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Die Bedeutung der Kardioversion bei Vorhofflimmern

Zusammenfassung: Bei kardiopulmonal stabilen Patienten mit neu aufgetretenem Vorhofflimmern (VF) muß nicht in jedem Fall ein Sinusrhythmus wiederhergestellt werden. Eine die Frequenz und die Symptome kontrollierende Therapie schafft bei über 80% dieser Patienten ebenso viel „Lebensqualität“ wie die Wiederherstellung des Sinusrhythmus. Auch kardiale Dekompensationen und Schlaganfälle sind nicht häufiger, wenn das VF belassen wird und die Patienten antikoaguliert werden. Sonderfälle, die von den Studien unzureichend erfaßt werden, sind jüngere Patienten mit VF, Patienten mit bedeutsamer kardialer Komorbidität und Patienten mit starkem Leidensdruck. Hier wird man weiterhin primär den Sinusrhythmus anstreben. Bei einer rhythmuskontrollierenden Strategie erspart man den Patienten auch kaum Medikamente; zudem ist mit häufigeren Komplikationen durch die Therapie zu rechnen. Außerdem sollten Patienten mit wiederhergestelltem Sinusrhythmus, zumindest wenn sie schon einmal ein VF-Rezidiv erlitten haben, dauerhaft antikoaguliert werden, weil die meisten Rezidive asymptomatisch verlaufen und somit häufig nicht diagnostiziert werden.

”Die Frequenzkontrolle kann nun als primäre Strategie bei der Therapie des Vorhofflimmerns angesehen werden”. Zu diesem Schluß kommt M.E. Cain von der Washington University in seinem Kommentar zweier Studien zur Behandlung des Vorhofflimmerns (1). Diese beiden aktuellen Studien und eine weitere aus Deutschland sollen unsere Übersicht zur Therapie des Vorhofflimmerns von vor drei Jahren (2) aktualisieren.

Die AFFIRM-Studie (3) schloß in den USA 4060 Patienten mit Vorhofflimmern ein. Die Studienpatienten waren 65 Jahre oder älter (im Mittel 69 Jahre). Bei 35% wurde erstmalig VF diagnostiziert. Bei 69% dauerte das VF länger als zwei Tage, bei 10% länger als 6 Wochen. Über 70% der Patienten hatten als Grunderkrankung Bluthochdruck und 38% Koronare Herzkrankheit. Bei 13% war keine kardiale Erkrankung festzustellen (”Lone atrial fibrillation”). 75% hatten eine normale linksventrikuläre Auswurffraktion.

Die Patienten wurden zwei Therapiestrategien zugelost. In der Rhythmuskontroll-Gruppe (RG) sollte der Sinusrhythmus wiederhergestellt und erhalten werden. Die Strategie wurde dabei den behandelnden Ärzten überlassen. Es durfte elektrisch und medikamentös kardiovertiert und zum Erhalt des Sinusrhythmus Antiarrhythmika verabreicht werden. Zur Auswahl standen Amiodaron, Disopyramid, Flecainid, Morizin, Procainamid, Propafenon, Chinidin, Sotalol, Dofetilid bzw. eine Kombination aus mehreren dieser Substanzen. Eine Antikoagulation (INR 2-3) wurde empfohlen, konnte aber beendet werden, wenn nach erfolgreicher Kardioversion mindestens vier Wochen lang Sinusrhythmus bestand. Bei 70% wurde sie letztlich während der Studiendauer beibehalten.

In der Frequenzkontroll-Gruppe (FG) wurde das VF akzeptiert. Es wurde eine Ruhefrequenz von maximal 80/min und eine Belastungsfrequenz von maximal 120/min angestrebt. Im Protokoll waren hierzu folgende Substanzen vorgesehen: Betablocker, Kalziumantagonisten (Verapamil oder Diltiazem), Digitalis bzw. eine Kombination dieser Substanzen. Alle Patienten in der FG sollten antikoaguliert bleiben (INR 2-3). Bei 85% wurde dies lückenlos durchgeführt.

Der primäre Endpunkt in der AFFIRM-Studie waren die Sterblichkeit und ein Kombinationsendpunkt von Tod, Schlaganfall, vaskulärer Demenz, Herztod und größeren Blutungen. Die mittlere Nachbeobachtungszeit betrug 3,5 Jahre, maximal 6 Jahre. Regelmäßige Kontrollvisiten waren nur etwa alle 6 Monate vorgesehen.

In der FG war nach 5 Jahren etwa ein Drittel der Patienten im Sinusrhythmus. Bei den übrigen wurde immerhin bei 80% eine zufriedenstellende Frequenzkontrolle erzielt. Bei etwa 15% blieb die Therapie unbefriedigend. Diese Patienten wechselten in die RG und wurden dort zumeist mit Amiodaron behandelt. Bei 5% wurde als Ultima ratio eine AV-Knoten-Modifikation mit oder ohne Schrittmacherimplantation durchgeführt.

In der RG bestand nach 5 Jahren bei 62% der Patienten Sinusrhythmus. Die Patienten erhielten mehrheitlich Amiodaron (63%), seltener Sotalol (41%) oder ein Klasse-I-Antiarrhythmikum (44%). Ein Drittel der RG-Patienten wechselte wegen Therapieversagens oder unerwünschter Arzneimittelwirkungen (UAW) in die FG. So erhielten viele RG-Patienten im Verlauf der Studie auch Digitalis, Betablocker oder einen Kalziumantagonisten.

Der primäre Studienendpunkt Tod trat bei ca. 22% der Patienten innerhalb von 5 Jahren ein. Dieser Endpunkt wurde in beiden Gruppen etwa gleich häufig erreicht (6,8%). Auch die Schlaganfallhäufigkeit war gleich (ca. 1%/Jahr). Hiervon waren meistens Patienten betroffen, bei denen die Antikoagulation beendet worden war. Auch die Ergebnisse aus den Fragebögen zur Lebensqualität und zu kognitiven Fähigkeiten zeigten keine Unterschiede zwischen den beiden Therapiestrategien.

Die AFFIRM-Studie fällt wegen der UAW zu Gunsten der frequenzkontrollierenden Therapie aus. Die Patienten in der RG mußten im Studienverlauf signifikant häufiger ins Krankenhaus (80% vs. 73%), hatten häufiger kritische Herzrhythmusstörungen (12 vs. 2 Torsade-de-Pointes-Tachykardien; 9 vs. 1 Bradykardien) sowie pulmonale (7,3% vs. 1,7%) und gastrointestinale Ereignisse (8% vs. 2,1%).

Die zweite Studie im selben Heft des New England Journal of Medicine kommt aus den Niederlanden und trägt das Akronym RACE (4). Es wurden 522 Patienten mit einem Rezidiv von anhaltendem VF oder Vorhofflattern eingeschlossen. Das mittlere Alter betrug 68 Jahre. Die FG (n = 256) wurde, wie in AFFIRM, mit Digitalis, Betablockern oder Kalziumantagonisten behandelt mit dem Ziel einer Ruheherzfrequenz unter 100/min. Hiermit konnten 86% zufriedenstellend behandelt werden. 11% litten weiter unter Symptomen und wurden deshalb elektrisch kardiovertiert oder invasiv weiterbehandelt (AV-Knoten-Modifikation, Schrittmacher). Alle Patienten erhielten eine orale Antikoagulation. In der RG (n = 266) wurden alle Patienten zunächst elektrisch kardiovertiert und erhielten danach zur Rezidivprophylaxe Sotalol. Kam es zum Rezidiv, wurde erneut kardiovertiert und mit Flecainid oder Propafenon weiterbehandelt. Bei einem weiteren Rezidiv wurde in der dritten Stufe Amiodaron zum Erhalt von Sinusrhythmus (Erhaltungsdosis: 200mg/d) eingesetzt. Die Therapie mit Sotalol, Flecainid und Propafenon wurde unter stationären Bedingungen und Monitorkontrolle eingeleitet. Alle Patienten erhielten Antikoagulanzien oder, wenn sie unter 65 Jahre alt waren, Azetylsalizylsäure. Die mittlere Beobachtungszeit betrug 2,3 Jahre. Visiten fanden häufiger als in AFFIRM, nämlich alle 3 Monate statt.

In der RG hatten am Studienende 39% Sinusrhythmus. Diese im Vergleich zu AFFIRM geringere Erfolgsrate dürfte im Wesentlichen auf der Tatsache beruhen, daß ein Drittel der AFFIRM-Patienten erstmalig VF hatten, das insgesamt auch kürzer bestand. Dagegen hatten die RACE-Patienten alle bereits ein Rezidiv und waren somit selektiert. Außerdem waren die RACE-Patienten insgesamt etwas stärker herzkrank (Anamnese mit Herzinsuffizienz 50% vs. 23%).

In der FG bestand am Studienende nur bei 10% Sinusrhythmus; dies wurde bei der Hälfte durch elektrische Kardioversion wegen intolerabler Symptome erzielt. Wie häufig eine zufriedenstellende Frequenzkontrolle gelang, wird nicht mitgeteilt, und leider gibt es in der Publikation auch keine Angaben zur Lebensqualität. Der primäre kombinierte Studienendpunkt (Tod, Herzinsuffizienz, Thromboembolie, bedrohliche Arrhythmie, Schrittmacherimplantation, Blutung) trat in der RG signifikant häufiger auf als in der FG (22,6% vs. 17,2%). Der Unterschied beruhte im Wesentlichen auf einer Häufung von UAW (5,5% vs. 0,8%), Thromboembolien (7,9 vs. 5,5%) und der Notwendigkeit einer Schrittmachertherapie. Interessanterweise waren Frauen und Hypertoniker besonders häufig von diesen UAW betroffen, was die Autoren damit zu erklären versuchen, daß diese Subgruppen bekannterweise besonders empfänglich sind für erworbene Long-QT-Syndrome. Herzinsuffizienz trat im Studienverlauf häufiger in der RG auf (4,5% vs. 3,5%). Dies ist deshalb so bemerkenswert, weil die Prophylaxe der Herzinsuffizienz immer als gewichtiges Argument für eine Kardioversion ins Feld geführt wird.

Eine dritte wichtige Studie kommt aus Deutschland und der tschechischen Republik. Sie heißt PAFAC (5) und ist bislang nach unserer Kenntnis noch nicht in einer angesehenen Zeitschrift veröffentlicht, sondern nur auf Kongressen vorgestellt worden; deshalb gehen wir nur kurz auf die Ergebnisse ein. In diese prospektive Studie wurden 848 Patienten nach erfolgreicher Kardioversion von VF eingeschlossen. Sie erhielten zur Rezidivprophylaxe entweder Sotalol (n = 383) oder Chinidin/Verapamil (Cordichin; n = 377) oder Plazebo (n = 88). Primärer Studienendpunkt waren Tod oder ein Rezidiv des VF.

Es kam im aktiven Studienteil zu 12 Todesfällen; davon wurden neun auf Arrhythmien zurückgeführt (Plötzlicher Herztod, Kammerflimmern, Bradykardie). Alle Todesfälle traten in den Antiarrhythmika-Gruppen auf. Nicht-tödliche Arrhythmieereignisse (Synkopen, Torsade-de-Pointes-Tachykardien, Kammertachykardien bzw. -flimmern) fanden sich etwa gleich häufig in den drei Gruppen (Plazebo: 3,4%, Sotalol: 4,1%, Chinidin/Verapamil: 3,2%). Torsade-de-Pointes-Tachykardien wurden aber nur unter Sotalol beobachtet (6). Auch in dieser Studie findet sich also ein klarer Hinweis darauf, daß die medikamentöse Rezidivprophylaxe nicht ungefährlich ist und daß Sotalol – möglicherweise mehr als andere Antiarrhythmika – proarrhythmische Effekte hat und daher heute nicht mehr als erste Wahl bei Vorhofflimmern gilt.

Das besondere an PAFAC ist, daß alle Patienten einen kleinen EKG-Recorder erhielten, mit dessen Hilfe täglich ein EKG über ein Telefon an das Studienzentrum übermittelt wurde. So konnten über 190000 Tele-EKG ausgewertet werden. Es zeigten sich bei 67% der Patienten VF-Rezidive bei einem mittleren Nachbeobachtungszeitraum von 250 Tagen. Das bemerkenswerteste Ergebnis war, daß 70% dieser Rezidive völlig asymptomatisch verliefen, also ein Zufallsbefund waren. Dieses Ergebnis stellt die Erfolgsquoten vieler bisheriger Studien zur Rezidivhäufigkiet von VF sehr in Frage und erklärt wahrscheinlich auch, warum es trotz vermeintlichem Sinusrhythmus gehäuft zu Schlaganfällen kommt, wenn die Antikoagulation abgesetzt wird.

Literatur

  1. Cain, M.E.: N. Engl. J. Med. 2002, 347, 1822.
  2. AMB 2000, 34, 89.
  3. Wyse, D.G., et al. (AFFIRM = Atrial Fibrillation Follow-Up Investigaton of Rhythm Management): N. Engl. J.Med. 2002, 347, 1825.
  4. Van Gelder, I.C., et al. (RACE = RAte Controll versus Electrical Cardioversion for persistent atrial Fibrillation): N. Engl. J. Med.: 2002, 347, 1834.
  5. Fetsch, T., et al. (PAFAC = Prevention of Atrial Fibrillation After Cardioversion): Eur. Heart J. 2002, 23 Abstr. Suppl., P3461.
  6. Vester, E.G., et al.: Eur. Heart J. 2002, 23 Abstr. Suppl., P2527.