Artikel herunterladen

Zum Sicherheitsprofil der Statine

Dass Statine kardiovaskuläre Ereignisse verhindern können, ist weitgehend unumstritten. Auch besteht kein Zweifel, dass sie die Gesamt- und die kardiovaskuläre Letalität in der Sekundärprävention kardiovaskulärer Krankheiten senken können (1-3). In der Primärprävention sind die Effekte allerdings gering, was zu widersprüchlichen Ergebnissen in entsprechenden Metaanalysen geführt hat (2, 4, 5). Eine klinisch bedeutsame Wirksamkeit, d.h. eine „number needed to treat“ (NNT) von deutlich < 100 dürfte sich wahrscheinlich erst ab einem kardiovaskulären 10-Jahresrisiko von > 20% ergeben. Dies haben wir bei der Besprechung der CTT-Metaanalyse aus dem Jahr 2012 diskutiert (2, 3).

Als Folge des nachgewiesenen Nutzens und wohl auch der Werbung steigt die Zahl der Statin-Verschreibungen in den letzten Jahren kontinuierlich an und damit wohl auch die der unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW). Den Statinen wird insgesamt eine akzeptable Sicherheit zugeschrieben, wie aus UAW-Spontanmeldungen hervorgeht und aus Studien, die allerdings primär zur Wirksamkeit von Statinen durchgeführt wurden (6, 7). Zu den bekannten UAW der Statine gehören Myalgie (mit/ohne CK-Erhöhung, je nach Definition), Myopathie (mit CK-Erhöhung über das 10fache der Norm), Rhabdomyolyse mit exzessiver CK-Erhöhung (> 50facher Wert) sowie Anstieg der Transaminasen. Außerdem stehen Statine im Verdacht, die Inzidenz von Diabetes zu erhöhen (8-10) sowie die Nierenfunktion zu verschlechtern (11). Es stellt sich nun die Frage, ob ein bestimmtes Statin seltener UAW verursacht als ein anderes. Darauf eine Antwort zu geben, hat eine britisch-niederländische Forschergruppe in einer kürzlich erschienenen Metaanalyse mit sehr komplexer neuer Methodik versucht (12). Sie ermöglicht es, statistisch einzelne Wirkstoffe miteinander zu vergleichen, selbst wenn es keine Studien mit direkten Vergleichen gibt (12).

Mittels systematischer Literatursuche identifizierten die Autoren 135 randomisierte kontrollierte Studien (fast ausschließlich vom jeweiligen pharmazeutischen Unternehmer gesponsert) mit einer Gesamtzahl von 246.955 Teilnehmern und einer durchschnittlichen Nachbeobachtung von 1,3 Jahren (68 Wochen). 55 der in den Review eingeschlossenen Studien waren zweiarmig plazebokontrolliert und 80 Studien verglichen in zwei oder mehreren Armen verschiedene Statine und Dosierungen miteinander. Mittels dieser Studien konnten zu 22 der 28 theoretisch möglichen paarweisen Vergleiche (sieben Statine und Plazebo) Daten gewonnen werden, die in eine „Drug-Level-Network-Metaanalyse“ einflossen. Außerdem führten die Autoren eine „Dose-Level-Network-Metaanalyse“ durch, in der auch die unterschiedlichen eingesetzten Dosierungen berücksichtigt wurden. Atorvastatin wurde am häufigsten eingenommen (53.325 Probanden), gefolgt von Simvastatin (35.404 Probanden) und Pravastatin (29.557 Probanden). Für Fluvastatin, Lovastatin und Pitavastatin lagen weniger Daten vor.

Ergebnisse:

  • Ein Therapieabbruch wegen UAW wurde – alle Studien zusammen genommen – unter Statin-Therapie nicht öfter registriert als unter Plazebo (Odds ratio = OR: 0,95; 95%-Konfidenzintervall = CI: 0,83-1,08). Im direkten Vergleich zeigte sich aber Simvastatin überlegen – sowohl gegenüber Atorvastatin (OR: 0,61; CI: 0,42-0,89) als auch gegenüber Rosuvastatin (OR: 0,49; CI: 0,27-0,88). In der Drug-Level-Network-Metaanalyse schnitten sowohl Simvastatin als auch Pravastatin günstiger ab als Atorvastatin. In der Dose-Level-Network-Metaanalyse zeigte sich lediglich für höhere Atorvastatin-Dosierungen ein ungünstiger Einfluss: zwischen 20-40 mg/d war die OR: 2,72 (CI: 1,46-5,09) und für > 40 mg/d war die OR: 1,69 (CI: 1,18-2,44). Bei allen anderen Statinen war bei höherer Dosis das Absetzen wegen UAW nicht häufiger.
  • Hinsichtlich der UAW Myalgie/Myopathie ergaben sich Vorteile für Simvastatin gegenüber Atorvastatin (OR: 0,56; CI: 0,42-0,75). Die Dosierung hatte keinen Einfluss auf die Häufigkeit von Myalgien. Anstiege der Kreatinkinase (CK) waren unter Pitavastatin etwas häufiger und unter Fluvastatin etwas seltener. Rhabdomyolysen kamen insgesamt zu selten vor, um zu statistisch gesicherten Aussagen zu kommen.
  • Insgesamt kam es unter Statinen etwas häufiger zu einem Anstieg der Transaminasen als unter Plazebo (OR: 1,51; CI: 1,24-1,84). Unter Pravastatin waren diese UAW etwas seltener als unter Atorvastatin im direkten Vergleich (OR: 0,27; CI: 0,10-0,74). In der Drug-Level-Network-Metaanalyse schnitten Atorvastatin und Fluvastatin schlechter ab als die anderen Statine. In der Dose-Level-Network-Metaanalyse zeigte sich eine deutliche Beziehung zwischen Dosis und Transaminasenanstieg bei Atorvastatin, Lovastatin, Fluvastatin und Simvastatin.
  • Für Statine insgesamt und für die einzelnen Wirkstoffe konnte keine erhöhte Inzidenz von Karzinomen nachgewiesen werden. Auch in den Network-Metaanalysen fand sich statistisch kein Zusammenhang.
  • Alle Statine waren zusammen genommen assoziiert mit einer sehr geringen, aber signifikant höheren Inzidenz von Diabetes mellitus (OR: 1,09; CI: 1,02-1,16), am häufigsten unter Rosuvastatin.

Aus allen Analysen zusammen errechneten die Autoren einen Score für jedes einzelne Statin zur Erfassung des Gesamtrisikos von: Absetzen wegen UAW, Myalgie, Anstieg der Transaminasen und der CK. Der günstigste Gesamtscore fand sich für Pravastatin sowie Simvastatin, und das ungünstige Sicherheitsprofil hatten Rosuvastatin, Atorvastatin sowie Pitavastatin. Lovastatin und Fluvastatin lagen dazwischen.

Diskussion: Metaanalysen zu UAW, wie diese, sind ganz allgemein wichtig, denn es werden Daten aus Studien zusammengeführt. Durch komplexe Analyse- und Vergleichsmethoden können neue Erkenntnisse und Signale entstehen, vor allem dann, wenn statistisch keine verlässlichen Einzeldaten vorliegen. Dennoch haben die Aussagen dieser Metaanalyse erhebliche Einschränkungen, wie dies ganz allgemein bei Metaanalysen der Fall ist:

  • Die Daten zu den UAW von Statinen wurden klinischen Studien entnommen, die nicht primär auf Entdeckung von UAW, sondern von pharmazeutischen Unternehmern auf den Nachweis der Wirksamkeit (Senkung des Cholesterins, Einfluss auf kardiovaskuläre Ereignisse) angelegt waren. Es ist bei den einzelnen eingeschlossenen Studien nicht klar, mit welcher Sorgfalt die Häufigkeit und die Art der UAW registriert wurden.
  • Der Befund, dass Myalgien und Myopathien unter Statin-Therapie nicht häufiger auftraten als unter Plazebo, mag numerisch so aus diesen Studien hervorgehen. Es kommen aber Zweifel auf, ob dies korrekt erfasst wurde bzw., ob von diesen Daten bei selektierten Studienteilnehmern auf die Alltagssituation in der Praxis geschlossen werden kann.
  • Die mittlere Studiendauer von 1,3 Jahren war sehr kurz, um UAW verlässlich zu erfassen. Dies ist ein generelles Problem, das nicht nur bei Zulassungsstudien eine große Rolle spielt.
  • Die Unterschiede (OR) der UAW zwischen den einzelnen Statinen sind gering, so dass in Anbetracht der Unsicherheit der UAW-Daten, die in diese Metaanalyse eingeflossenen sind, nach unserer Einschätzung keine aussagekräftigen therapeutischen Empfehlungen abzuleiten sind.

Fazit: Das Sicherheitsprofil von Statinen ist nach den Ergebnissen dieser Studie für alle auf dem Markt befindlichen Wirkstoffe im Hinblick auf den Nutzen akzeptabel. Schwerwiegende Nebenwirkungen wie Rhabdomyolyse sind extrem selten. Pravastatin und Simvastatin schnitten hinsichtlich des Absetzens aufgrund unerwünschter Wirkungen und/oder des Anstiegs von Transaminasen und Kreatinkinase etwas günstiger ab als die anderen Statine. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Statinen waren aber sehr gering. Bei der Therapie mit einem Statin ist es wahrscheinlich wichtiger, unerwünschte Wirkungen rasch als solche zu diagnostizieren – auch beispielsweise als Folge von Arzneimittelinteraktionen. In dieser Metaanalyse konnten solche klinisch bedeutsamen Aspekte jedoch nicht erfasst werden.

Vor wenigen Wochen sind neue Leitlinien des American College of Cardiology und der American Heart Association erschienen (13). Danach wird eine Prävention arteriosklerotischer bzw. kardiovaskulärer Erkrankungen mit Statinen schon bei einem niedrigeren Risiko (s.o.) als bisher empfohlen. Das Risikoprofil der Statine wird dadurch noch größere Bedeutung gewinnen. Wir werden auf Nutzen und Gefahren dieser Leitlinie, die auch bereits in der Fach- und Laienpresse (14) ausgiebig diskutiert wurde, in Kürze näher eingehen.

Literatur

  1. Baigent, C.,et al. (CTT = Cholesterol Treatment Trialists’ collaborators):Lancet 2005, 366, 1267 Link zur Quelle . Errata: Lancet 2008, 371, 2084. Lancet2005, 366, 1358.
  2. Mihaylova,B., et al. (CTT = Cholesterol Treatment Trialists’s collaborators):Lancet 2012, 380, 581. Link zur Quelle
  3. AMB 2012, 46,65. Link zur Quelle
  4. Brugts, J.J.,et al.: BMJ 2009, 338, b2376. Link zur Quelle
  5. Ray, K.K.,et al.: Arch. Int. Med. 2010, 170, 1024. Link zur Quelle
  6. Thompson, P.D.,et al.: JAMA 2003, 289, 1681. Link zur Quelle
  7. AMB 2009, 43,91. Link zur Quelle
  8. Ridker,P.M., et al. (JUPITER = Justification for the Use of statins in Prevention:an Intervention Trial Evaluating Rosuvastatin): N.Engl. J. Med. 2008, 359, 2195 Link zur Quelle . Vgl. AMB 2009, 43,04. Link zur Quelle
  9. Sattar, N.,et al.: Lancet 2010, 375, 735 Link zur Quelle . Vgl. AMB 2010, 44,31. Link zur Quelle
  10. Preiss, D.,et al.: JAMA 2011, 305, 2556 Link zur Quelle . Vgl. AMB 2011, 45,52a. Link zur Quelle
  11. Dormuth, C.R., et al. (CNODES = Canadian Network forObservational Drug Effect Studies): BMJ 2013, 346, f880 Link zur Quelle . Vgl. AMB 2013, 47, 38b. Link zur Quelle
  12. Naci, H.,et al.: Circ.Cardiovasc. Qual. Outcomes 2013, 6, 390. Link zur Quelle
  13. Stone,N.J., et al.: Circulation 2013. Link zur Quelle
  14. Ioannidis,J.P.A.: JAMA 2013. Link zur Quelle