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Effekte von Liraglutid und SGLT2-Inhibitoren auf kardiovaskuläre und renale Folgeerkrankungen bei Typ-2-Diabetikern

Liraglutid (Victoza®) ist nach Exenatid (Byetta®) das zweite für die Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 (DM2) zugelassene Inkretinmimetikum (Glukagon-like-Peptid 1-Analogon = GLP1-Analogon), das die Insulinsekretion durch Wirkung auf die Betazellen des Pankreas steigert, die Magenentleerung verzögert und bei den meisten Patienten zur Gewichtsabnahme führt. Es ist zugelassen bei Erwachsenen bei unzureichend kontrolliertem Diabetes als Zusatz zu Diät und körperlicher Aktivität als Monotherapie, wenn Metformin wegen Unverträglichkeit oder Kontraindikation ungeeignet ist, und zusätzlich zu anderen Arzneimitteln zur Behandlung des Diabetes mellitus. Unter Federführung von Diabetologen aus München und Erlangen erschien kürzlich im N. Engl. J. Med. eine weitere Veröffentlichung der LEADER-Studie, einer vom Hersteller Novo Nordisk gesponserten, multizentrischen randomisierten plazebokontrollierten Studie zu Liraglutid, diesmal zu Wirkungen auf die Nierenfunktion bei DM2-Patienten mit erhöhtem kardiovaskulärem Risiko (1). In einer vorausgegangenen Mitteilung (2) war über eine signifikante Senkung des primären kombinierten Endpunkts (nicht-tödlicher Herzinfarkt, Schlaganfall und kardiovaskulär verursachte Letalität) nach im Median 3,8 Jahren berichtet worden (Liraglutid: 13,0%; Plazebo: 14,9%; Hazard ratio: 0,87; 95%-Konfidenzintervall: 0,78-0,97). Bei Einschluss waren die Patienten entweder noch nicht medikamentös behandelt oder sie nahmen bereits ein orales Antidiabetikum (OAD) ein und/oder erhielten ein Basal-Insulin oder ein lang wirkendes Insulin-Analogon (3). Die jetzige Veröffentlichung zur Nierenfunktion (1) teilt Ergebnisse eines a priori geplanten („prespecified“) sekundären Endpunkts mit. Dieser bestand aus folgenden Komponenten: neu auftretende Makroalbuminurie, persistierende Verdopplung der Serum-Kreatinin-Konzentration, neues terminales Nierenversagen und Tod aus renaler Ursache. Änderungen der glomerulären Filtrationsrate (GFR) und des Ausmaßes der Albuminurie werden mitgeteilt.

Ergebnisse: 9.340 Patienten wurden ab 2012 randomisiert; die mediane Beobachtungszeit betrug 3,84 Jahre. Insgesamt ereignete sich der kombinierte renale Endpunkt bei 268 von 4.668 Patienten in der Verum- und bei 337 von 4.672 Patienten in der Plazebo-Gruppe (Hazard Ratio = HR: 0,78; 95%-Konfidenzintervall: 0,67-0,92; p = 0,003). Dabei war die absolute Risikoreduktion (ARR) 1,5%. In erster Linie war der Unterschied durch das seltenere Neuauftreten einer Makroalbuminurie bei den mit Liraglutid behandelten Patienten bedingt (161 versus 215 Patienten; ARR: 1,2%; p = 0,004). Auch das Neuauftreten einer Mikroalbuminurie war mit einer ARR von 4,4% signifikant geringer. Obwohl die HR für die Verdopplung der Serum-Kreatinin-Werte (0,89; ARR: 0,2%) und eine neu erforderliche Nierenersatztherapie (0,87; ARR: 0,2%) auch zugunsten von Liraglutid tendierten, waren sie einzeln betrachtet nicht signifikant unterschiedlich. Die Autoren betonen den Nutzen von Liraglutid hinsichtlich der Verlangsamung der GFR-Abnahme. Das war für die Gesamtgruppe jedoch nicht signifikant. Von vier Subgruppen war der Nutzen nur bei ca. 900 Patienten mit einer initialen GFR von 30-59 ml/min/1,73 m2 Körperoberfläche ab dem 12. Monat der Therapieumstellung unter Liraglutid nachweisbar. In den GFR-Bereichen > 90 ml bzw. 60-90 ml/min/1,73 m2 war dies nicht der Fall. Die initiale Verbesserung der GFR bei ca. 100 Patienten mit einem Ausgangswert von < 30 ml/1,73 m2 (im Mittel 22 ml/min/1,73 m2) war nach 36 Monaten nicht mehr nachweisbar. Die gering höhere Rate akuter renaler Ereignisse (0,71 bzw. 0,62 pro 100 Patientenjahre unter Verum bzw. Plazebo) und Tod durch Nierenerkrankung (0,17% vs. 0,11%) war nicht signifikant.

Diskussion: Der mäßige kardiovaskuläre und geringe renale protektive Effekt von Liraglutid zu einem deutlich höheren Preis als z.B. eine konventionelle Insulin-Therapie wird mit 1,2% mehr Nebenwirkungen erkauft. Sehr häufig sind Diarrhö und Übelkeit, die bei Fortsetzung der Behandlung meist besser werden; weiterhin sind Oberbauchschmerzen, Flatulenz und andere abdominelle Beschwerden zu nennen. Zudem ist das Risiko für akute Pankreatitis leicht erhöht (4).

Noch vor wenigen Jahren galt Metformin als das einzige Antidiabetikum, dem – als Einzelwirkstoff – ein protektiver Effekt hinsichtlich makrovaskulärer Komplikationen bei DM2 zugeschrieben wurde (5). In der Zwischenzeit ist ein solcher protektiver Effekt auch für die SGLT2-Hemmer Empagliflozin (Jardiance®; 6, 7) und Canagliflozin (Invokana®; 8) belegt. Canagliflozin ist in Deutschland wegen eines von der Firma Janssen erwarteten zu niedrigen Erstattungsbetrags („kein Zusatznutzen“ nach Beschluss des G-BA; 13) nicht mehr auf dem deutschen Markt. Folgende Nebenwirkungen der SGLT2-Hemmer treten infolge der induzierten Glukosurie (als therapeutisches Prinzip) auf: vulvovaginale Infektionen, Balanitiden, Harnwegsinfekte, Polyurie und selten Dehydratation. Anfang 2017 waren weltweit über 2.000 Fälle von Ketoazidosen bei Anwendung von SGLT2-Inhibitoren gemeldet (9). Meist ist hierbei der Blutzucker normal oder nur leicht erhöht, so dass die Diagnose eventuell verzögert gestellt wird. Auch Amputationen im Bereich der unteren Extremität waren bei Anwendung dieser Antidiabetika etwas häufiger notwendig als mit Vergleichstherapien (0,63 versus 0,34/100 Patientenjahre; 10), während sich der Verdacht, SGLT2-Inhibitoren erhöhten das Risiko für Knochenbrüche, in einer Metaanalyse vorläufig nicht bestätigt hat (11).

Langzeitstudien zu Antidiabetika, die einen protektiven Effekt hinsichtlich Sterblichkeit sowie kardiovaskulärer und renaler Komplikationen ergeben, werden den G-BA zunehmend vor schwierige Entscheidungen stellen, wenn bei Gegenüberstellung von Kontrolle der Glykämie und Nebenwirkungen neuerer Wirkstoffe zunächst kein Zusatznutzen zu erkennen ist. Einer Neubewertung bedarf demnächst wohl auch das ultralang wirkende Insulin-Analogon Degludec (Tresiba®). Es wurde in einer kürzlich veröffentlichten Studie im Vergleich mit Insulin glargin (Lantus®) hinsichtlich kardiovaskulärer Sicherheit nach 24 Monaten als „nicht unterlegen“ befunden (12), führte aber etwas seltener zu schweren Hypoglykämien: bei 4,9% versus 6,6% der Patienten oder – nach Ereignissen berechnet – zu 3,7 versus 6,25 Ereignissen pro 100 Patientenjahre. Insulin degludec wird in Deutschland nicht mehr vermarktet, nachdem der G-BA, auch in Kombinationstherapien, keinen Zusatznutzen attestiert hat (14); und es wird von der GKV auch nicht bezahlt.

Fazit: Das GLP1-Analogon Liraglutid und die SGLT2-Inhibitoren Empagliflozin und Canagliflozin reduzierten in mehrjährigen RCT bei Typ-2-Diabetikern mit erhöhtem kardiovaskulärem Risiko signifikant kardiovaskuläre Komplikationen um absolut 0,5% bis 1,6%. Liraglutid und – etwas deutlicher – Empagliflozin reduzierten zusätzlich das Fortschreiten einer Niereninsuffizienz um absolut 1,5% bis 6,1% in denselben Studien im Vergleich mit Standardtherapie-Kohorten. Diesen positiven Langzeitergebnissen stehen zahlreiche Nebenwirkungen ab Therapiebeginn gegenüber. Weitere klinische Studien sind erforderlich, um die zunächst geringen günstigen renalen Effekte zu bestätigen, denn das Wissen um die Klasseneffekte der GLP1-Analoga ist noch unzureichend. Außerdem wurden bisher nur Diabetiker mit hohem Risiko für die Entwicklung einer diabetischen Nephropathie untersucht, und es ist nicht klar, ob die Wirkungen auch bei Patienten mit geringerem Risiko ähnlich sind. Zudem sind die Kosten eine Hürde für eine breitere Anwendung. Wir stimmen angesichts der Datenlage der abwartenden Haltung von I.H. de Boer in seinem begleitenden Editorial zur LEADER-Studie zu (15).

Literatur

  1. Mann, J.F.E., et al. (LEADER = Liraglutide Effect and Action in Diabetes: Evaluation of cardiovascular outcome Results): N. Engl. J. Med. 2017, 377, 839. Link zur Quelle

  2. Marso, S.P., et al. (LEADER = Liraglutide Effect and Action in Diabetes: Evaluation of cardiovascular outcome Results): N. Engl. J. Med. 2016, 375, 311. Link zur Quelle . AMB 2016, 50, 66. Link zur Quelle

  3. Marso, S.P., et al. (LEADER = Liraglutide Effect and Action in Diabetes: Evaluation of cardiovascular outcome Results): Am. Heart J. 2013, 166, 823. Link zur Quelle

  4. AMB 2013, 47, 72. Link zur Quelle

  5. UKPDS 34 = UK Prospektive Diabetes Study 34: Lancet 1998, 352, 854. Link zur Quelle Erratum: Lancet 1998, 352, 1558. AMB 2008, 42, 94. Link zur Quelle

  6. Zinman, B., et al. (EMPA-REG OUTCOME = EMPAgliflozin cardiovascular outcome event trial in type 2 diabetes mellitus patients): N. Engl. J. Med. 2015, 373, 2117. Link zur Quelle. AMB 2015, 49, 82. Link zur Quelle

  7. Wanner, C., et al. (EMPA-REG OUTCOME = EMPAgliflozin cardiovascular outcome event trial in type 2 diabetes mellitus patients): N. Engl. J. Med. 2016, 375, 323. Link zur Quelle

  8. Neal, B., et al. (CANVAS = CANagliflozin cardioVascular Assessment Study): N. Engl. J. Med. 2017, 377, 644. Link zur Quelle

  9. AMB 2017, 51, 07a. Link zur Quelle

  10. AMB 2016, 50, 52. Link zur Quelle

  11. Tang, H.L., et al.: Diabetes Obes. Metab. 2016, 18, 1199. Link zur Quelle

  12. Marso, S.P., et al. (DEVOTE = Trial comparing cardiovascular safety of insulin degludec versus insulin glargine in subjects with type 2 diabetes at high risk of cardiovascular events): N. Engl. J. Med. 2017, 377, 723. Link zur Quelle

  13. https://www.g-ba.de/… Link zur Quelle

  14. https://www.g-ba.de/… Link zur Quelle

  15. de Boer, I.H.: N. Engl. J. Med. 2017, 377, 885. Link zur Quelle