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Ezetimib: Blockbuster nach zwölf Jahren immer noch ohne überzeugenden Nutzen

Ezetimib hemmt die enterale Resorption von Cholesterin und senkt dadurch deutlich die LDL-Cholesterin-Konzentration (LDL-C) im Serum (vgl. 1). Der Wirkstoff ist seit 2002 als Monopräparat (Ezetrol®) und seit 2004 in der Kombination mit Simvastatin (Inegy®) zur Behandlung der primären Hypercholesterinämie und der homozygoten familiären Hypercholesterinämie zugelassen (in Kombination, falls eine alleinige Statin-Therapie „unzureichend“ ist und als Monotherapie bei Statin-Unverträglichkeit). Ezetimib hat dem pharmazeutischen Unternehmer MSD-SP in dieser Zeit Jahr für Jahr Umsätze in Milliardenhöhe beschert. In Deutschland betrugen allein im Jahr 2013 die Nettokosten zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung für Ezetrol® ca. 40 Mill. € und für Inegy® ca. 115 Mill. € (2). Detail am Rande: Es gab bisher keinen klaren Nachweis, dass klinische Endpunkte durch die Einnahme von Ezetimib positiv beeinflusst werden und somit Patienten einen Nutzen haben. Basis für die Marktzulassung war allein die Wirkung auf den Surrogatparameter LDL-C.

In bisherigen Studien wurde versucht, einen positiven Einfluss von Ezetimib auf die Intima-Media-Dicke (ENHANCE) oder die Progression der Aortenklappenstenose (SEAS) zu zeigen – ohne Erfolg (3, 4). Aufmerksamkeit erregten diese Studien vor allem dadurch, dass die negativen Resultate mehr als ein Jahr unter Verschluss gehalten und erst auf massiven öffentlichen und politischen Druck publiziert wurden (ENHANCE) bzw. Hinweise auf eine möglicherweise erhöhte (mittlerweile aber nicht bestätigte) Malignominzidenz unter Ezetimib gefunden wurden (SEAS).

Im Rahmen des Jahreskongresses der American Heart Association (AHA) im Dezember 2014 wurden nun endlich die Resultate der von Merck gesponserten IMPROVE-IT-Studie (IMProved Reduction of Outcomes: Vytorin Efficacy – International Trial) präsentiert, in der Simvastatin versus Simvastatin plus Ezetimib in der Sekundärprophylaxe bei Patienten mit kurz zurückliegendem Akutem Koronarsyndrom (ACS) untersucht wurde (5). Auch mit IMPROVE-IT hatte es offensichtlich niemand eilig: Die Studie wurde vor neun (!) Jahren begonnen und lief über insgesamt sieben Jahre. Da eine gleichzeitige Publikation in einem Journal vorerst nicht vorgesehen scheint, wollen wir ausnahmsweise über die vorläufigen Ergebnisse berichten.

Design: Die multizentrisch und international angelegte IMPROVE-IT-Studie (39 Länder) schloss KHK-Patienten innerhalb von 10 Tagen nach ACS ein. Sie wurden für Simvastatin 40 mg/d bzw. Simvastatin 40 mg/d plus Ezetimib 10 mg/d randomisiert. Der kombinierte primäre Endpunkt beinhaltete kardiovaskuläre Letalität, Myokardinfarkt, instabile Angina pectoris, koronare Revaskularisation und Schlaganfall. Geplant waren der Einschluss von 10.000 Patienten und eine Nachbeobachtungszeit von mindestens 2,5 Jahren oder bis zum Auftreten von 5.250 klinischen Ereignissen. Dies war berechnet aufgrund einer erwarteten relativen Risikoreduktion um 9,3% und basierte auf einer angenommenen Senkung des Serum-LDL-Spiegels um 15 mg/dl durch zusätzliches Ezetimib. Während der Einschlussphase wurde das Studiendesign mehrfach „angepasst”. Die wichtigste Änderung betraf die Zahl der statistisch erforderlichen Patienten, die schließlich auf 18.000 angehoben wurde, denn die Endpunkt-Ereignisse und der Effekt von Ezetimib waren geringer als erwartet.

Ergebnisse (vgl. Tab. 1): Es wurden 18.144 Patienten eingeschlossen. In der Gruppe mit Monotherapie Simvastatin lag das Serum-LDL bei 69,9 mg/dl, mit Simvastatin/Ezetimib bei 53,2 mg/dl. Während der Nachbeobachtungszeit von sieben Jahren wurde der primäre Endpunkt in der Gruppe mit Simvastatin bei 34,7% der Patienten erreicht, unter Kombinationstherapie mit Simvastatin/Ezetimib bei 32,7% (Hazard ratio = HR: 0,936; 95%-Konfidenzinervall: 0,887-0,988; p = 0,016). Dies entspricht einer relativen Risikoreduktion (RRR) von 6,4% und einer Number-needed-to-treat (NNT) von 50 Patienten über sieben Jahre, d.h. 350 über ein Jahr. In einer separaten Sitzung des AHA-Kongresses wurde eine „on-treatment“-Analyse nachgereicht, d.h. die Ergebnisse der Patienten, die die Studienmedikation tatsächlich bis zum Ende eingenommen hatten. In dieser Subgruppe von 10.563 Patienten (58% der Studienpopulation) betrug die RRR 7,6% und die NNT 38 über sieben Jahre (266 über ein Jahr).

Diskussion und Kritik: Die IMPROVE-IT-Studie wird aufgrund ihrer besonderen Historie mit umstrittenen Vorläuferstudien, der nachträglichen Änderungen im Design und des lange hinausgezögerten Abschlusses bereits seit Jahren kontrovers diskutiert. Die RRR von 6,4% lag letztlich deutlich unter der ursprünglich erwarteten von 9,3%. Das hindert Studienautoren und Ezetimib-Anhänger jedoch nicht daran, sich über die „endgültigen“ Beweise zu freuen, dass Ezetimib „nicht nur ein teures Plazebo“ und das Serumcholesterin „doch ein verlässlicher Surrogatparameter“ sei (6). Mit dieser Äußerung stellen sie sich gegen die aktuellen US-amerikanischen Leitlinien, die eine Therapie nach „Ziel-LDL“ nicht mehr empfehlen und außer den Statinen keinen anderen Wirkstoff erwähnen (7). Besonders auffällig ist, dass diese „Beweise“ erst mehr als zehn Jahre nach der Markteinführung des teuren Arzneimittels vorgelegt werden, also kurz vor dem vom pharmazeutischen Unternehmer für 2016 angekündigten Ablauf des Patentschutzes. Der Verdacht liegt nahe, dass hier erneut die Publikation einer Studie, deren positiver Ausgang mehr als fraglich war, aus kommerziellen Gründen verzögert wurde. Außerdem wird kritisiert, z.B. vom renommierten Kardiologen der Yale University, Harlan Krumholz (8), dass IMPROVE-IT – nicht wie sonst üblich – gleichzeitig mit der Präsentation auf dem AHA-Kongress in einem großen Journal publiziert wird. Möglicherweise gibt es unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich der Datenqualität. Man darf gespannt sein, ob überhaupt, wann und wo die Ergebnisse publiziert werden.

Der Nachweis eines moderaten klinischen Nutzens von Ezetimib in der IMPROVE-IT-Studie beschränkt sich auf Patienten in der Sekundärprävention kurz nach ACS. Daten zur Primärprävention bei Menschen mit niedrigem kardiovaskulärem Risiko gibt es nicht. So wie für Statine (9) ist der Nachweis eines Nutzens für Ezetimib in dieser Population auch nicht zu erwarten.

Immerhin haben 42% der Studienteilnehmer im Verlauf der sieben Jahre die Medikation abgesetzt (d.h. 6%/Jahr). Differenzierte Sicherheitsdaten (so wie auch andere Details) aus IMPROVE-IT liegen zurzeit nicht vor. Bei Therapie mit Ezetimib ist Folgendes zu beachten (4): Eine Monotherapie kann (sehr selten) zur Rhabdomyolyse führen und die Transaminasen erhöhen. Sie ist dann sofort abzusetzen; dasselbe gilt selbstverständlich bei Kombination mit einem Statin für beide Substanzen. Bei Leberinsuffizienz wird von Ezetimib abgeraten. Bei gleichzeitiger Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten oder Ciclosporin muss auf potenzielle Wechselwirkungen geachtet werden. Einzelfälle von Pankreatitis und Hepatitis wurden berichtet.

Fazit: Kurz vor Ablauf des Patentschutzes für Ezetimib (Ezetrol®, in Kombination mit Simvastatin in Inegy®) liegen nun erstmals klinische Endpunktdaten vor. Sie zeigen nur einen geringen Effekt in einer Hochrisikogruppe von KHK-Patienten ohne bei ihnen die Letalität zu senken. Wir sehen – wie bisher – Ezetimib nur als Reservemittel bei familiärer Hypercholesterinämie und bei echter Unverträglichkeit von Statinen. Es ist aus unserer Sicht unverständlich, dass dieser Arzneistoff seit zehn Jahren unter den umsatzstärksten Arzneimitteln rangiert.

Literatur

  1. AMB 2003, 37,41. Link zur Quelle
  2. Schwabe, U., undPaffrath, D. (Hrsg.): Arzneiverordnungs-Report 2014. Springer-Verlag BerlinHeidelberg, 2014. S. 1170 und 1177.
  3. Kastelein,J.J., et al. (ENHANCE = Ezetimibe and simvastatiN in HypercholesterolaemiaenhANces atherosClerotic rEgression): Am. Heart J. 2005, 149,234 Link zur Quelle . AMB 2008, 42, 31. Link zur Quelle
  4. Rossebø,A.B., et al. (SEAS = Simvastatin and Ezetimibe in Aortic Stenosis):N. Engl. J. Med. 2008, 359, 1343 Link zur Quelle . AMB 2009, 43,11. Link zur Quelle
  5. http://www.medscape.com/viewarticle/835030Link zur Quelle
  6. http://www.forbes.com/sites/larryhusten/2014/11/17/ improve-it-meets-endpoint-and- demonstrates-real- but-modest-clinical-benefit-for-ezetimibe/Link zur Quelle
  7. AMB 2014, 48,01. Link zur Quelle
  8. http://www.nytimes.com/2014/11/18/health/study-finds-alternative- to-statins-in-preventing-heart-attacks- and-strokes.html?_r=0Link zur Quelle
  9. AMB 2010, 44,84. Link zur Quelle

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