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Erhöhen orale Kalzium-Supplemente das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse? Eine Metaanalyse zur Osteoporosetherapie

Die meisten Leitlinien zur Osteoporosetherapie empfehlen orale Kalzium-Supplemente (mit oder ohne Vitamin D), wenn die orale Kalziumzufuhr weniger als 1000 mg/d beträgt (1-3). Die Gesamtzufuhr (Nahrung plus Supplement) sollte jedoch 1500 mg/d nicht überschreiten. Solche Supplemente gelten als „Basistherapie” bei Osteoporose, obwohl dadurch die Häufigkeit von Frakturen nicht (4) oder nur marginal (5) gesenkt und bestenfalls eine weitere Abnahme der Knochendichte verlangsamt wird (5). Vaskuläre Risikofaktoren werden durch eine höhere Zufuhr von Kalzium mit der Nahrung (6, 7) und durch Supplemente zum Teil günstig beeinflusst (8). Bei chronisch niereninsuffizienten oder bei Dialysepatienten scheinen Kalzium-Supplemente – hier als kalziumhaltige Phosphatbinder gegeben – jedoch vaskuläre Kalzifikationen zu beschleunigen (9) und sind mit höherer Letalität assoziiert (10, 11).

Zur statistischen Beziehung zwischen oralen Kalzium-Supplementen und der Häufigkeit kardiovaskulärer Ereignisse bzw. Myokardinfarkten erschien jetzt eine Metaanalyse von Autoren aus mehreren Ländern im BMJ (12). Es wurden 15 randomisierte, plazebokontrollierte Studien mit einer Laufzeit von mindestens einem Jahr und mit mindestens 100 Osteoporose-Patienten (ganz überwiegend Frauen; Alter > 40 Jahre) einbezogen. Die täglichen Supplemente betrugen ≥ 500 mg Kalzium in Form von Kalziumkarbonat, -zitrat oder -laktoglukonat (ohne Vitamin D). Die Daten zu den kardiovaskulären Ereignissen wurden von den verantwortlichen Autoren der einzelnen Studien eingeholt und basieren auf Selbstberichten, Krankenhauseinweisungen und Totenscheinen. In die Metaanalyse wurden Raucherstatus, Hypertonie, Diabetes mellitus, Vitamin-D-Status und Fettstoffwechselstörungen, soweit dazu Angaben verfügbar waren, einbezogen.

Ergebnisse: Fünf Studien wurden analysiert an Hand der Einzeldaten der Patienten („patient level data”; n = 8151; mediane Nachbeobachtung 3,6 Jahre), zehn an Hand gepoolter Studienergebnisse („trial level data”; n = 11 921; mediane Nachbeobachtung 4,0 Jahre). In den Studien mit verfügbaren Einzeldaten erlitten 143 Patienten unter Kalzium-Supplementen einen Myokardinfarkt, unter Plazebo waren es 111 (Hazard ratio = HR: 1,31; CI: 1,02-1,67; p = 0,035; s. Tab. 1). Die entsprechenden Ergebnisse zu Schlaganfall bzw. Tod bzw. dem kombinierten Endpunkt Myokardinfarkt, Schlaganfall, plötzlicher Tod waren nicht signifikant. Auch bei den zehn gepoolten Studien war die Hazard ratio für Myokardinfarkt unter Kalziumsupplementierung signifikant erhöht (s. Tab. 1).

Auch wenn die Metaanalyse anscheinend sehr sorgfältig unter Berücksichtigung anderer Risikofaktoren und hinsichtlich „Adherence” sowie möglicher publication bias (Funnel-Plots) durchgeführt wurde, so hat sie dennoch typische Schwächen. Sie werden von den Autoren auch eingeräumt. Die Studien sind zum Teil recht heterogen, z.B. waren nur zwei verblindet und bei 15% aller Patienten waren die Angaben zu den kardiovaskulären Ereignissen lückenhaft oder fehlten. Auch hatte keine Studie kardiovaskuläre UAW als primären Endpunkt und die Erfassung war nicht standardisiert. Es verwundert etwas, dass Myokardinfarkte unter Kalzium-Supplementen häufiger waren, aber die Letalität unbeeinflusst blieb. Dennoch sind die Ergebnisse ein deutliches und beachtenswertes Warnzeichen, denn eine Therapie, die bei Osteoporose Frakturen nur marginal verhindert und die Letalität nicht verringert, sollte keine gravierenden UAW haben. Die Autoren eines begleitenden Editorials im BMJ (13) diskutieren ebenfalls die Schwächen dieser Metaanalyse und empfehlen wegen der mitgeteilten UAW keine alleinige „Basistherapie” der Osteoporose mit Kalziumsupplementen (mit oder ohne Vitamin D) mehr durchzuführen, es sei denn es fände gleichzeitig eine „wirksame” Therapie statt.

Fazit: Orale Kalzium-Supplemente (ohne Vitamin D) im Rahmen der Osteoporosetherapie sind – nach dem Ergebnis dieser Metaanalyse – mit einem höheren Risiko für Myokardinfarkte verbunden. Da durch solche Supplemente osteoporotische Frakturen allenfalls marginal verhindert werden und die erhöhte Letalität bei Osteoporose nicht gesenkt wird, muss diese „Basistherapie” – auch als Bestandteil einer kombinierten Therapie (z.B. mit Bisphosphonaten) – unbedingt überprüft werden. Diese Studien müssen kardiovaskuläre Ereignisse als prospektiven primären Endpunkt haben. Es ist auch zu klären, bei welch niedriger oraler Kalziumzufuhr (< 1000 mg/d ?) eine Supplementierung vorteilhaft ist.

Literatur

  1. www.dv-osteologie.org Link zur Quelle
  2. Hodgson, S.F., et al.: Endocr. Pract. 2003, 9, 544. Link zur Quelle Erratum: Endocr. Pract. 2004, 10, 90.
  3. National Osteoporosis Foundation. Link zur Quelle
  4. Bischoff-Ferrari, H.A., et al.: Am. J. Clin. Nutr.: 2007, 86, 1780. Link zur Quelle
  5. Tang, B.M.P., et al.: Lancet 2007, 370, 657. Link zur Quelle
  6. Bostick, R.M., et al.: Am. J. Epidemiol. 1999, 149, 151. Link zur Quelle
  7. Iso, H., et al.: Stroke 1999, 30, 1772. Link zur Quelle
  8. Reid, I.R., et al.: J. Clin. Endocrinol. Metab. 2005, 90, 3824. Link zur Quelle
  9. Goodman, W.G., et al.: N. Engl. J. Med. 2000, 342, 1478. Link zur Quelle
  10. Russo, D., et al.: Kidney Int. 2007, 72, 1255. Link zur Quelle
  11. Block, G.A., et al.: Kidney Int. 2007, 71, 438. Link zur Quelle
  12. Bolland, M.J., et al.: BMJ 2010, 341, c3691. Link zur Quelle
  13. Cleland, J.G.F., et al.: BMJ 2010, 341, c3856. Link zur Quelle

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