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Orale Antikoagulation bei Patienten mit nicht-valvulärem Vorhofflimmern und Hämodialyse: die AXADIA-AFNET-8-Studie

Zur Prophylaxe von Schlaganfällen und Thromboembolien bei Patienten mit nicht-valvulärem Vorhofflimmern (nvVofli) werden heute Direkte Orale Antikoagulantien (DOAK) bevorzugt verordnet. Sie sind – wenn sie richtig eingesetzt werden – vergleichbar wirksam wie Vitamin-K-Antagonisten (VKA), aber im Umgang praktikabler und mit weniger Blutungskomplikationen assoziiert ([1], [2]). Wir haben mehrfach darüber berichtet ([3]). Eine chronische Niereninsuffizienz („Chronic Kidney Disease“ = CKD) ist ein unabhängiger Risikofaktor für das Auftreten von nvVofli ([4]). In der Kombination von nvVofli mit CKD besteht ein höheres Risiko für Schlaganfälle, sowie unter Antikoagulation ein höheres Risiko für Blutungen im Vergleich zu Nierengesunden mit nvVofli ([5]).

Bei Patienten mit moderat bis stark eingeschränkter Nierenfunktion (CKD-Stadium II-IV) haben sich DOAK als ausreichend sicher und wirksam erwiesen ([6]), sofern bei der Dosierung die Nierenfunktion berücksichtigt wird. Für den Einsatz von DOAK bei dialysepflichtiger Niereninsuffizienz liegen aber bislang keine evidenzbasierten Daten aus randomisierten Studien vor. Zu bedenken ist, dass nicht nur der Einsatz von DOAK, sondern auch der von Phenprocoumon (Phen), dem im deutschsprachigen Raum am häufigsten verordneten VKA, in dieser Indikation immer „off label“ ist.

In einem Review, erschienen 2022 in Nefrologica ([7]), werden weitere wichtige Aspekte zur Wirksamkeit und Sicherheit der oralen Antikoagulation bei Patienten mit nvVofli und CKD bzw. Hämodialyse (HD) zusammengefasst, von denen einige hier genannt seien:

  • Es ist gesichert, dass die Antikoagulation mit VKA bei niereninsuffizienten Patienten schwieriger in den optimalen therapeutischen Bereich einzustellen ist sowie Blutungskomplikationen, speziell hämorrhagische Insulte, häufiger sind im Vergleich zu Nierengesunden mit nvVofli: bei einer errechneten GFR < 30 ml/min bis zu doppelt so häufig ([8]).
  • Für Patienten mit stark eingeschränkter Nierenfunktion gibt es keine validierten Scores zur Nutzen-Risiko-Bewertung hinsichtlich kardiovaskulärer Erkrankungen: im CHA2DS2-VASc-Score (Herzinsuffizienz, Hypertonie, Alter ≥ 75 Jahre, Diabetes, Schlaganfall, vaskuläre Erkrankung, Alter 65-74 Jahre, weibliches Geschlecht; vgl. [9]) wird eine eingeschränkte Nierenfunktion gar nicht berücksichtigt und demzufolge das Embolierisiko vermutlich überschätzt, während andererseits das Blutungsrisiko im HAS-BLED-Score unterschätzt wird (Hypertonie, schwer gestörte Leber- oder Nierenfunktion, Schlaganfall, Blutung oder Blutungsneigung, labiler INR, Alter > 65 Jahre, Medikamente, z.B. nichtsteroidale Antirheumatika oder Alkohol; vgl. [9]).
  • Unter VKA wurde eine beschleunigte Kalzifizierung (Calciphylaxie) arterieller Gefäße, z.B. der Koronarien und der Nierenarterien, beobachtet (vgl. [10]) , wobei als Ursache der Entzug von Vitamin K als notwendigem Faktor für die Aktivierung von Matrix-Glycoprotein-alpha (MGP) diskutiert wird. Die Nierenfunktion kann dadurch zusätzlich verschlechtert werden.
  • Apixaban hat den Vorteil einer überwiegend hepatischen Eliminierung, wird jedoch als proteingebundener Wirkstoff durch das Ausmaß einer Proteinurie beeinflusst.
  • Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) hat bisher keine Zulassung erteilt für ein DOAK bei einer eGFR < 15 ml/min; in den USA ist Apixaban und Rivaroxaban in angepasster Dosis zugelassen.

HD-Patienten wurden in randomisierten Studien zur Antikoagulation meistens ausgeschlossen ([4]). Diese Lücke sollte eine aktuelle und bisher größte Studie mit Dialysepatienten schließen ([11]).

Studiendesign: In der multizentrischen, prospektiven, randomisierten, offenen Endpunktstudie AXADIA-AFNET 8 ([11]) wurde bei dialysepflichtigen Patienten mit nvVofli die Sicherheit und Effektivität des nicht Vitamin K-abhängigen Gerinnungshemmers Apixaban verglichen mit dem VKA Phenprocoumon (Phen). Sie wurde als Nichtunterlegenheitsstudie konzipiert. Apixaban ist ein Faktor-Xa-Inhibitor, der hauptsächlich in der Leber verstoffwechselt wird und deshalb bei HD-Patienten eine sinnvolle therapeutische Option sein könnte. Pharmakokinetische Daten zeigen, dass die Plasmakonzentrationen von Apixaban in einer Dosierung von zweimal 2,5 mg/d bei HD-Patienten denen von Nierengesunden mit zweimal 5 mg/d entsprechen ([12]). Die Studie wurde unverblindet durchgeführt wegen der regelmäßigen Kontrollen der International Normalized Ratio (INR) zur Dosisanpassung von Phen auf eine Ziel-INR von 2,0 bis 3,0.

Verantwortlich für die Studie war das Kompetenznetz Vorhofflimmern e.V. (AFNET = Atrial Fibrillation Network; [13]) mit Forschungsgeldern aus öffentlichen Mitteln sowie finanzieller Unterstützung von Bristol Myers Squibb und Pfizer, die jedoch keinen Einfluss auf Studienablauf oder Auswertung hatten.

Zwischen 2017 und 2022 wurden an 39 Kliniken in Deutschland 108 Patienten mit regelmäßiger HD und nvVofli gescreent, von denen 97 in die Studie eingeschlossen wurden. Das Vofli musste an mindestens 2 verschiedenen Tagen dokumentiert sein; 70% waren Männer; das durchschnittliche Alter betrug 74 Jahre. Etwa die Hälfte der Patienten hatte eine Herzinsuffizienz der NYHA-Klasse II, jeweils 25% der Klasse I und III. Zwei Drittel hatten eine koronare Herzkrankheit. Der mittlere CHA2DS2-VASc-Score zur Einschätzung des Schlaganfallrisikos lag bei 4,5. Das Blutungsrisiko nach dem maximal 9 Punkte umfassenden HAS-BLED-Score war bei allen Kollektiven gleichermaßen 4,2.

Die Patienten erhielten prospektiv 1:1 randomisiert entweder 2,5 mg Apixaban zweimal täglich (n = 48) oder Phen mit einer Ziel-INR zwischen 2,0 und 3,0 (n = 49). Ausschlusskriterien waren u.a. Schlaganfall in den letzten 3 Monaten, eine HD-Behandlung seit weniger als 3 Monaten, mittlere oder schwere Aorten- oder Mitralklappenstenose, Notwendigkeit zur Antikoagulation aus anderen Gründen, aktive Blutung oder stattgehabte schwere Blutung in den letzten 6 Monaten sowie eine dauerhafte Therapie mit Acetylsalicylsäure. Patienten mit einem Schlaganfall, der länger als 3 Monate zurücklag, konnten eingeschlossen werden, wenn kein schweres neurologisches Defizit bestand. Diese wurden auf die beiden Kollektive gleichmäßig verteilt; ebenso solche Patienten, die bereits vor Studienbeginn mit Apixaban oder Phen behandelt worden waren.

Der primäre Sicherheitsendpunkt war zusammengesetzt aus: Tod jeder Ursache sowie erstes Ereignis einer schweren Blutung oder klinisch relevanter sonstiger Blutung nach den Kriterien der International Society of Thrombosis and Hemostasis ([14]). Zusammengesetzter sekundärer Wirksamkeitsendpunkt war die Effizienz von Phen vs. Apixaban in der Verhinderung thromboembolischer Ereignisse, wie akuter Myokardinfarkt, ischämischer Schlaganfall, tiefe Beinvenenthrombose, Lungenarterienembolie sowie Tod jeder Ursache.

Ergebnisse: Im Median wurden die Patienten der Apixaban-Gruppe über 429 Tage (37 bis max. 1.370) nachverfolgt, die Patienten der Phen-Gruppe über 506 Tage (101 bis 1.379). 60% der Patienten (59/97) wurden > 12 Monate beobachtet. 47 Patienten (48,5%) erreichten mindestens ein Ereignis des primären Sicherheitsendpunkts (Tod, schwere Blutung oder klinisch relevante sonstige Blutung), davon 22 unter Apixaban (45,8%) und 25 unter Phen (51,0%; Hazard Ratio = HR: 0,93; 95%-Konfidenzintervall = CI: 0,53-1,65; p-Wert für Nichtunterlegenheit = 0,157). Die Ereignisrate für den zusammengesetzten primären Sicherheitsendpunkt betrug im Gesamtkollektiv 36,4 pro 100 Patientenjahre (Apixaban: 36,1; Phen: 36,6). Es gab auch keine signifikanten Unterschiede bei den einzelnen Endpunkten: Gesamtsterblichkeit: Apixaban 18,8% vs. Phen 24,5% bzw. 14,8 vs. 17,6 pro 100 Patientenjahre; schwere Blutungen 10,4% vs.12,2% oder Myokardinfarkt 4,2% vs. 6,1%; auch die Zeit bis zum Eintreten eines primären Endpunktereignisses war in beiden Kollektiven gleich. Thromboembolische Ereignisse (kombinierter Wirksamkeitsendpunkt) traten bei 10 Patienten (20,8%) unter Apixaban und bei 15 (30,6%) unter Phen auf (p = 0,51; Log rank-Test). Die Therapieadhärenz betrug unter Apixaban > 80%; unter Phen waren die Patienten im Median nur in Hälfte der Zeit im therapeutischen Bereich (TTR = „Time in Therapeutic Range“).

Diskussion: Neben einigen retrospektiven Observationsstudien und zwei Metaanalysen gab es bisher nur zwei randomisierte kontrollierte Studien (RCT) zur Anwendung von DOAK bei Dialysepatienten mit nvVofli ([12], [15]); sie kamen zu ähnlichen Ergebnissen wie die aktuelle AXADIA-AFNET-8-Studie. Allerdings wurde eine der beiden Studien wegen zu schleppender Rekrutierung vorzeitig abgebrochen ([14]). Das trifft auch für AXADIA-AFNET 8 zu, denn die geplante Teilnehmerzahl (n = 200) konnte wegen des Ablaufens der maximal festgelegten Studiendauer nicht erreicht werden; dies mindert die statistische Verlässlichkeit der Ergebnisse.

Thromboembolische Ereignisse waren mit fast 21% bzw. 31% trotz der Antikoagulation häufig. Die Wirksamkeit von Apixaban war Phen nicht unterlegen, und es gab keine Hinweise auf eine höhere Komplikationsrate. Bei der Bewertung ist zu bedenken, dass in den drei nun vorliegenden RCT unter VKA bestenfalls nur jeder Zweite eine optimale Antikoagulation hatte, obwohl diese Patienten regelmäßig ärztlich kontrolliert wurden. Auch hatte fast jeder Zweite unter der Antikoagulation mindestens ein Sicherheitsendpunkt-Ereignis. Größere RCT sind notwendig, um verlässlichere Daten für das optimale Therapieregime bei dialysepflichtigen Patienten mit Vofli zu erhalten. Ein Vergleichskollektiv ohne orale Antikoagulation wäre wünschenswert, ist aber ethisch nicht unumstritten.

Fazit

In der bisher größten multizentrischen randomisierten Studie (n = 97) mit dialysepflichtigen Patienten und nicht-valvulärem Vorhofflimmern war eine Schlaganfallprophylaxe mit niedrig dosiertem Apixaban dem Vitamin-K-Antagonisten Phenprocoumon nicht unterlegen, weder in der Wirksamkeit (Verhinderung thromboembolischer Ereignisse) noch in der Sicherheit (Tod, schwere Blutungen). Allerdings hatte fast jeder zweite Teilnehmer irgendein Blutungsereignis, und die Studie wurde wegen schleppender Rekrutierung vorzeitig abgebrochen. Thromboembolien bei 20 bis 30% dieser Dialysepatienten trotz Antikoagulation nach im Median gut einem Jahr spiegelt das immer noch hohe Risiko wider. Andererseits wird eine orale Antikoagulation wegen hoher Blutungsrisiken und häufig notwendiger Interventionen aus gutem Grund zurückhaltend praktiziert. Auch wir haben zur Vorsicht aufgerufen ([16]).

Literatur

  1. Hindricks, G., et al.: Eur. Heart J. 2021, 42, 373. (Link zur Quelle)
  2. Steffel, J., et al.: Europace 2021, 23, 1612. (Link zur Quelle)
  3. AMB 2023, 57, 19. AMB 2022, 56, 81. AMB 2022, 56, 17. AMB 2014, 48, 41. (Link zur Quelle)
  4. Nelson, S.E, et al.: J. Am. Heart Assoc. 2012, 1, e002097. (Link zur Quelle)
  5. Olesen, J.B., et al.: N. Engl. J. Med. 2012, 367, 625, Erratum: N. Engl. J. Med. 2012, 367, 2262. (Link zur Quelle)
  6. Ha, J.T., et al.: Ann. Intern. Med. 2019, 171, 181. (Link zur Quelle)
  7. Sánchez-Gonzáleza, C., und Herrero Calvo, J.A.: Nefrologia 2022, 42, 633. (Link zur Quelle)
  8. Limdi, N.A., et al.: Am. J. Kidney Dis. 2015, 65, 701. (Link zur Quelle)
  9. AMB 2012, 46, 17. (Link zur Quelle)
  10. AMB 2016, 50, 08. (Link zur Quelle)
  11. Reinecke, H., et al. (AXADIA-AFNET 8 = Compare Apixaban and Vitamin K Antagonists in Patients With Atrial Fibrillation and End-Stage Kidney Disease): Circulation 2023, 147, 296. (Link zur Quelle)
  12. Pokorney, S.D., et al. (RENAL-AF = RENAL hemodialysis patients allocated apixaban versus warfarin in Atrial Fibrillation): Circulation 2022, 146, 1735. (Link zur Quelle)
  13. www. kompetenznetz-vorhofflimmern.de (Link zur Quelle)
  14. Schulman, S., und Kearon, C.: J. Thromb. Haemost. 2005, 3, 692. (Link zur Quelle)
  15. De Vriese, A.S., et al. (Valkyrie-Studie): J. Am. Soc. Nephrol. 2021, 32, 1474. (Link zur Quelle)
  16. AMB 2017, 51, 87. (Link zur Quelle)