Die endogenen Liganden von Opioid-Rezeptoren (z.B. Endorphine) wurden viel später entdeckt als die zunächst als Orphans (Waisen) bezeichneten Rezeptoren selbst. Alle Effekte von Morphin und seinen Abkömmlingen werden über diese Rezeptoren vermittelt. Analog wurden bei der Erforschung der Wirkungen von Haschisch (Hauptwirkstoff: Tetrahydrocannabinol) zunächst die Rezeptoren CB1 und CB2 entdeckt und später endogene Liganden, sog. Endocannabinoide, bei denen es sich um Abkömmlinge der Arachidonsäure (Eicosanoide) handelt (1). Da beim Konsum von Haschisch starker Appetit auftritt, lag es nahe zu vermuten, dass zentralnervöse CB-Rezeptoren an der Appetitregulation beteiligt sind. Verschiedene Firmen entwickeln derzeit CB-Rezeptor-Antagonisten mit dem Ziel, den Appetit zu bremsen bzw. die Compliance adipöser Menschen unter einer hypokalorischen Diät zu erhöhen.
Van Gaal et al. berichteten kürzlich im Lancet (2) über eine europäische Multicenter-Studie an übergewichtigen Patienten (Body Mass Index = BMI > 30 kg/m2 oder > 27 kg/m2 plus Dyslipidämie oder Bluthochdruck oder beide Risikofaktoren). Sie wurden ein Jahr lang mit einer hypokalorischen Diät (600 kcal/d unter errechnetem, das Gewicht erhaltenden Tagesbedarf) und zusätzlich mit Plazebo (Gruppe 1) bzw. 5 mg/d (Gruppe 2) bzw. 20 mg/d (Gruppe 3) des CB1-Rezeptor-Antagonisten Rimonabant behandelt. Haupt-Endpunkt der Studie war die Änderung des Gewichts. Weitere Endpunkte waren Änderungen der Blutlipide und des Blutdrucks. Von 305 in die Gruppe 1 Randomisierten durchliefen nur 178 die Studie komplett. Von 603 bzw. 599 Patienten der Gruppen 2 und 3 beendeten 379 bzw. 363 die Studie. Für den Abbruch waren UAW in Gruppe 3 etwas häufiger als in den Gruppen 1 und 2 verantwortlich. Der häufigste Grund für den Abbruch wird in allen Gruppen mit „patient request” (offenbar Ausscheiden auf Wunsch des Patienten ohne erklärten Grund) angegeben.
Die Mittelwerte des BMI lagen in den Gruppen zwischen 35,7 und 36,2 kg/m2. Nach der Intention-to-treat-Auswertung (ITT) nahmen die Patienten der Gruppen 1, 2 und 3 in einem Jahr 1,8 kg bzw. 3,4 kg bzw. 6,6 kg an Gewicht ab. Im gleichen Maß verminderte sich der Bauchumfang. Bei den Patienten, die die Studie voll absolvierten, betrug die Gewichtsabnahme ca. 3 bzw. 4,2 bzw. 8,5 kg. In Gruppe 3 (20 mg Rimonabant/d) nahmen die Triglyzeride und die Insulinresistenz (berechnet nach Homoeostasis Model Assessment = HOMA-IR) signifikant stärker ab, und das HDL-Cholesterin stieg signifikant stärker an als unter Plazebo. Den Blutdruck veränderte Rimonabant nicht.
Patienten der Gruppe 3 hatten etwas häufiger als die der Gruppen 1 und 2 Übelkeit (12,9%) und Durchfall (7,2%). Angeblich waren diese Beschwerden in den meisten Fällen bei Therapiebeginn stärker als später. Sie werden auf Angriff des Medikaments an CB1-Rezeptoren im Gastrointestinaltrakt zurückgeführt. Plazebo-Patienten hatten häufiger als die der Gruppen 1 und 2 Kopfschmerzen.
Nach ITT-Auswertung verloren 50,9% der Patienten in Gruppe 3 mehr als 5% ihres Ausgangsgewichts, und 27,4% verloren mehr als 10% an Gewicht. Die Autoren halten es für wahrscheinlich, dass der Anstieg des HDL-Cholesterins nicht nur eine Folge des Gewichtsverlustes war, so dass das Medikament auch über die Begünstigung des Gewichtsverlustes hinaus möglicherweise das kardiovaskuläre Risiko senkt.
Die Studie (RIO-Europe) wurde von Sanofi-Aventis bezahlt. Fünf der Autoren erhielten Reisegelder und Honorare von dieser Firma. Rimonabant soll Mitte 2006 zugelassen werden. Der Preis ist noch nicht bekannt.
Inzwischen ist eine weitere RIO-Studie (3) veröffentlicht worden, in der 1036 übergewichtige Patienten 12 Monate lang (zusätzlich zu einer hypokalorischen Diät, die auch als Kontrolle diente) mit Rimonabant behandelt wurden. Die Ergebnisse sind denen der RIO-Europe-Studie sehr ähnlich: deutliche Senkung des Übergewichts, Abnahme des Bauchumfangs, Zunahme des HDL-Cholesterins, Abnahme der Triglyzeride, Besserung der Glukose-Tolerenz und Zunahme der Adiponectin-Konzentration, somit eine günstige Beeinflussung von Faktoren, die als Risiken für arteriosklerosebedingte Erkrankungen angesehen werden. Als wichtigste UAW werden angegeben (Rimonabant 5 mg/d vs. 20 mg/d vs. Plazebo): Depression: 1,7% vs. 2,9% vs. 0,6%; Angstgefühle: 0,3% vs. 1,7% vs. 0,6% und Übelkeit: 0,6% vs. 1,2% vs. 0%).
Fazit: Das untersuchte Behandlungsprinzip ist interessant. Prinzipiell halten wir die Gewichtsabnahme bei Adipösen mit Hilfe von Medikamenten für problematisch. Gut verträgliche Medikamente können aber den Einstieg in eine gesündere Ernährung erleichtern mit dem Ziel, Krankheitsrisiken zu vermindern und die „Lebensqualität” zu verbessern. Weitere Studien müssen zeigen, ob CB1-Rezeptor-Antagonisten auf lange Sicht gut wirksam und verträglich sind.
Literatur
- Howlett, A.C., et al.: Neuropharmacology 2004, 47Suppl. 1, 345.
- Van Gaal, L.F., et al. (RIO-Europe study = Rimonabant In Obesity): Lancet 2005, 365, 1389.
- Després, J.-P., et al. (RIO-Lipids study = Rimonabant In Obesity): N. Engl. J. Med. 2005, 353, 2121.