Was praktisch tätige Ärzte und Physiotherapeuten vermuten, wird nun auch in einigen aktuellen Untersuchungen konkreter: Statine werden von mehr Patienten nicht toleriert als bislang angenommen. Nach den großen Statin-Studien der vergangenen Jahre ist nach der Literatur von einer Inzidenz der Statin-Myopathie von 1,5-5% auszugehen (1, 2). Das trifft wohl auch in dieser Häufigkeit zu, wenn man diese UAW an einer relevanten CK-Erhöhung festmacht. In praxi klagen aber viel mehr Statin-Anwender über Myalgien und Leistungsminderung, gefühlt etwa jeder Achte. In der französischen PRIMO-Studie aus dem Jahr 2005 (3) wurde bei Hochdosistherapie eine Inzidenz von 10% festgestellt. In dieser im ambulanten Bereich durchgeführten Studie wurde systematisch nach muskulären Symptomen gefragt und mittels Fragebögen erfasst. Es fand sich bei 10,5% (832 von 7924) eine klinisch manifeste Myopathie. Im Median begannen die Symptome etwa einen Monat nach Therapiebeginn; bei manchen Patienten entwickelten sich die Symptome aber erst nach einem Jahr oder später. Während bei 58% der Betroffenen kein spezieller Auslöser gefunden wurde, begannen bei 21% die Beschwerden nach einer starken körperlichen Anstrengung und bei 12% nach einer neuen Komedikation.
Eine aktuelle randomisierte kontrollierte Studie (RCT) aus San Diego (4) überprüfte bei 1016 Probanden mit familiärer Hyperlipoproteinämie die Wirkung von Statinen auf die beiden Parameter „allgemeine Energie“ und „Müdigkeit bei Belastung“. Die Probanden erhielten sechs Monate lang randomisiert und doppeltblind 20 mg/d Simvastatin oder 40 mg/d Pravastatin oder Plazebo. Die beiden Zielparameter wurden mittels Fragebögen erfasst und auf visuellen Analogskalen bewertet. Nach sechs Monaten wurden die Patienten erneut befragt und die Veränderungen zum Ausgangswert auf einer 5-Punkte-Skala bewertet, der sog. EnergyFatigEx-Skala (primärer Studienendpunkt). Auf dieser Skala bedeutet eine erhebliche Leistungsminderung einen Abfall um zwei Punkte vom Ausgangswert und eine erhebliche Leistungszunahme einen Zugewinn von zwei Punkten. Während in der Plazebo-Gruppe die Belastbarkeit der Probanden unverändert blieb (-0,06 Punkte), sank der Wert in der Statin-Gruppe um 0,21 Punkte (p = 0,05), bei Frauen um 0,3 Punkte. Das hydrophile Pravastatin schnitt etwas günstiger ab als das lipophile Simvastatin (-0,17 vs. -0,25).
Hinsichtlich des Zusammenhangs von Statin-Myopathie und körperlichem Training ist auch eine aktuelle RCT aus Connecticut interessant (5). Darin wurde die kardiorespiratorische Fitness von 37 übergewichtigen und unsportlichen Probanden (mittleres Alter 43 Jahre, 24 Frauen) nach einem strukturiertem Trainingsprogramm mit (n = 18) und ohne (n = 19) Statin verglichen. Das Programm bestand bei allen Probanden aus einem sich langsam steigernden, 30-45 minütigen aeroben Laufbandtraining an fünf Tagen/Woche. Neben Körpergewicht und Fettanteil wurden im Verlauf auch die maximale Sauerstoffaufnahme (VO2max) und diverse Serummarker gemessen sowie Muskelbiopsien entnommen. Nach 3-monatigem Training sank das Gesamtcholesterin in der Statin-Gruppe um 29% und das LDL-C um 38%, während sich diese Werte in der Gruppe ohne Statin erwartungsgemäß nicht wesentlich veränderten. Bemerkenswert war, dass Körpergewicht und Fettmasse nur bei den Probanden ohne Statin abnahmen. Bei den Probanden mit Statin blieben sie unverändert, und sie konnten auch ihre VO2max trotz des Trainings nicht steigern. Nur in der Trainingsgruppe ohne Statin kam zu einem messbaren Anstieg um 10%. Die Muskelbiopsien zeigten, dass es in der Gruppe ohne Statin durch das Training zu einem Anstieg der muskulären Zitratsynthase–Aktivität um 13% kam. Dieses Enzym ist ein Marker für die mitochondriale Masse und für physiologische Anpassungsprozesse an körperliches Training. In der Statin-Gruppe sank die Zitratsynthase–Aktivität trotz des Trainings um 4,5%. Darüber hinaus wurden auch noch weitere gegenläufige Veränderungen bei anderen molekularen mitochondrialen Markern gefunden. Die Autoren vermuten daher, dass Statine tief in den oxidativen Metabolismus der Skelettmuskulatur eingreifen und letztlich zur zellulären Apoptose und Autophagie führen können.
Es stellt sich somit die Frage, ob nicht bei einigen Patienten der nachweislich positive Effekt von Statinen auf Atheroskleroseprozesse durch die hemmenden Wirkungen auf Trainingseffekte wieder aufgehoben wird. Oder anders formuliert: Was ist im Zweifel wichtiger und effektiver: die Einnahme eines Statins oder das Fitnesstraining?
Da eine randomisierte Studie zu dieser Frage fehlt, sei auf eine 10-jährige prospektive Beobachtungsstudie an über 10.000 US-Veteranen mit Dyslipidämie verwiesen (6). In dieser Studie konnte bestätigt werden, dass sowohl die Einnahme von Statinen als auch eine gute körperliche Fitness unabhängig voneinander mit einer geringeren Letalität assoziiert sind. Die geringste Letalität fand sich bei Veteranen, die besonders fit waren und Statine einnahmen (Hazard Ratio = HR: 0,3). Die am wenigsten fitten Veteranen hatten trotz Statin-Einnahme eine deutlich höhere Letalität (HR: 1,00) als die besonders fitten, die kein Statin einnahmen (HR: 0,53). Diese Beobachtung legt den Schluss nahe, dass die Kombination von Fitness-Training und Statin-Therapie – unabhängig voneinander – die Letalität senkt, in Kombination deutlicher als jede Maßnahme für sich allein. Aber ein Arzneimittel kann einen gesunden Lebensstil nicht ersetzen.
Nicht nur körperliche Anstrengungen und die Komedikation spielen bei der Entstehung der Statin-Myopathie eine wichtige Rolle, sondern auch die Dosis, die pharmakologischen Eigenschaften und auch eine genetische Disposition (8). Wenn ein Patient unter Statin-Therapie (und UAW-Verdacht) über Belastungsintoleranz, Müdigkeit und Muskelschmerzen klagt (vgl. 1, 9), ergeben sich folgende mögliche Konsequenzen: 1. Dosisreduktion; 2. Versuch mit einem anderen Statin; 3. Pausieren („Statin-Holiday“); 4. Ggf. völliger Verzicht auf ein Statin und Intensivierung/Optimierung des Trainingsprogramms (vgl. 10). Therapieversuche mit Coenzym Q10 (1, 7), Vitamin D u.a. sind nach unserem Wissen ohne Effekt.
Literatur
- AMB2009, 43, 91. Link zur Quelle
- AMB1999, 33, 15a. Link zur Quelle
- Bruckert,E., et al. (PRIMO = Prédiction du RIsque Musculaire en Observationnel):Cardiovasc. Drugs Ther. 2005, 19, 403. Link zur Quelle
- Golomb,B.A., et al.: Arch. Intern. Med. 2012, 172,1180. Link zur Quelle
- Mikus, C.R., et al.: J. Am. Coll. Cardiol. 2013, 62, 709. Link zur Quelle
- Kokkinos,P.F., et al.: Lancet2013, 381, 394. Link zur Quelle
- Bookstaver,D.A., et al.: Am. J. Cardiol. 2012, 110, 526 Link zur Quelle . Vgl. AMB 2002, 36,16a. Link zur Quelle
- AMB2008, 42, 91. Link zur Quelle
- AMB2013, 47, 91. Link zur Quelle
- Naci, H., undIoannidis, J.P.A.: BMJ 2013, 347, f5577. Link zur Quelle