebottom, D.B., et al.: BMJ 2021, 375, n2611. (Link zur Quelle)
  6. Brophy, J.M.: BMJ 2022, 376, o443. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/35241455/. Vgl. AMB 2012, 46, 40DB01. (Link zur Quelle)
  7. Merck press release 2021: https://www.merck.com/news/merck-and-ridgebacks-investigational-oral-antiviral-molnupiravir-reduced-the-risk-of-hospitalization-or-death-by-approximately-50-percent-compared-toplacebo-for-patients-with-mild-or-moderat/ (Link zur Quelle)
  8. https://www.bmj.com/content/376/bmj.o443/rapid-responses (Link zur Quelle)
  9. Whitley, R.: N. Engl. J. Med. 2022, 386, 592. (Link zur Quelle)
  10. Anonym: Australian Prescriber: https://doi.org/10.18773/austprescr.2022.015 (Link zur Quelle)
  11. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/COVRIIN_Dok/Arzneimittelwechselwirkungen_Paxlovid.pdf?__blob=publicationFile (Link zur Quelle)
  12. Rubin, E.J., und Baden, L.R.: N. Engl. J. Med. 2022. Feb. 16. https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMe2202160 (Link zur Quelle)