Im Jahr 2004 haben sich 57 deutsche pharmazeutische Unternehmer (pU) aus dem Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) im Verein Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e.V. (FSA) zusammengeschlossen [1] Diese 57 pU decken nach eigenen Angaben 75% des deutschen Arzneimittelmarkts ab. Zu den selbst gesteckten Zielen des FSA zählen die Etablierung und Durchsetzung von eindeutigen Standards zur Zusammenarbeit zwischen pU und Ärztinnen und Ärzten, Gesundheitsorganisationen und Patientenselbsthilfeorganisationen (PO; [2]). Durch solche Selbstverpflichtungen sind die pU geplanten und für sie viel unangenehmeren gesetzlichen Regelungen zuvorgekommen.
Die FSA hat einen sog. „Verhaltenskodex“ erarbeitet. Demnach sollen alle Zuwendungen an die genannten Kreise und Institutionen auf der jeweiligen Webseite des pU offengelegt werden. Erfreulicherweise sind diese nun auch zentral, auf der Webseite der FSA, nachlesbar. Demnach sollen in Deutschland im Jahr 2020 insgesamt 558 Mio. € von den pU an Fachkreisangehörige, medizinische Einrichtungen und Organisationen geflossen sein [3] und „rund 6 Mio. €“ an PO [4]. Diese Angaben dürften aber nur die Spitze des Eisbergs sein, da es im Jahr 2022 > 360 pU in Deutschland gegeben haben soll [5] und die Medizingeräte- und -zubehörindustrie ihre Zahlungen nach wie vor nicht offenlegt. Da von dieser Seite wahrscheinlich jedes Jahr etwa gleich hohe Summen wie von den pU fließen (vgl. [6]), ist diese anhaltende Intransparenz inakzeptabel und muss dringend beendet werden.
Für das Jahr 2022 deklarierten 39 von 57 Mitgliedsunternehmen des FSA Zahlungen von insgesamt 7,7 Mio. € an 331 deutsche und europäische PO [4]. Das entspricht einem Zuwachs um 28% im Vergleich zu 2021. Die höchste Einzelsumme mit 700.000 € erhielt die „Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke e.V./Initiative Forschung und Therapie für die SMA im Förderverein für die DGM e.V.“ zum Zwecke des Neugeborenen-Screenings auf spinale Muskelatrophie. Generell fällt bei der Durchsicht der Listen auf, dass sehr einseitig gefördert wird: die hohen Summen fließen v.a. an PO, die sich mit Erkrankungen beschäftigen, bei denen mit der Therapie sehr viel Geld verdient wird, z.B. chronisch-entzündliche Erkrankungen, seltene Erkrankungen, Krebs und Lungenhochdruck.
Unabhängige Überprüfungen und Auswertungen dieser Daten sind uns nicht bekannt. In Österreich erfolgt dies seit 2014 durch das „Austrian Institute for Health Technology Assessment“ GmbH (AIHTA). Vor zwei Jahren haben wir zuletzt hierüber berichtet (vgl. [7]). Auch in Österreich existiert eine Selbstverpflichtung der pU innerhalb des Verbandes der pharmazeutischen Industrie Österreichs (PHARMIG; [8]). Nach dessen Transparenzkodex sollen die pU einmal jährlich bis zum 30. Juni für das vorangegangene Kalenderjahr alle Zahlungen an die Angehörigen der Fachkreise und PO auf ihrer Website veröffentlichen. Nach Artikel 10 des Verhaltenskodexes sollen die pU die unterstützten PO auch dazu verpflichten, die erhaltene Unterstützung „jederzeit klar erkennbar und von Beginn an ersichtlich“ offenzulegen.
Nun wurden durch das AIHTA die Angaben der pU für das Jahr 2021 untersucht und mit den Vorjahren verglichen [9]. Demnach machten 89 von 115 in der PHARMIG organisierten pU Angaben zum Jahr 2021. Dies ist eine deutliche Verbesserung im Vergleich zu 2019 (39 von 115). Nur noch 26 pU (22%) legten – entgegen ihrer eingegangenen Verpflichtung – ihr Sponsoring von PO nicht offen.
Die Gesamtsumme der deklarierten Geldflüsse an PO in Österreich betrug 2,7 Mio. €, ein Zuwachs von 19% gegenüber 2019 und 236% gegenüber 2014. Vier pU sponserten einzelne oder mehrere PO mit > 200.000 € (maximal 416.679 €), fünf weitere mit > 100.000 €. Dabei scheint eine Konzentrierung stattzufinden: Die Zahl der unterstützten PO war mit 117 um 29% geringer als noch 2019.
Insgesamt 297.500 € (11%) der Geldflüsse an PO wurden von den pU nur anonym deklariert, was in der Selbstverpflichtung nicht vorgesehen ist. Die meisten namentlich deklarierten Zuwendungen gingen an PO für die Krankheiten pulmonalarterielle Hypertonie, Hämophilie, M. Crohn sowie für hämatologische, onkologische und seltene Erkrankungen. Sechs PO erhielten Zuwendungen > 100.000 €: PHA Europe (European Pulmonary Hypertension Association), Österreichische Hämophilie Gesellschaft (ÖHG), Österreichische Morbus Crohn – Colitis ulcerosa Vereinigung (ÖMCCV), Myelom- und Lymphomhilfe Österreich, Österreichische Lungenunion (ÖLU) und PH Austria (Initiative Lungenhochdruck). Diese 6 PO erhielten 41% aller offengelegten Zuwendungen. Die PHA Europe erhielt mit 251.780 € die höchste Einzelzahlung, offenbar exklusiv von einem pU.
Auf Seiten der österreichischen PO ist es um die Transparenz weiterhin sehr schlecht bestellt. Bei einer stichprobenhaften Auswertung der Webseiten von 13 PO, die 2021 > 50.000 € von pU erhielten, wurde durch das AIHTA nur bei 2 eine ausreichende Transparenz festgestellt (gesucht wurde nach Angaben über Einkünfte insgesamt, über Zuwendungen von privatwirtschaftlichen Unternehmen allgemein, über Zuwendungen von pU speziell und das Aufscheinen von Firmenlogos).
Eine eigene Überprüfung einer österreichischen PO zum M. Fabry ergab, dass diese im Jahr 2021 laut Analysen des AIHTA rund 16.600 € von Mitgliedsunternehmen der PHARMIG erhalten hat. Auf der Webseite dieser PO werden insgesamt 7 Sponsoren mit Firmenlogo genannt, davon sind 4 pU, 2 Home-Care-Firmen und eine Apotheke mit Spezialisierung auf Medikamente zur Behandlung von seltenen Erkrankungen. Von den 4 pU sind 3 Mitglieder bei der PHARMIG. Die genannte Summe bildet also nur 3/7 der Sponsoren ab. Angaben über Art und Umfang des Sponsorings sucht man auf der Webseite dieser PO vergebens. Das ist im Übrigen auch gegen die Regeln der PHARMIG (s.o.).
Diskussion: PO spielen eine wichtige Rolle bei Diagnose und Therapie vieler Erkrankungen. Sie sollen bei gesundheitspolitischen Entscheidungen und in den Behandlungsleitlinien für mehr Orientierung für Patienten sorgen [10]. Um dieser Verantwortung gerecht zu werden, sollten sie jedoch in erster Linie die Interessen der betroffenen Patienten und ihrer Angehörigen wahrnehmen und nicht die der Unternehmen, die mit der Behandlung der Erkrankung ihr Geld verdienen. Wenn PO nur existieren (können), wenn sie von pU finanziert werden, dann ist ihre Ausrichtung stark in Frage zu stellen. Es ist sogar zu befürchten, dass es sich bei einigen dieser PO um sog. Pseudo-PO handelt, die allein den Interessen der pU dienen sollen.
Sowohl in Deutschland als auch in Österreich werden PO aus Mitteln der Sozialversicherung gefördert. Ziel dieser Förderung ist es, PO vom Pharmasponsoring unabhängiger zu machen und für solche PO, die für das Pharmasponsoring weniger attraktiv sind, finanzielle Mittel aus anderer Quelle zu eröffnen. In Österreich fördert die Sozialversicherung PO derzeit jährlich nur mit insgesamt 420.000 €, d.h., das Verhältnis von öffentlicher Förderung zum Industriesponsoring beträgt 1:6,5. Die maximale Fördersumme beträgt 15.000 €. Voraussetzungen für eine Förderung sind u.a. ein maximaler Anteil der Mittel im Budget aus Pharmaquellen von 40% sowie eine transparente Offenlegung der Herkunft dieeser Mittel. Diese Bedingungen werden für die meisten PO rund um die „lukrativen“ Erkrankungen nicht erfüllt [9].
In Deutschland werden PO laut Angaben der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen e.V. jährlich mit rund 84 Mio. € aus Mitteln der Gesetzlichen Krankenversicherung gefördert (2020; [11]). Das Verhältnis zwischen öffentlichen Mitteln und Geldern aus der Pharmaindustrie beträgt hier also 10:1. Eine Sperrklausel bezüglich der Förderung durch Dritte existiert hier nicht, nur eine Transparenzverpflichtung [12].