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Östrogen/Gestagen in einer randomisierten Studie zur postmenopausalen Sekundärprophylaxe der koronaren Herzkrankheit unwirksam

Wir haben mehrfach Nutzen und Risiken der postmenopausalen Substitution von Östrogenen/Gestagenen besprochen (AMB 1995, 29, 25; 1995, 29, 65; 1995, 29, 78; 1996, 30, 45; 1997, 31, 10). Bisher war man auf Fall-Kontroll-Studien und epidemiologische Langzeitbeobachtungen (z.B. die Nurses Health Study) angewiesen, die zeigten, daß eine postmenopausale Substitution von Östrogenen mit einem niedrigeren Risiko für Myokardinfarkt vergesellschaftet ist. Es konnte jedoch nicht ausgeschlossen werden, daß diese Patientinnen auch aus anderen Gründen ein niedrigeres lnfarktrisiko hatten, z.B. weil sie mehr Sport trieben oder gesünder aßen. Die medizinische Öffentlichkeit wartet daher gespannt auf das Ergebnis randomisierter Studien zu diesem Thema.

Eine solche Untersuchung zur sekundären Prophylaxe der koronaren Herzerkrankung, die US-amerikanische Heart and Estrogen/progestin Replacement Study (HERS), die von Wyeth-Ayerst unterstützt wurde, ist jetzt erschienen (Hulley, S., et al.: JAMA 1998, 280, 605).

2763 Frauen mit Zustand nach Myokardinfarkt, koronarer Bypass-Operation, PTCA oder koronarer Ein- oder Mehrgefäßerkrankung im Alter zwischen 55 und 80 Jahren (mittleres Alter 66,7 Jahre) wurden eingeschlossen; sie erhielten täglich entweder 0,625 mg equine konjugierte Östrogene plus 2,5 mg Medroxyprogesteronazetat (n = 1380) oder Plazebo (n = 1383) und wurden im Mittel 4,1 Jahre lang nachbeobachtet. Die beiden Gruppen waren gleich hinsichtlich Alter; Risikofaktoren, Schwere der koronaren Herzkrankheit und Begleitmedikation.

Ergebnisse: Nach 4,1 Jahren war die Häufigkeit kardiovaskulärer Ereignisse in beiden Gruppen nicht unterschiedlich (s. Tab. 1). Auch Frakturen, von denen man sicher glaubte, daß sie unter Östrogen/Gestagen-Substitution seltener sind, ereigneten sich in dieser Studie in beiden Gruppen gleich häufig. Die größere Zahl von Gallenwegserkrankungen, Thromboembolien und eine Tendenz zu mehr Krebserkrankungen sind nicht unerwartet. Es ist jedoch zu berücksichtigen, daß die Studie primär nicht darauf angelegt war, die Häufigkeit nicht-koronarer Ereignisse zu erfassen.

Ein wichtiger Unterschied betrifft die Häufigkeit der Ereignisse im Verlauf der Beobachtungsjahre. In der Östrogen/Gestagen-Gruppe nahm sie deutlich ab: 57 im 1. Jahr sowie 33 im 4. bzw. 5. Jahr. In der Plazebo-Gruppe blieb sie praktisch gleich: 28 im 1. Jahr sowie 34 im 4. bzw. 5. Jahr. Die Ereignisse, vor allem im 1. Jahr, waren in der Östrogen/Gestagen-Gruppe deutlich häufiger. Die Erklärung ist nicht einfach. Entweder demaskiert sich hier eine zufällige, Östrogen/Gestagen-unabhängige Diskrepanz zwischen beiden Gruppen oder die „Prophylaxe“ induziert in der frühen Phase koronare Ereignisse und wird erst nach längerer Zeit wirksam.

Fazit: Insgesamt ist es noch zu früh, nach den negativen Ergebnissen dieser ersten randomisierten Studie die postmenopausale Substitution von Östrogen/Gestagen zur Sekundärprophylaxe der koronaren Herzkrankheit für unwirksam zu erklären. Randomisierende Studien führen jedoch am dichtesten zur „medizinischen Wahrheit“ oder wie Diana B. Petitti in ihrem Editorial zu diesem Thema (JAMA 1998, 280, 650) Wiliam Lake aus dem Jahre 1788 zitiert: Die Methode der Erkenntnis ist das Experiment.

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