Dr. F.R. aus Berlin schreibt: >> Ein Patient mit peripherer arterieller Verschlußkrankheit und beidseitigem Femoralarterien-Bypass (Allografts) erhielt eine Dauerantikoagulation mit Phenprocoumon (Marcumar u.a.) zur Verschlußprophylaxe. Wegen Stenokardien wurden nach drei Jahren Koronar-Bypässe notwendig. In Folge dessen wurde die vorbestehende Antikoagulanzien-Therapie um 100 mg Azetylsalizylsäure/d (ASS) erweitert. Ich hielt diese Doppeltherapie für nicht verantwortbar. Die behandelnden Kardiologen bestanden jedoch auf dieser Kombination. Nach wenigen Tagen trat eine lebensbedrohliche Magenblutung auf. Mich interessiert, ob und wann die Kombinationstherapie von ASS plus Marcumar indiziert ist und wie die Überwachung dieser Patienten erfolgen soll. << Antwort: >> Die gewählte Antikoagulanzien-Therapie nach femoralem Bypass war nicht zwingend. Zur Sekundärprophylaxe nach peripherer Bypass-Operation ist die Gabe eines Thrombozytenaggregationshemmers obligat (1). Es gibt aber Autoren, die eine Antikoagulation für besser halten (2), besonders bei bestimmten Konstellationen, wie z.B. bei einem Bypass, der das Kniegelenk überschreitet, oder bei schlechten peripheren Abflußverhältnissen. Diese Unsicherheit führt bis heute zu einer sehr uneinheitlichen klinischen Praxis. Nach einer großen internationalen Umfrage geben etwa zwei Drittel der Zentren nach infrainguinalen Bypass-Operationen Thrombozytenaggregationshemmer und ein Drittel Antikoagulanzien (3). In einigen europäischen Ländern erhalten in dieser Situation bis zu 80% der Patienten Antikoagulanzien.
Eine klärende Multizenterstudie kam aus den Niederlanden (4). Insgesamt 2690 Patienten erhielten nach infrainguinalem Bypass jeweils zur Hälfte 80 mg ASS/d oder Phenprocoumon bzw. Acenocoumarol (INR 3-4,5). Nach einer mittleren Nachbeobachtungszeit von 21 Monaten zeigte sich insgesamt kein Vorteil für die eine oder andere Strategie (Okklusionsrate: 23% vs. 24%), auch unter Berücksichtigung der Bypass-Position (femoro-popliteal oder femoro-crural/pedal). Die einzige Gruppe, die einen Nutzen von einer Antikoagulanzien-Therapie zu haben scheint, sind Patienten mit venösen Grafts (Relatives Risiko für Bypass-Verschluß: 0,69). In dieser Studie war das Risiko für eine Blutungskomplikation unter Antikoagulanzien nahezu doppelt so hoch wie mit ASS (RR: 1,96).
Die Kombination einer oralen Antikoagulation mit Phenprocoumon oder Warfarin plus ASS ist, wie der geschilderte Fall zeigt, sehr problematisch. Es wird eine potentiell ulzerogene Substanz (ASS) in einer therapeutisch hämophilen Situation angewendet. Daher stellt sich die Frage, wie groß der mögliche Nutzen dieser Kombinationstherapie ist und um wieviel häufiger Blutungen gegenüber einer Monotherapie auftreten.
Im Bereich der Kardiologie finden sich mehrere Studien zu diesem Thema. So wurden im September auf der Jahrestagung der Europäischen Kardiologischen Gesellschaft die Ergebnisse aus WARIS-II vorgestellt (5). In dieser Studie sind über 3500 Patienten nach Myokardinfarkt vier Jahre lang mit niedriger Dosis ASS (75 mg/d) plus niedrig dosiert Warfarin (Coumadin; INR 2-2,5) zur Sekundärprophylaxe behandelt worden. Als Kontrollen dienten ein Behandlungsarm mit 160 mg ASS/d und ein Arm mit höher dosiertem Warfarin (INR 2,8-4,2). In der Kombinationsgruppe traten auf 100 Patientenjahre 1,5 weniger Ereignisse (Reinfarkt oder Schlaganfall) auf als in der ASS-Gruppe und auch weniger Ereignisse als in der Warfarin-Gruppe. Es müßten demnach also etwa 66 Patienten mit der Kombination behandelt werden um jährlich ein (nicht tödliches) Ereignis zu verhindern (NNR: 66/Jahr). Diesem Nutzen stand ein vierfach erhöhtes Risiko für eine Blutungskomplikation gegenüber.
Im Thrombosis Prevention Trial (TPT; 6) wurden 5500 Männer mit hohem Risiko für eine Koronare Herzkrankheit (KHK) für eine Primärprophylaxe vorgesehen. Sie erhielten mehrere Jahre lang in vier Kohorten niedrig dosiert Warfarin (Ziel-INR: 1,5-1,8) plus 75 mg ASS/d oder nur Warfarin oder nur ASS oder nur Plazebo. Die Ergebnisse sind in Tab.1 wiedergegeben. Hier ist zu sehen, daß die Kombination Warfarin plus ASS bei der Primärprävention einer KHK gering wirksamer zu sein scheint als Warfarin oder ASS allein. Es müßten allerdings über 5000 Risikopatienten mit der Kombination behandelt werden um ein (nicht tödliches) KHK-Ereignis pro Jahr zu verhindern. Es resultiert kein Überlebensvorteil gegenüber ASS allein, aber 100 Blutungskomplikationen mehr pro Jahr.
Bei anderen Konstellationen wie z.B. Versagen einer antithrombotischen Monotherapie oder bei zwingend erforderlicher Antikoagulanzien-Therapie (Zustand nach Lungenarterienembolie, Mitralstenose mit Vorhofflimmern etc.) und neu aufgetretener instabiler Angina pectoris wäre eine Kombinationstherapie sinnvoll. Hier würde man heute aber eher auf nicht ulzerogene Thrombozytenaggregationshemmer zurückgreifen (z.B. Clopidogrel). Es fehlen jedoch Studien zu diesen speziellen Kombinationen.
Zusammenfassend kann man also sagen, daß die Kombinationstherapie einer oralen (niedrig dosierten) Antikoagulation plus Thrombozytenaggregationshemmer nur in Ausnahmefällen angewendet werden sollte. Der erzielbare Nutzen ist begrenzt und selbst unter Studienbedingungen mit gutem Monitoring ist die Wahrscheinlichkeit einer Blutungskomplikation unter der Kombinationstherapie mit ASS 2,5 bis 4fach höher im Vergleich zu ASS allein.
Wenn man sich trotzdem für eine kombinierte antithrombotische Therapie entscheidet, dann sollte dies nur unter engmaschiger klinischer und paraklinischer Kontrolle erfolgen, die bei Bedarf auch Gastroskopien einschließt. <<
Literatur
1. Tangelder, M.J., et al.: J. Vascul. Surg. 1999, 30, 701.
2. Kretschmer, G., et al.: J. Int. Med. 1999, 245, 389.
3. Lindblad, B., et al.: Eur. J. Vasc. Endovasc. Surg. 1995, 9, 267.
4. BOA-Studie (Dutch Bypass Oral anticoagulants or Aspirin study): Lancet 2000, 355, 346.
5. WARIS II (WArfarin Re-Infarction Study II): Scand. Cardiovasc. J. 2000, 34, 168 und Reuters medical news vom 3.9.2001; www.reutershealth.com
6. TPT (Thrombosis Prevention Trial): Lancet 1998, 351, 233.