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Psychosoziale Einflüsse auf Entstehung und Prognose der Koronaren Herzkrankheit

Zusammenfassung: Entstehung und Verlauf der Koronaren Herzkrankheit sind mit speziellen psychosozialen Risikofaktoren assoziiert. Im Rahmen eines Myokardinfarkts treten Angst-Syndrome bei 50% und nach einem Myokardinfarkt Depressionen bei 20-25% der Patienten auf. Depression, Angst und Streß haben – gemeinsam mit besonderen Persönlichkeitszügen – einen erheblichen ungünstigen Einfluß auf die Prognose der Koronaren Herzkrankheit und erhöhen das Risiko für einen Plötzlichen Herztod. Bereits eine kurze Befragung kann Patienten mit einem solchen höheren Risiko erfassen. Zukünftige Studien müssen zeigen, ob Patienten von speziellen Interventionen profitieren und in welchem Maße die kardiale Prognose zu verbessern ist. Als Therapie kommen neben ärztlicher Beratung, psychotherapeutischen Verfahren und Modifikationen des Lebensstils auch medikamentöse Interventionen (Antidepressiva, Betarezeptoren-Blocker) in Betracht. Prinzipiell sind informierende Gespräche in Praxis, Krankenhaus oder Rehabilitationszentrum, Bewegungstherapie und soziale Unterstützung durch Selbsthilfegruppen oft hilfreicher im Alltag als ständig wechselnde pharmakotherapeutische Regime.

Seit mehreren Jahren häufen sich die Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen bestimmten psychosozialen Faktoren und dem Auftreten sowie dem Verlauf kardiovaskulärer Erkrankungen, insbesondere der Koronaren Herzkrankheit (KHK). Psychosoziale Symptome, die möglicherweise zu kardialen Risiken disponieren, wurden in der Praxis bisher nur ungenügend beachtet. Die Einstufung als krankheitsfördernde Faktoren wird dadurch erschwert, daß sich Symptome psychisch und organisch bedingter Störungen, wie z.B. Erschöpfung, Müdigkeit, Schlaflosigkeit und Leistungsschwäche, häufig überlappen und der Nutzen einer gezielten Intervention noch völlig unklar ist. Kürzlich erschienen nun drei Übersichten zu diesem Thema in den Zeitschriften Circulation, Psychosomatic Medicine und Archives of Internal Medicine (1-3). Hierbei wurden die wichtigsten psychosozialen Risikofaktoren in die Hauptkatagorien Depression, Angst, chronischer Streß, und Persönlichkeitszüge unterteilt.

Depression: Die Prävalenz einer „Major-Depression“ beträgt in der Bevölkerung etwa 5%, bei KHK-Patienten jedoch 15% und in den Monaten nach einem Herzinfarkt sogar 20-25%. Leichtere depressive Verstimmungen finden sich darüberhinaus bei 45% der Patienten nach Myokardinfarkt (4). Die Koinzidenz von Depression und KHK hat erhebliche prognostische Bedeutung. So fand sich in insgesamt acht prospektiven epidemiologischen Studien mit mehr als 20000 Teilnehmern und einer mittleren Nachbeobachtungszeit von 6 Jahren bei manifester Depression ein etwa 2,5-fach erhöhtes Relatives Risiko für Herzinfarkt oder kardiovaskulären Tod. Die prognostische Auswirkung einer Depression bei Patienten nach Myokardinfarkt wurde auch von der Arbeitsgruppe um Frasure-Smith et al. intensiv untersucht (5, 19). Sie fanden, daß bei Depression nach Myokardinfarkt die kardiale Letalität nach 6 Monaten 4fach gesteigert war. In der multivariaten Analyse blieb dieser Zusammenhang bestehen, und Depression war damit – unabhängig vom Lebensstil – der prognostisch wesentlichste postinfarzielle Risikofaktor. Der ungünstige Einfluß einer Depression auf das Herz war in den meisten Studien nicht vom koronarangiographischen Schweregrad der KHK, der Infarktgröße oder der Ejektionsfraktion abhängig (4). Ob eine erfolgreiche Behandlung der Depression auch die kardiale Prognose bessert, ist nicht bekannt.

Zur medikamentösen Behandlung der Depression stehen trizyklische Antidepressiva und selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Inhibitoren (SSRI) zur Verfügung. Wegen der proarrhythmischen und negativ inotropen Effekte ist der Einsatz trizyklischer Antidepressiva bei KHK strittig. SSRI sind inzwischen zur Therapie der Depression weit verbreitet und gelten als relativ sicher bei kardialen Erkrankungen. Zu beachten sind jedoch als unerwünschte Arzneimittelwirkungen stärkere Vasospasmen und medikamentöse Interaktionen durch die Induktion von Zytochrom P450. Dadurch ist u.a. der Metabolismus von Phenprocoumon, Digitalis, Betablockern und Klasse-1C-Antiarrhythmika betroffen. Die derzeit anlaufende multizentrische SADHART-Studie geht der Frage nach, ob durch SSRI-Therapie die kardiale Prognose zu verbessern ist (20). Eine andere Behandlungsoption könnte Bewegung und „Koronarsport“ sein. Eine kanadische Arbeitsgruppe fand bei 800 Patienten, die 3 und 6 Monate nach einem Herzinfarkt befragt wurden, eine enge negative Korrelation zwischen Depression und körperlicher Bewegung (6). Ob Bewegung eine wirksame Behandlung ist oder Bewegungsarmut nur ein Symptom der Erkrankung ist, lassen diese Daten nicht erkennen. Andererseits wurden kürzlich überraschende Ergebnisse einer randomisierten Studie bei depressiven, jedoch nicht herzkranken Patienten publiziert: Ein Bewegungsprogramm von 3 mal 30 Minuten/Woche war nach 4 Monaten ebenso wirksam zur Behandlung der Depression wie der SSRI Sertralin (7). Patienten mit Symptomen einer Depression und KHK sollten also zu regelmäßiger Bewegung und „Koronarsport“ angehalten werden. Die Bedeutung psychotherapeutischer Verfahren sind bislang nicht in prospektiven randomisierten Behandlungsstudien bei KHK evaluiert worden. Die kürzlich begonnene ENRICHD-Multizenter-Studie prüft, ob depressive Koronarpatienten durch Psychotherapie kardial profitieren (18).

Angst: Menschen mit Angst-Syndromen haben ein erhöhtes kardiales Risiko. Die Ergebnisse von drei großen Längsschnitt-Studien belegen einen Zusammenhang zwischen Angststörungen und kardialem Tod. In der größten Studie mit 34000 gesunden Teilnehmern fand sich bei phobischen Ängsten ein Relatives Risiko von 2,5 für kardialen Tod innerhalb von 2 Jahren (8). Darüberhinaus wurde eine positive Korrelation zwischen dem Schweregrad der Angst und der Höhe des kardialen Risikos aufgezeigt. Bei Patienten nach Herzinfarkt fanden sich bei systematischen Erhebungen überdurchschnittlich häufig starke Angstgefühle oder phobische Ängste, die wiederum mit einer schlechteren Prognose assoziiert waren. Etwa 50% der Patienten, die wegen eines koronaren Ischämie-Syndroms stationär behandelt werden, haben erhebliche Angstsymptome (9). In einer GUSTO-Substudie wurde Myokardinfarkt-Patienten ein kurzer Fragebogen zur Erfassung von Ängsten vorgelegt: Gegenüber nicht-ängstlichen hatten Patienten mit großer Angst ein 5-fach erhöhtes Risiko für Reinfarkt oder Tod während der 4-wöchigen Nachbeobachtung (10). Damit war Angst eine der aussagekräftigsten klinischen Indikatoren für die Prognose. Die erhöhte kardiale Letalität bei Angst-Syndromen wird im Wesentlichen durch den plötzlichen Herztod und nicht durch Myokardinfarkte verursacht (2). Noch ausgeprägter als bei Depressionen, fanden sich in verschiedenen Untersuchungen bei ängstlichen Patienten eine gesteigerte Katecholamin-Sekretion, eine Einschränkung der vegetativen kardialen Regulation (Baroreflex-Sensitivität und Herzfrequenz-Variabilität) und eine QT-Zeit-Verlängerung im EKG. Darüberhinaus erhöht Angst die Anfälligkeit für Streß. Angst beeinflußt das Gesundheitsverhalten in negativer Weise. Insbesondere neigen viele ängstliche Menschen zu exzessivem Nikotinabusus.

Evidenz-basierte Behandlungsrichtlinien für KHK-Patienten mit Angst-Syndromen liegen bislang nicht vor. Unklar ist, ob ein Teil der protektiven Wirksamkeit von Betablockern durch die anxiolytische Komponente bedingt ist. Für die akute Behandlung von Angst-Symptomen auf der Intensivstation stehen zahlreiche Anxiolytika zur Verfügung. Wegen ihres Abhängigkeitspotentials und des unsicheren Nutzens bei länger dauernder Behandlung sind sie keine Option für eine Langzeittherapie. Zur Wirksamkeit psychotherapeutischer Behandlungen gibt es noch keine ausreichenden Daten randomisierter Studien.

Persönlichkeitsfaktoren: Bereits vor über hundert Jahren beschrieb William Osler die psychische Situation eines typischen Angina-pectoris-Patienten als „a man whose engine is always set full speed“ (11). Ende der 50er Jahre beschrieben Friedman und Rosenman die kardial gefährdete „Typ-A“-Persönlichkeit mit den Haupteigenschaften Ehrgeiz, Feindseligkeit und exzessivem Arbeitseinsatz (12). Nachfolgende Untersuchungen zum kardialen Risiko des Typ-A-Verhaltens gaben jedoch keine einheitlichen Resultate, so daß Modifikationen dieses Modells erfolgten. Nach den Ergebnissen neuerer Studien sind es vor allem die Eigenschaften Feindseligkeit, Mißtrauen, Ärger und Zynismus, die mit einer schlechten kardialen Prognose behaftet sind und die als „toxische“ Komponenten des Typ-A-Verhaltens gelten (1). In einer Metaanalyse war die negative prognostische Auswirkung von Feindseligkeit nicht vom Lebensstil abhängig, und nach Ansicht der Autoren ist die Prophylaxe der KHK damit ein weiterer Grund, nett zueinander zu sein (13). Auch für die Persönlichkeitsfaktoren werden verschiedene pathophysiologische Zusammenhänge diskutiert. Insbesondere sind bei Patienten mit den genannten Persönlichkeitszügen Katecholaminspiegel, Herzfrequenzen und arterielle Blutdruckwerte erhöht. Unterschiedliche verhaltensorientierte Konzepte und Behandlungsmodelle zur günstigen Beeinflussung dieser Persönlichkeitszüge werden derzeit in Pilotstudien geprüft.

Akuter und chronischer Streß: Am ausführlichsten untersucht ist der arbeitsbezogene Streß. Basierend auf Untersuchungen von Karasek et al. (14) wurde eine Arbeitssituation mit hohen Anforderungen und wenig Entscheidungskompetenz bzw. Arbeitskontrolle als besonders risikoreich ermittelt (sog. „Job strain“). Bei 2000 männlichen Angestellten war 6 Jahre langer „Job strain“ mit einem 4-fach erhöhten Risiko für kardialen Tod assoziiert (15). Gleichermaßen ungünstig sind Kombinationen aus hohen Anforderungen und wenig Anerkennung. Insgesamt bestätigten zahlreiche andere Studien den ungünstigen Einfluß von negativem Arbeitsstreß auf die Häufigkeit kardialer Ereignisse und die Progression einer manifesten Arteriosklerose. Für die Inzidenz akuter ischämischer Koronarsyndrome sind subakute und akute Lebensereignisse von größerer Bedeutung. Bekannt wurde die Häufung von Herzinfarkten und plötzlichem Herztod während des Erdbebens in Los Angeles im Jahre 1994 und während des Golf-Kriegs 1991 in Israel. In zahlreichen epidemiologischen Studien fanden sich vor einem Herzinfarkt signifikant häufig „Life events“, wie z.B. Tod des Lebenspartners, Ehescheidung oder Verlust des Arbeitsplatzes. Sehr deutlich konnte auch die Bedeutung von Ärger als akuter Trigger-Faktor für einen Myokardinfarkt im Rahmen der SHEEP-Studie herausgestellt werden (16).

Akuter und chronischer Streß können über sehr verschiedene Mechanismen das kardiovaskuläre System nachteilig beeinflussen. In experimentellen Studien finden sich unter akutem Streß eine Neigung zu ventrikulären Arrhythmien, erhöhter Blutdruck, eine gesteigerte koronare Vasokonstriktion und Endothelreaktivität sowie ein erhöhter peripherer Gefäßwiderstand. Chronischer Streß kann zu erhöhten Katecholaminspiegeln, gesteigerter Thrombozyten-Aggregabilität und Hemmung der Fibrinolyse führen. Ungefähr die Hälfte aller Patienten mit belastungsinduzierter Myokardischämie zeigt auch (meist stumme) Ischämien bei experimentellen mentalen Streß-Tests. Während sich meisten Lebensereignisse und psychosozialen Streßformen kaum beeinflussen lassen, ist die individuelle Fähigkeit, mit Streß verursachenden Situationen umzugehen (sog. „Stress-Hardiness“), trainierbar. Blumenthal et al. konnten bei 107 Patienten mit mental induzierbarer Myokardischämie durch ein 4-monatiges ambulantes Streß-Entspannungstraining den kombinierten Endpunkt „kardialer Tod und Herzinfarkt“ im Rahmen einer 4 Jahre dauernden Nachbeobachtung um 75% reduzieren (17). Schulungen in Jakobson-Muskel-Entspannung, autogenem Training und verwandten Methoden sind inzwischen fester Bestandteil in Manager-Schulungen und in der kardiologischen Rehabilitation. In mehreren experimentellen Studien konnte einer streßinduzierten Myokardischämie auch medikamentös durch Gabe von Betablockern vorgebeugt werden. Darüberhinaus erhöht auch Bewegungstherapie die Streß-Resistenz.

Häufig geben Patienten im ärztlichen Gespräch Hinweise auf belastende Lebenssituationen und Streß. Diese werden jedoch meist nicht weiter thematisiert, weil sie als klinisch nicht relevant angesehen werden. Die Mehrzahl der Patienten mit chronischem Streß und risikoreichen Persönlichkeitszügen benötigt vermutlich keine spezifische Psychotherapie. Dennoch ist es wichtig, solche Faktoren zu erkennen, um ärztlich beraten und nachbeobachten zu können. Leider sind derzeit entsprechende Gesprächs- und Beratungsleistungen in den Honorierungssystemen nicht genügend berücksichtigt.

Literatur

1. Rozanski, A., et al.: Circulation 1999, 99, 2192
.
2. Januzzi, J.L., et al.: Arch. Intern. Med. 2000, 160, 1913.
3. Kop, W., et al.: Psychosom. Med. 1999, 61, 476.
4. Carney, R.M., et al.: Psychosom. Med. 1999, 61, 666.
5. Frasure-Smith, N., et al.: JAMA 1993, 270, 1819.
6. Lesperance, F., et al.:J. Psychosom.Res. 2000, 48, 379.
7. Blumenthal, J.A., et al.: Arch. Intern. Med. 1999, 159, 2349.
8. Kawachi, I., et al.: Circulation 1994, 90, 2225.
9. Cassem, N.H., et al.: Ann. Intern. Med. 1971, 75, 9.
10. Moser, D.K., und Dracup, K.: Psychosom. Med. 1996, 58, 395.
11. Osler, W.: Lancet 1892, I, 829.
12. Friedman, M., und Rosenman, R.H.: JAMA 1959, 169, 1286.
13. Miller, T.Q., et al.: Psychol. Bull. 1996, 119, 322.
14. Karasek, R.A., et al.: Am. J. Public Health 1988, 78, 910.
15. Theorell, T., et al.: Am. J. Public Health 1998, 88, 382.
16. Möller, J., et al. (SHEEP = Stockholm HEart Epidemiology Program): Psychosom. Med. 1999, 61, 842.
17. Blumenthal, J.A., et al.: Arch. Intern. Med. 1997, 157, 2213.
18. ENRICHD-Studie (ENhancing Recovery In Coronary Heart Disease): Am. Heart J. 2000,139 (1 Pt.1),1.
19. Frasure-Smith, N., et al.: Circulation 2000, 101, 1919.
20. Malhotra, S., et al. (SADHART = Sertraline AntiDepressant Heart Attack Randomized Trial): Curr. Psychiatry Rep. 2000, 2, 241.