In nur wenigen Ländern der Welt wird die perkutane Angioplastie der Koronararterien (PTCA) so häufig eingesetzt wie in Deutschland. Trotz sinkender Prävalenz von instabiler Angina pectoris und Myokardinfarkt steigt die Zahl der Katheterinterventionen steil an. Die Indikation zur PTCA wird also kontinuierlich ausgeweitet. Dabei ist ein im Vergleich zur medikamentösen Therapie günstigerer Effekt der PTCA auf die Lebenserwartung nur bei wenigen lndikationen nachgewiesen. Meist handelt es sich um eine rein symptomatische Therapie, und häufig sind die medikamentösen Möglichkeiten zuvor nicht ausgeschöpft worden.
Im schlimmsten Fall werden sogar völlig asymptomatische Koronarstenosen dilatiert, d.h., es wird ausschließlich einem ”okulostenotischen Reflex“ gefolgt, den manche interventionelle Kardiologen in den letzten Jahren ausgebildet haben.
In einer sehr wichtigen Studie wurde jetzt untersucht, ob bei stabiler Angina pectoris durch eine intensive medikamentöse Therapie, die eine aggressive Senkung der Blutlipide mit dem HMG-CoA-Reduktase-Hemmer Atorvastatin beinhaltete, ein gleichwertiger klinischer Effekt erzielt werden kann wie mit einer Katheterintervention und herkömmlicher medikamentöser Therapie (Pitt, B., et al.: N. Engl. J. Med. 1999, 341, 70). In diese AVERT genannte Studie (Atorvastatin VErsus Revascularisation Treatment) wurden 341 Patienten, bei denen eine PTCA empfohlen wurde, eingeschlossen (1). Diese Patienten hatten stabile Angina pectoris entsprechend der Canadian Cardiovascular Society (CCS) Klasse I und II, angiographisch eine koronare Ein- oder Zwei-Gefäß-Erkrankung (56 bzw. 44%) ohne wesentliche Einschränkung der linksventrikulären Pumpfunktion sowie LDL-Cholesterin-Werte über 115 mg/dI und Triglyzerid-Werte unter 500 mg/dl. Die Patienten wurden in eine medikamentöse Gruppe (n = 164) mit 80 mg Atorvastatin/d bzw. in eine interventionelle Gruppe (n = 177) mit PTCA randomisiert. Bei 166 Patienten der PTCA-Gruppe wurde dann auch tatsächlich eine Ballondilatation durchgeführt, 64 erhielten einen Stent. Die übrige medikamentöse Therapie war in beiden Gruppen freigestellt. Die interventionell behandelten Patienten durften z.B. auch Lipidsenker erhalten (s. Tab. 1).
Ergebnisse: Nach 18 Monaten waren die Lipidwerte (LDL-, Gesamt-Cholesterin und Triglyzeride) in der Atorvastatin-Gruppe signifikant stärker gesunken als in der PTCA-Gruppe (s. Tab. 1). Klinisch trat in der Atorvastatin-Gruppe signifikant seltener der kombinierte Endpunkt ”ischämisches Ereignis“ ein als in der PTCA-Gruppe (p = 0,045; RR = 36%). Todesfälle, Herzinfarkte und notwendige PTCA waren in beiden Gruppen gleich häufig. Patienten aus der PTCA-Gruppe mußten sich jedoch in den 18 Monaten häufiger einer Bypass-Operation unterziehen oder wegen Angina-pectoris-Beschwerden stationär behandelt werden.
Bei 3,6% der PTCA-Patienten trat an der Punktionsstelle eine schwerwiegende interventionsbedingte Komplikation auf.
Am Studienende gaben die PTCA-Patienten etwas häufiger an, daß eine Besserung ihrer Angina pectoris erreicht worden war (54% vs. 41%). Es bestand auch ein leichter Vorteil beim Punktescore eines Fragebogens zur ”Lebensqualität“.
Ein wichtiger Kritikpunkt an dieser bemerkenswerten Studie ist, daß die Autoren Beraterverträge mit der Firma unterhalten, die Atorvastatin herstellt.
Fazit: Eine aggressive Lipidsenkung mit Atorvastatin bei Patienten mit stabiler Angina pectoris und koronarer Ein- bzw. Zwei-Gefäß-Erkrankung mit guter Iinksventrikulärer Pumpfunktion ist der Ballondilatation über einen Zeitraum von 18 Monaten mindestens gleichwertig im Hinblick auf die Prophylaxe ischämischer kardiovaskulärer Ereignisse. Mit einer PTCA läßt sich jedoch häufiger eine Besserung der Beschwerden erzielen, allerdings zum Preis vermehrter Komplikationen (Gefäßkomplikationen an der Punktionsstelle, Bypass-Operationen, erneute Krankenhausbehandlung wegen Angina pectoris).