Jede Therapie (Operationen, Medikamente, Krankengymnastik, Psychotherapie) hat spezifische und unspezifische Effekte. Die unspezifischen Effekte erwachsen – psychisch vermittelt – aus der Erwartungshaltung des Patienten, aus seinem Vertrauen in die Wirksamkeit der Maßnahme sowie aus der Zuwendung und den Informationen des Therapeuten. Das sind die Plazeboeffekte einer Therapie. Sie sind wichtig und wirksam; die Ärztin und der Arzt kann sie positiv beeinflussen durch persönliches Bemühen, aufmerksames Zuhören und breite Information. Niemand kann auf solche Plazeboeffekte verzichten, wenn sie auch vielleicht nicht meßbar sind (1, 2). Auch Arzneimittelattrappen werden Plazebo genannt. Sie werden in Studien eingesetzt, um die Wirkungen einer Testsubstanz von unspezifischen Heil- und Nebenwirkungen von Medikamenten und Maßnahmen abzugrenzen. Arzneimittelattrappen können aber nicht dieselben Plazeboeffekte haben wie die Therapieformen, die der Arzt in seiner Praxis anwendet, weil der Glaube an ihre Wirksamkeit nicht dahinter steht, sondern das wissenschaftliche Interesse des Untersuchers. Patienten müssen in plazebokontrollierten Studie darüber aufgeklärt sein, daß sie möglicherweise zur Plazebo-Gruppe gehören. Wenn also die Wirksamkeit und die Bedeutung von Plazebo in Studien untersucht wird, wird ein geringerer Effekt resultieren als der, den wir aus der persönlichen Behandlung kennen.
Daher ist auch von vornherein das Ergebnis einer Analyse kritisch zu bewerten, die sich mit Plazebowirkungen in Studien beschäftigt, in denen Wirkungen auf Krankheitssymptome ohne Therapie, mit Plazebotherapie und mit wirksamer Therapie verglichen wurde (3). Der Artikel stützt sich auf die Analyse von 114 Studien, in denen es sowohl eine unbehandelte Gruppe, eine Plazebo-Gruppe und eine Gruppe gab, die wirksam behandelt worden war. Die wirksame Behandlung konnte ein Medikament, eine physikalische Maßnahme (Massage, Gymnastik) oder eine Psychotherapie sein. Das Plazebo war natürlich auf die jeweilige wirksame Maßnahme abgestimmt. Sein Effekt wurde verglichen mit den Veränderungen der Symptome in der unbehandelten Gruppe. Die Ergebnisse sind in Tab. 1 dargestellt. Signifikante Effekte von Plazebo gibt es bei dieser Art der Untersuchung nur bei der Behandlung von Schmerzen. Bei allen anderen Symptomen – seien sie subjektiv empfunden (wie Übelkeit, Depressivität, Angst),seien sie objektiv meßbar (wie Übergewicht, Hypertonie) – waren bei dieser Art der Untersuchung keine Effekte festzustellen (Tab. 1).
Diese sehr zurückhaltende Bewertung der Bedeutung von Plazeboeffekten hängt mit der gewählten Methodik der Untersuchung zusammen. In plazebokontrollierten Studien können nur klar umschriebene Symptome untersucht werden, nicht hingegen die generelle Befindlichkeit der Patienten. In Studien sind die Interaktionen mit den Therapeuten schon im Ansatz anders als in der ärztlichen Praxis. In der Praxis will der Therapeut primär Leiden lindern, in der Studie will er primär feststellen, wie und in welchem Ausmaß das wirkt, was er tut. Das ist ein großer Unterschied.
Die genannte Metaanalyse (3) fand keine großen Effekte von Plazebo – definiert als Therapieattrappe – weder bei subjektiven Beschwerden noch objektiven Befunden, außer bei der Schmerztherapie. Daher sollte der Gebrauch von Therapieattrappen auf klinische Studien begrenzt bleiben, bei denen es darum geht, die eventuelle Wirksamkeit von neuen Medikamenten nachzuweisen. Aber nicht einmal hier ist die Gabe von Plazebo unproblematisch. Sie ist sogar unzulässig, wenn es eine wirksame Therapie gibt, die dem Patienten nicht vorenthalten werden darf (z. B. darf ein Antihypertensivum heute nicht mehr gegen ein Plazebo untersucht werden).
Ein Editorial im selben Heft des New England Journal of Medicine weist darauf hin, daß in dem oben zitierten Spezialartikel nur eine schmale Facette des Plazeboeffekts betrachtet wird (4). Aus der Tatsache, daß bei der Schmerztherapie Plazebo bereits als Arzneimittelattrappe eine nachweisbare Wirkung hat, kann geschlossen werden, daß noch zusätzliche Heileffekte eine Bedeutung haben könnten bei der persönlichen Behandlung durch den Arzt in seiner Praxis. Plazebowirkungen werden immer zu wichtigen Werkzeugen des Arztes gehören.
Literatur
1. AMB 1995, 29, 73.
2. AMB 1995, 29, 74.
3. Hr?bjartsson, A., und Gøtzsche, P.C.: N. Engl. J. Med. 2001, 344, 1594.
4. Bailar III, J.C.: N. Engl. J. Med. 2001, 344, 1630.