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Behandlungsstrategie bei instabiler Angina pectoris. Die TACTICS-Studie

Die kürzlich unter der Federführung von E. Braunwald veröffentlichte TIMI-18-Studie ist eine weitere Untersuchung zum Vorgehen bei akuten koronaren Ischämiesyndromen (1). Um zwischen den vielen bekannten und weniger bekannten TIMI-Studien nicht verloren zu gehen und wohl auch, um den Namen der geprüften Substanz auf der Fahne zu tragen, wird TIMI 18 unter dem Akronym TACTICS bekannt gemacht.

Die Fragestellung bei TACTICS war, welches Vorgehen bei instabiler Angina pectoris oder beim Myokardinfarkt ohne ST-Elevation erfolgreicher ist: eine frühinvasive Strategie mit rascher Koronarographie und gegebenenfalls Revaskularisation oder eine primär konservative Strategie mit medikamentöser Beeinflussung der Gerinnungs- und Entzündungsprozesse und mit invasiver Abklärung und Therapie nur bei nachweislicher Ischämie oder fortbestehenden Beschwerden.

Die wichtigsten Vorläuferstudien mit einer ähnlichen Fragestellung waren VANQWISH bei Patienten mit Non-Q-Wave-Infarkt (2) und FRISC II bei Patienten mit instabiler Angina pectoris (3). Während sich bei der etwas älteren VANQWISH-Studie die primär konservative Behandlung als günstiger herausstellte, waren die Ergebnisse bei FRISC II sowohl hinsichtlich der Häufigkeit von Tod als auch der Häufigkeit von Reinfarkten günstiger für die primär invasiv behandelten Patienten. Eine plausible Erklärung für die unterschiedlichen Ergebnisse ist, daß die bei FRISC II durchgeführten Katheterinterventionen durch die Einlage von koronaren Stents (65%) und durch die Gabe von Medikamenten (z.B. Dalteparin) sicherer waren.

In TACTICS sollte nun der GP-IIb/IIIa-Rezeptor-Antagonist Tirofiban (Aggrastat) – quasi als wirksamste Waffe gegen die intrakoronaren Gerinnungsprozesse – die Behandlungsergebnisse bei instabiler Angina weiter verbessern helfen. Dazu wurden multizentrisch 2220 Patienten mit neu aufgetretener Angina pectoris (max. seit 24 Stunden) eingeschlossen, die prinzipiell für eine Revaskularisation in Frage kamen. Die Patienten mußten frische EKG-Veränderungen (ST-Strecken-Senkung, T-Negativierung) oder erhöhte „Herzenzyme“ (Troponin, CK) oder durch ihre kardiale Anamnese (Myokardinfarkt, Bypass-OP etc.) ein erhöhtes Risiko haben. Ausgeschlossen wurden Patienten mit ST-Strecken-Elevation und solche, bei denen ein Myokardinfarkt sehr wahrscheinlich war (Schenkelblock oder kardiogener Schock).

Alle Patienten erhielten Azetylsalizylsäure (ASS), unfraktioniertes Heparin (UFH) über 48 Stunden (zuerst ein Bolus und danach 1000 I.E./h) und den GP-IIb/IIIa-Rezeptor-Antagonisten Tirofiban (0,4 µg/kg/min über 30 Min. gefolgt von 0,1 µg/kg/min). Betarezeptoren-Blocker (82%), Nitrate (94%) und Cholesterinsynthese-Hemmer (52%) waren empfohlen. Die Hälfte der Patienten (n = 1106) wurde im konservativen Arm mit Tirofiban 48 Stunden lang behandelt. Eine Koronarangiographie durfte nur dann durchgeführt werden, wenn ein Ischämietest (z.B. Streß-Echokardiographie oder Thalliumszintigraphie) positiv war, es zu wiederholten Angina-pectoris-Attacken, einem Myokardinfarkt oder zu einer hämodynamischen Instabilität unter Belastung kam. Die andere Hälfte der Patienten (n = 1114) sollte auf jeden Fall koronarographiert werden und – wenn möglich – eine Revaskularisation erhalten. In diesem invasiven Arm wurde Tirofiban bis ca. 12 Stunden nach der Angiographie gegeben.

Ergebnisse: Die demographischen und klinischen Variablen in beiden Gruppen waren gleich: mittleres Alter 62 Jahre, 34% Frauen, 48% mit ST-Strecken- oder T-Wellen-Veränderungen, 37% mit Myokardinfarkt ohne ST-Elevation, 54% Troponin-T-positiv, 39% mit Infarktanamnese, 28% mit Diabetes mellitus. Der klinische Verlauf von 98,8% dieser Patienten ist über 6 Monate bekannt.

Im invasiven Arm wurden insgesamt 97% der Patienten angiographiert, die meisten am zweiten Krankenhaustag. Bei 9% wurde eine Hauptstamm-Stenose und bei 34% eine Dreigefäß-Erkrankung entdeckt. 41% erhielten eine PTCA (davon 83% mit Stent-Einlage) und 20% wurden zur Bypass-Operation geschickt. 40% der Patienten mit instabilem Koronarsyndrom wurden nicht revaskularisiert. Die mittlere Verweildauer im Krankenhaus betrug 4 Tage.

Im konservativen Arm wurden während des Kankenhausaufenthaltes 51% der Patienten koronarographiert. Die Gründe hierfür waren: bei 56% ein pathologischer Streßtest, bei 37% therapierefraktäre Angina pectoris, bei 4% Myokardinfarkt und bei 4% hämodynamische Instabilität. 24% erhielten eine PTCA (86% mit Stent-Einlage) und 13% wurden zur Bypass-OP geschickt. Die mittlere Verweildauer im Krankenhaus in der konservativen Gruppe betrug 5 Tage. In den folgenden 6 Monaten wurden im konservativen Arm nach Erfüllung der zuvor definierten Kriterien nochmals 10% koronarographiert, so daß letztlich 61% invasiv untersucht wurden, 29% eine PTCA und 16% eine Bypass-OP erhielten.

Nach 6 Monaten war der primäre Endpunkt (Tod, Myokardinfarkt, Rehospitalisation wegen instabiler Angina pectoris) in der invasiv behandelten Gruppe signifikant seltener erreicht als in der konservativen Gruppe (15,9% vs. 19,4%; OR = 0,78; p = 0,025). Dieser Unterschied ergab sich bereits nach den ersten 30 Tagen. Beim Überleben fand sich allerdings kein Unterschied (96,7% vs. 96,5%). Die Differenz zu Gunsten der invasiven Strategie ergibt sich aus der geringeren Häufigkeit von Infarkten (4,8% vs. 6,9%) und den selteneren Krankenhausaufnahmen wegen erneuter Angina pectoris in den folgenden 6 Monaten (11% vs. 13,7%).

Von besonderem Interesse ist die Analyse der Subgruppen. Bestimmte Patientengruppen profitierten nämlich besonders von der frühinvasiven Strategie (Erreichen des primären Endpunkts nach 6 Monaten invasiv vs. konservativ): die Troponin-positiven Patienten (14,8% vs. 24,2%; RR = 0,55), Patienten mit ST-Strecken-Veränderungen (16,4% vs. 26,3%), Diabetiker (20,1% vs. 27,7%) und interessanterweise auch Patienten ohne ASS-Vormedikation (12,2% vs. 21%). Kaum bzw. gar keinen Nutzen hatten dagegen die Troponin-negativen Patienten (15,1% vs. 16,6%), Patienten ohne ST-Strecken-Veränderungen (15,6% vs. 15,3%) und Patienten mit ASS-Vormedikation (17,7% vs. 18,6%).

Nimmt man die Aufforderung im Namen der Studie (… determine cost of therapy …) wörtlich, ist eine kleine Rechnung erlaubt. Durch die konservative Strategie wurden in einem halben Jahr bei 100 Patienten mit instabiler Angina pectoris (alle Risikostufen) 36 Koronarographien, 12 PTCA und 6 Bypass-Operationen „eingespart“. Dieser „Ersparnis“ stehen gegenüber: 2 zusätzliche Myokardinfarkte, 1 zusätzlicher Krankenhaustag und 2,7 weniger Aufnahmen ins Krankenhaus in der Folgezeit. Überzeugender wird diese Rechnung sicherlich, wenn das primär invasive Vorgehen auf die Risikopatienten (Troponin-positiv, ST-Strecken-Senkung, anhaltende Beschwerden usw.) beschränkt wird. Hier ist eine Abnahme des Risikos (Myokardinfarkt und Tod) von bis zu 45% zu erwarten. Das heißt im Umkehrschluß: es müssen und sollen nicht alle Patienten mit instabiler Angina pectoris invasiv untersucht werden.

Die Kommentatoren weisen im selben Heft des New England Journal (4) noch darauf hin, daß die Häufigkeit von Tod und Myokardinfarkt nach 30 Tagen in dieser Studie mit 4,7% so niedrig war wie in keiner vergleichbaren Studie zuvor. Sie schlagen einen Behandlungsalgorithmus vor, den wir allerdings aus verschiedenen Gründen kritisch sehen. So tauchen z.B. ADP-Rezeptor-Blocker (wie Clopidogrel) in der Akuttherapie gar nicht auf, und verschiedene GP-IIb/IIIa-Rezeptor-Antagonisten werden in bestimmten Situationen unterschiedlich eingesetzt ohne daß eine derartige Differentialindikation bereits gut belegt ist. Wir möchten unseren Lesern statt dessen eine Vorgehensweise bei instabiler Angina pectoris vorstellen, wie sie an einer Berliner Klinik (5) angewandt wird (Abb. 1 und Tab. 1).

Fazit: Patienten mit instabiler Angina pectoris und einem mittleren bzw. hohen Risiko profitieren von der Gabe eines GP-IIb/IIIa-Rezeptor-Antagonisten und einer raschen Koronarographie. Bei einer Katheterintervention erhöht die Einlage eines Stents die Sicherheit. Ein erhöhtes Risiko liegt z.B. vor bei erhöhten Troponin-Werten, ST-Strecken-Veränderungen, anhaltenden Beschwerden trotz ausreichender antianginöser und antithrombotischer Therapie, Kreislaufauswirkungen und Diabetes mellitus. Patienten mit geringerem Risiko sollten primär konservativ therapiert und nur bei nachgewiesener Ischämie invasiv diagnostisch abgeklärt werden.

Literatur

1. Cannon, C.P., et al. (TACTICS TIMI 18 = Treat angina with Aggrastat and determine Cost of Therapy with an Invasive or Conservative Strategy. Thrombolysis In Myocardial Infarction 18): N. Engl. J. Med. 2001, 344, 1879.
2. Boden, W.E., et al. (VANQWISH = Veterans Affairs Non-QWave Infarction Strategies in Hospital): N. Engl. J. Med. 1998, 338, 1785; s.a. AMB 1999, 33, 33.
3. Wallentin, L., et al. (FRISC II = FRagmin and fast revascularisation during InStability in Coronary artery disease II): Lancet 2000, 356, 9.
4. Boden, W.E., und McKay, R.G.: N. Engl. J. Med. 2001, 344, 1939.
5. Dißmann, M., Humboldt-Krankenhaus Berlin, persönliche Mitteilung.

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