Das Risiko, nach einem kleinen ischämischen Insult oder einer Transitorischen Ischämischen Attacke (TIA) innerhalb von 3 Monaten einen weiteren Insult zu erleiden, beträgt etwa 11% (Spanne: 3-15%; 1, Suppl. Appendix). Die meisten dieser erneuten Insulte treten innerhalb der ersten Tage auf. Azetylsalizylsäure (ASS) reduziert das Rezidivrisiko um ca. 20%. Die S3-Leitlinie „Sekundärprophylaxe ischämischer Schlaganfall und transitorische ischämische Attacke“ (2) der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) aus dem Jahr 2015 empfiehlt eine Sekundärprophylaxe mit 100 mg/d ASS innerhalb der ersten 48 Stunden nach Beginn der Symptome (Empfehlungsgrad A, Evidenzebene Ia).
Bislang noch nicht hinreichend beantwortet ist die Frage, ob – analog zum Akuten Koronarsyndrom – eine kurzfristige duale Plättchenhemmung das Rezidivrisiko weiter reduziert. Die S3-Leitlinie gibt hierzu nur eine „Kann“-Empfehlung (Empfehlungsgrad B); von einer längerfristigen Sekundärprävention mit ASS plus Clopidogrel wird wegen ungünstiger Nutzen-Risiko-Relation (Blutungen) abgeraten. Das American Heart Association Stroke Council empfiehlt in seinen Leitlinien aus dem Jahre 2018 zum frühen Management von Patienten mit ischämischem Insult (3) eine Behandlung mit ASS plus Clopidogrel, beginnend innerhalb der ersten 24 Stunden nach Beginn der Symptome und begrenzt sie auf 21 Tage („weak recommendation“). Diese Empfehlung basiert wesentlich auf zwei Studien, die bis dato durchgeführt wurden, CHANCE und FASTER (s.u.). Sie wird nun gestützt von den Ergebnissen einer aktuellen Studie mit dem Akronym POINT, die im Juli 2018 im N. Engl. J. Med. publiziert wurde (1).
Methodik: In die überwiegend mit öffentlichen Geldern finanzierte randomisierte, doppelblinde, plazebokontrollierte Studie (RCT) wurden in den Jahren 2010-2017 an 269 Zentren in 10 Ländern insgesamt 4.881 Patienten eingeschlossen. Rekrutiert wurden Patienten innerhalb von 12 Stunden nach Symptombeginn eines kleinen ischämischen Insults (≤ 3 Punkte nach dem „National Institute of Health Stroke Scale“ (NIHSS), wobei 0 keinen und 42 Punkte einen maximalen Funktionsverlust bedeutet) sowie Patienten mit einer TIA und einem hohen Rezidivrisiko (ABCD2-Score > 4 Punkte, auf einer Skala von 0-7; Erklärung s. Tab. 1).
Ausgeschlossen waren u.a. TIA-Patienten mit sehr diskreten Symptomen (nur Taubheitsgefühl, Sehstörung oder isolierter Schwindel), Patienten mit Indikation zur Thrombolyse oder endovaskulärer Intervention, einer nachweislichen Karotisstenose > 50% und einer klaren Indikation für eine orale Antikoagulation (z.B. Vorhofflimmern).
Die Patienten erhielten alle ASS (50-325 mg/d, je nach lokalem Standard) und unmittelbar nach der Randomisierung die zugeloste Studienmedikation (Plazebo oder 75 mg Clopidogrel mit initialer Loading-Dosis). Die Patienten wurden 90 Tage nachverfolgt. Der funktionelle Status wurde mittels eines „stroke-free status questionnaire“, dem NIHSS und dem Modified Rankin Score erfasst (mRS; dieser beschreibt das Ausmaß einer Behinderung nach einem Schlaganfall auf einer Skala von 0-6, wobei 0 keine Ausfälle und 6 Tod bedeutet; vgl. 9). Der primäre Wirksamkeitsendpunkt war eine Kombination von ischämischem Schlaganfall, Myokardinfarkt oder Tod durch ischämisch-vaskuläre Ereignisse. Primärer Sicherheitsendpunkt waren Major-Blutungen.
Nach Einschluss von 83,6% der angepeilten Patientenzahl wurde die Studie vom Safety-Board wegen signifikant häufigerer Blutungen im ASS-plus-Clopidogrel-Arm abgebrochen. Zu diesem Zeitpunkt hatten insgesamt 4.557 Patienten (93,4%) die 90-Tage-Visite absolviert.
Ergebnisse: Das mittlere Alter betrug 65 Jahre, 45% waren Frauen, 43% hatten als qualifizierendes Ereignis eine TIA. Die Zeit von der ersten Hilfe bis zur Randomisierung betrug durchschnittlich 7,3 Std.
Die wichtigsten Ergebnisse nach Intention-To-Treat-Analyse (ITT) sind in Tab. 2 aufgelistet. Die kombinierte Behandlung führte im Vergleich zu ASS in erster Linie zu signifikant weniger ischämischen Insulten (absolut -1,7%; Number Needed to Treat = NNT: 58). Eine Verbesserung im funktionellen Status (mRS) war nicht erkennbar. Zugleich führte sie zu signifikant mehr Major-Blutungen (absolut +0,5%; Number Needed to Harm = NNH: 200) und Minor-Blutungen (absolut +1,1%; NNH: 90). Detaillierte Angaben über die Blutungslokalisationen werden nicht gemacht, Hirnblutungen wurden aber nicht signifikant häufiger beobachtet (n = 9 vs. 5).
Nach einer sekundären Analyse trat der Nutzen der kombinierten Behandlung überwiegend in den ersten 7 Tagen auf, während das Blutungsrisiko mit der Behandlungsdauer anstieg. Ein Mangel der Studie ist, dass bei knapp einem Drittel der Patienten die Studienmedikation vorzeitig abgesetzt wurde (27,5% mit Plazebo, 29,6% mit Clopidogrel). Die Analyse der tatsächlich behandelten Patienten zeigte aber ähnliche Nutzen- und Risikoeffekte wie die ITT-Analyse.
Im Dezember 2018 folgte im British Medical Journal ein systematisches Review (SR) zu dieser Fragestellung (4). Darin wurden 3 RCT berücksichtigt, in denen Patienten mit einem kleinen ischämischen Insult oder einer TIA innerhalb der ersten 3 Tage ASS plus Clopidogrel einnahmen. Neben POINT waren dies die chinesische CHANCE-Studie (5) aus dem Jahre 2013 (5.170 Teilnehmer) und die nordamerikanische FASTER-Studie (6) aus dem Jahre 2007 (396 Teilnehmer). Das SR kommt zu dem Schluss, dass eine frühe Einnahme (< 24 Stunden nach Symptombeginn) von ASS plus Clopidogrel zu einer geringen, aber wichtigen Reduktion von ischämischen Insulten führt (Relatives Risiko = RR: 0,7; 95%-Konfidenzintervall = CI: 0,6-0,8; absolute Risikoreduktion 1,9%; NNT: 52; starke Evidenz). Zudem könnte sie sich günstig auf den Erhalt neurologischer Funktionen und die Lebensqualität auswirken (RR für mRS 2-5: 0,9; CI: 0,81-1,01; absolute Risikoreduktion: 1,4%; moderate Evidenz). Ein positiver Effekt auf das Gesamtüberleben und die Häufigkeit von TIA-Rezidiven ist nicht nachweisbar.
Dem steht eine signifikante Zunahme moderater und schwerer Blutungen gegenüber (RR: 1,7; CI: 0,9-3,2; absolute Risikozunahme: 0,2%, NNH: 500; moderate Evidenz). Wenn man die Rezidivrate als Therapieziel betrachtet, überwiegt der Nutzen das Risiko deutlich (NNT: 52 vs. NNH: 500). Nach den Kaplan-Meier Kurven tritt dieser Nutzen in den ersten 10 Tagen auf; danach laufen die Kurven nahezu parallel. Dagegen laufen die Kurven bei den Blutungen kontinuierlich über 90 Tage auseinander.
Fazit: Bei kleineren ischämischen Insulten und TIA mit hoher Rezidivgefahr ist das Risiko für einen ischämischen Insult in den ersten Tagen am höchsten. Wenn eine intrazerebrale Blutung ausgeschlossen ist und kein Hinweis auf eine Kardioembolie oder eine Karotisstenose vorliegt, vermindert nach Ergebnissen der POINT-Studie eine frühe und kurzdauernde (21 Tage) duale Plättchenhemmung mit ASS plus Clopidogrel signifikant die Wahrscheinlichkeit von Rezidivinsulten bei vertretbarem Blutungsrisiko (NNT: 52 vs. NNH: 500). Das Überleben wird nicht beeinflusst, und ob der funktionelle Status durch diese Therapie verbessert wird (möglicherweise das wichtigere Therapieziel), geht aus den Daten nicht hervor.
Literatur
- Johnston, S.C., et al. (POINT = Platelet-Oriented Inhibition in New TIA and minor ischemic stroke): N. Engl. J. Med. 2018, 379, 215. Link zur Quelle
- S3-Leitlinie »Sekundärprophylaxe ischämischer Schlaganfall und transitorische ischämische Attacke«. Link zur Quelle ; Zugriff am 25.1.2019.
- Powers, W.J., et al.: Stroke 2018, 49, e46. Link zur Quelle
- Hao, Q., et al.: BMJ 2018, 363, k5108. Link zur Quelle
- Wang, Y., et.al. (CHANCE = Clopidogrel in High-risk patients with Acute Non-disabling Cerebrovascular Events): N. Engl. J. Med. 2013, 369, 11. Link zur Quelle
- Kennedy, J., et al. (FASTER = Fast Assessment of Stroke and Transient ischaemic attack to prevent Early Recurrence): Lancet Neurol. 2007, 6, 961. Link zur Quelle
- Johnston, S.C., et al.: Lancet 2007, 369, 283. Link zur Quelle
- http://www.strokecenter.org/… Link zur Quelle