Wir haben kürzlich über die monoklonalen Antikörper der Proprotein-Convertase-Subtilisin-Kexin-Typ-9 (PCSK9) berichtet, eine neue Klasse sehr effizienter LDL-Cholesterinsenker (1). Handelsnamen und Indikationen der in Europa und den USA kurz vor Marktzulassung stehenden Substanzen waren damals noch nicht offiziell. Dies hat sich mittlerweile geändert:
Evolocumab wird von Amgen unter dem Namen Repatha® vermarktet. Nach der EMA-Zulassungsempfehlung vom Mai 2015 liegt seit Juli 2015 eine gültige EU-Marktzulassung („first-in-class“) und damit ein European Public Assessment Report (EPAR) vor (2). Die empfohlene Dosis ist die zweiwöchentliche s.c. Injektion von 140 mg (mittels Fertigspritze) oder die vierwöchentliche Injektion von 420 mg (3 Fertigspritzen); bei homozygoter Hypercholesterinämie bis 420 mg zweiwöchentlich.
Alirocumab wird von Sanofi und Regeneron unter dem Namen Praluent® vermarktet. Von der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) und von der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) wurden im Juli 2015 zeitgleich Zulassungsempfehlungen abgeben (3, 4); mit den entsprechenden Marktzulassungen ist in den kommenden Wochen zu rechnen. Die empfohlene Dosis ist die zweiwöchentliche s.c. Injektion von 75 mg (mittels Fertigspritze/Pen) bis maximal 150 mg.
Bocucizumab (Pfizer) wird derzeit in Phase-II-Studien untersucht.
Von der EMA wurden bzw. werden Alirocumab und Evolocumab für folgende Indikationsgebiete zugelassen: Erwachsene mit primärer Hypercholesterinämie (heterozygot familiär oder nicht-familiär) oder gemischter Dyslipoproteinämie zusätzlich zu diätetischen Maßnahmen:
- in Kombination mit Statinen oder Statinen mit anderen Lipidsenkern, wenn LDL-Zielwerte mit der maximalen tolerierten Statin-Dosis nicht erreicht werden.
- alleine oder in Kombination mit anderen Lipidsenkern bei Statin-Intoleranz oder Statin-Kontraindikationen.
Evolocumab ist außerdem für die homozygote familiäre Hypercholesterinämie in Kombination mit anderen Lipidsenkern zugelassen.
Im Vergleich zur EMA blieb die FDA zurückhaltender, indem Alirocumab nur für die heterozygote familiäre Hypercholesterinämie sowie in der Sekundärprophylaxe nach Myokardinfarkt oder Schlaganfall zugelassen wurde, wenn LDL-Zielwerte mit der maximal tolerierten Statin-Dosis nicht erreicht werden. Kritische Beobachter in den USA zeigten sich dennoch über die Breite der Indikation überrascht (5).
Für keinen dieser Wirkstoffe liegen bislang belastbare klinische Daten zu Endpunkten vor. Die Zulassungen erfolgten ausschließlich aufgrund der Wirkung auf den Surrogatparameter LDL. Eine kürzlich publizierte Metaanalyse (Studiendaten, keine Rohdatenanalyse auf Patienten-Level) von 24 sehr heterogenen randomisierten kontrollierten Phase-II- und -III-Studien mit 10.159 Patienten (teilweise mit, teilweise ohne zusätzliche Statin-Therapie) ergab eher diskrete Hinweise auf eine Reduktion der Gesamtletalität (Odds ratio = OR: 0,45; 95%-Konfidenzintervall = CI: 0,23-0,86; p = 0,015), der kardiovaskulären Letalität (OR: 0,50; CI: 0,23-1,10; p = 0,084) und der Myokardinfarkt-Rate (OR: 0,49; CI: 0,26-0,93; p = 0,030) unter PCSK9-Inhibitoren (teilweise Alirocumab, teilweise Evolocumab) im Vergleich zu den Kontroll-Gruppen (teilweise Plazebo, teilweise Ezetimib; 6). Diese Tendenzen müssen erst durch große Studien (laufend: Alirocumab: ODYSSEY; Evolocumab: FOURIER) bestätigt werden; die Ergebnisse werden nicht vor 2017 erwartet. Als häufige Nebenwirkung (1:100) der PSCK9-Inhibitoren werden Nasopharyngitis, Infektionen der oberen Luftwege, Rückenschmerzen, grippale Symptome, Übelkeit und Irritationen an der Injektionsstelle genannt (2). In der genannten Metaanalyse gab es diesbezüglich (und auch hinsichtlich muskulärer Symptome) keine Unterschiede zu den Kontroll-Gruppen.
Die große Frage ist, ob sich im Hinblick auf das LDL die Theorie „lower is better“ schließlich doch bestätigt. Diese war aufgrund der „pleiotropen“ Statin-Wirkungen in der Vergangenheit eigentlich sehr in Frage gestellt, zuletzt aber – insbesondere von Befürwortern der umstrittenen Ezetimib-Studie IMPROVE-IT – wieder auffällig häufig zu lesen (vgl. 7). Möglicherweise ist sogar mit negativen Auswirkungen einer extremen LDL-Senkung zu rechnen, z.B. auf die Hirnleistung (1). Alle künftigen Studien müssen zur Klärung dieser Frage auch neurokognitive Endpunkte einschließen.
Die exzessiven Kosten der PCSK9-Inhibitoren dürften im Falle einer – zu erwartenden – breiten Anwendung die ohnehin schon prekäre Situation der Arzneimittelkosten in den globalen Gesundheitssystemen weiter verschärfen. In den USA liegen die Jahrestherapiekosten von Praluent® mit 14.600 US$ pro Jahr deutlich über den erwarteten 7.000-12.000 US$ (5).
Fazit: Evolocumab und Alirocumab sind die ersten in Europa zugelassenen Cholesterinsenker einer neuen Klasse: PCSK9-Inhibitoren. Es handelt sich um meist zweiwöchentlich s.c. zu injizierende monoklonale Antikörper. Einer noch nicht abschließend zu beurteilenden, aber möglicherweise relativ niedrigen Nebenwirkungsrate stehen vorerst fehlende Daten zu klinischen Endpunkten und exorbitante Preise gegenüber. Die Risiko-Nutzen-Relation und Kosteneffizienz einer intensiven LDL-Senkung durch PCSK9-Inhibitoren ist derzeit nicht klar. Deshalb raten wir zur Zurückhaltung in der Verordnung.
Literatur
- AMB 2015, 49, 30. Link zur Quelle
- http://www.ema.europa.eu/… Link zur Quelle
- http://www.fda.gov/NewsEvents/… Link zur Quelle
- http://www.ema.europa.eu/… Link zur Quelle
- http://www.msn.com/… Link zur Quelle
- Navarese, E.P., et al.: Ann. Intern. Med. 2015, 163,40. Link zur Quelle
- AMB 2015, 49, 64a. Link zur Quelle