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Leserbrief: Verursacht ein sehr niedriges LDL-Cholesterin Osteoporose?

Frage von Dr. S. aus W.: >> Eine 60-jährige Patientin hatte vor 7 Monaten einen ST-Hebungsinfarkt der Lateralwand. Sie hat zeitnah einen Stent erhalten; die linksventrikuläre Funktion blieb erhalten. Als kardiovaskuläre Risikofaktoren wurden ein Gelegenheitsrauchen und ein sehr hoher Lp(a)-Wert diagnostiziert (488 nmol/l). Die Patientin ist sehr sportlich und leicht übergewichtig (BMI: 27 kg/m2). Ihre Blutdrücke sind stets sehr niedrig (systolisch um 100 mm Hg). Sie wird nun 3-fach lipidsenkend behandelt (Rosuvastatin, Ezetimib, Alirocumab). Das Lp(a) ist auf 373 nmol/l gefallen, ihr LDL-Cholesterin liegt nun bei 18 mg/dl (unbehandelt 135 mg/dl). Bei einer Knochendichtemessung ist nun ein deutlicher Abfall des T-Scores seit der letzten Messung vor einem Jahr festgestellt worden, und es wurde ihr ein Bisphosphonat empfohlen. Meine Frage ist, ob es einen Zusammenhang zwischen den genannten Cholesterinsenkern bzw. den sehr niedrigen Cholesterinwerten und dem Knochenstoffwechsel gibt? <<

Antwort: >> Lipidsenker zählen nicht zu den Arzneimitteln, die mit Osteopenie bzw. Osteoporose ursächlich in Zusammenhang gebracht werden (s. Tab 1). Dies sind vor allem Glukokortikosteroide, Aromatasehemmer und GnRH-Analoga. Zu den PCSK9-Hemmern sind uns diesbezüglich keine Langzeitstudien bekannt. In der europäischen Datenbank für Arzneimittel-Nebenwirkungen finden sich für den verwendeten PCSK9-Hemmer gerade einmal 3 Meldungen zu Osteoporose (1). Dies kann nicht als Risikosignal gewertet werden.

Etwas anders stellt sich die Bewertung hinsichtlich sehr niedriger LDL-Cholesterin-Werte dar. Im Jahr 2017 stellte eine Autorengruppe die Frage: „Can LDL cholesterol be too low?“ und versuchte die potenziellen Risiken der in Europa stark propagierten Behandlungsstrategie „the lower, the better“ zu beschreiben (2). Cholesterin ist Baustein vieler Sexualhormone und von Vitamin D. Es finden sich LDL-Rezeptoren v.a. in den Nebennieren, der Leber, den Nieren, im Darm und im Knochenmark. Somit ist eine Beeinträchtigung des Knochenstoffwechsels durch sehr niedrige LDL-Spiegel durchaus denkbar. Allerdings wird das Wissen über diese Interaktion als sehr begrenzt beschrieben und weitere Forschung hierzu angeregt. Seither wurde aber zu diesem Thema nicht viel publiziert. Eine Auswertung von Versicherungsdaten aus Österreich im Jahre 2019 ergab jedoch Hinweise auf eine Assoziation zwischen der eingenommenen Statin-Dosis und dem Auftreten von Osteoporose (3). Es fanden sich bei Personen, die über mindestens ein Jahr regelmäßig ein Statin in niedriger Dosis eingenommen hatten, weniger „Osteoporose-Fälle“ als erwartet. Dagegen fanden sich bei Personen mit mittleren und höheren Statin-Dosen vermehrt „Osteoporose-Fälle“ (U-förmige Kurve) bei beiden Geschlechtern und auch nach Adjustierung für Übergewicht und andere, das Risiko für Osteoporose erhöhende Erkrankungen. Die Autoren diskutieren, dass es durch eine starke LDL-Cholesterinsenkung zu einer Verarmung an Sexualhormonen und dadurch zu einer vermehrten Knochenresorption kommen könnte. Es handelt sich bei diesen Überlegungen um Hypothesen, die nicht als belegt angesehen werden dürfen.

Im Falle der geschilderten Patientin ist aus unserer Sicht ein LDL-Wert von 18 mg/dl Folge einer Übertherapie. Selbst die von uns stark kritisierten ESC-Leitlinien empfehlen einen Zielwert von < 55 mg/dl (vgl. 4). Daher ist eine Deeskalation der lipidsenkenden Behandlung angezeigt, zumal wenn Zweifel an der Verträglichkeit aufkommen. Die erzielte Senkung des Lp(a)-Werts um 23% ist für eine effektive Sekundärprävention nicht ausreichend. Diese Absenkung dürfte alleiniger Effekt des PCSK9-Hemmers sein und entspricht dem aus den Studien zu erwartenden Ausmaß (vgl. 5). Ezetimib hat keinen Einfluss auf den Lp(a)-Wert, und Statine erhöhen diesen sogar leicht. Spezifische Lp(a)-Senker sind in Phase-III-Prüfung und sind möglicherweise bei dieser Patientin auf lange Sicht gesehen die bessere Therapieoption. <<

Literatur

  1. https://www.adrreports.eu/ Link zur Quelle
  2. Olsson, A.G., et al.: J. Intern. Med. 2017, 281, 534. Link zur Quelle
  3. Leutner, M., et al.: Ann. Rheum. Dis. 2019, 78, 1706. Link zur Quelle
  4. AMB 2019, 53, 73. Link zur Quelle
  5. AMB 2018, 52, 91. Link zur Quelle
  6. sideeffects.embl.de Link zur Quelle
  7. https://dv-osteologie.org/uploads/ Leitlinie%202017/Finale%20Version%20 Leitlinie%20 Osteoporose%202017_end.pdf Link zur Quelle

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