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Akuter Leberschaden durch Paracetamol in therapeutischer Dosierung

Paracetamol ist zugelassen zur symptomatischen Behandlung von leichten bis mäßig starken Schmerzen sowie von Fieber und gehört zu den am häufigsten verordneten Arzneimitteln in Deutschland und Österreich (1, 2, vgl. 3). Der Abbau von Paracetamol findet überwiegend in der Leber statt über Konjugation mit Glucuronsäure und Schwefelsäure. Ein geringer Teil der Metabolisierung erfolgt über den Katalysator Cytochrom-P-450 (hauptsächlich CYP2E1) und führt zur Bildung des Metaboliten N-Acetyl-p-benzochinonimin, der normalerweise rasch durch Glutathion entgiftet und durch Cystein und Mercaptursäure gebunden wird. Im Fall einer Überdosierung ist die Menge dieses toxischen Metaboliten erhöht. Wenn die Glutathionreserven aufgebraucht sind, kommt es zu einer Leberzellschädigung. Die Gefahr eines akuten Leberschadens bei Überdosierung von Paracetamol ist gut bekannt. Doch auch unter Paracetamol in therapeutischer Dosierung kann es zu einem akuten Leberschaden kommen, wie u.a. eine Publikation von 67 Fallberichten zeigte (4). Um die Risikofaktoren und den Verlauf dieser Erkrankung näher zu beschreiben, wurde in Frankreich eine prospektive Studie durchgeführt (5).

In diese nicht-interventionelle Studie wurden alle Patienten eingeschlossen, die zwischen 2002 und 2019 mit einem schweren Leberschaden (in Frankreich definiert durch einen Quick-Wert < 50%) auf der Intensivstation eines Krankenhauses aufgenommen wurden. Patienten mit Leberzirrhose wurden ebenso ausgeschlossen wie Patienten mit einer anderen Ursache für einen akuten Leberschaden, darunter Autoimmun- und virale Hepatitis, Herzinsuffizienz oder Morbus Wilson. Primärer Endpunkt der Studie war ein Vergleich der Patienten mit einem Leberschaden bei therapeutischer Dosierung von Paracetamol mit Patienten mit einer Überdosierung. Eine therapeutische Dosierung wurde von den Autoren analog zu der Publikation der Fallberichte als ≤ 6 g/d definiert (4). Von der Europäischen Arzneimittel-Agentur zugelassen sind bei Erwachsenen höchstens 4 g/d.

Im Studienzeitraum wurden 400 Patienten mit einem schweren Paracetamol-induzierten Leberschaden aufgenommen, davon 89 Patienten unter therapeutischer Dosierung und 311 Patienten nach einer Überdosierung. Grund der Einnahme von Paracetamol bei therapeutischer Dosierung waren meist Schmerzen (abdominelle Schmerzen 44,9%, Gelenkschmerzen 24,7%, Zahnschmerzen 11,2%, Kopfschmerzen 4,5%); eine Überdosierung erfolgte meist in suizidaler Absicht (76,5%). Alle Patienten wurden mit N-Acetylcystein behandelt. Patienten mit einem akuten Leberschaden unter Paracetamol in therapeutischer Dosierung waren im Vergleich zu Patienten nach einer Überdosierung jünger (30,7 vs. 44 Jahre; p < 0,0001). Außerdem hatten sie häufiger länger als 24 Stunden nichts mehr gegessen (47,5% vs. 26,0%; p = 0,001) und exzessiv Alkohol (≥ 30 g/d; Median 80 g/d) konsumiert (93,3% vs. 48,5%; p > 0,0001). Nur 6 Patienten mit einem akuten Leberschaden unter Paracetamol in therapeutischer Dosierung hatten keinen Alkohol getrunken; davon hatten alle eine Fastenperiode vor der Einnahme von Paracetamol, darunter ein Patient mit einer schweren Mangelernährung und zwei Patienten mit Essstörungen. Die medianen Tageshöchstdosen betrugen bei Dosierung noch im therapeutischen Bereich 4 g/d versus 16 g/d bei Überdosierung. Die mediane Dauer der Einnahme lag bei den Patienten mit einem akuten Leberschaden unter Paracetamol in therapeutischer Dosierung bei 4 Tagen, bei den Patienten mit einer Überdosierung bei einem Tag. Im Vergleich zu Patienten mit Überdosierung hatten Patienten mit akutem Leberschaden bei therapeutischer Dosierung von Paracetamol eine schwerere Leberschädigung (z.B. Quick-Wert im Median 23% vs. 31%) und eine geringere Überlebensrate (87,2 ± 3,6% vs. 94,6 ± 1,3%; p = 0,02).

Fazit: Eine nicht-interventionelle Studie aus Frankreich weist daraufhin, dass unter Paracetamol auch in therapeutischer Dosierung ein Risiko für einen akuten Leberschaden besteht. In der Untersuchung war das Risiko beschränkt auf Patienten, die exzessiv Alkohol konsumiert oder über 24 Stunden nichts gegessen hatten. Patienten mit diesen „Risikofaktoren“ sollten entsprechend gewarnt werden. Auf die unzureichende Wirksamkeit von Paracetamol bei Gelenk- und Rückenschmerzen haben wir mehrfach hingewiesen (vgl. 3).

Literatur

  1. Fachinformation Paracetamol AbZ 500 mg Tabletten. Stand November 2020. Link zur Quelle
  2. Knecht, B., et al. in Schwabe, U., Paffrath, D., Ludwig, W.-D., Klauber, J. (Hrsg.).: Arzneiverordnungs-Report 2019, S. 1062.
  3. AMB 2019, 53, 36. Link zur Quelle AMB 2017, 51, 28. Link zur Quelle AMB 2016, 50, 29b. Link zur Quelle AMB 2016, 50, 06a. Link zur Quelle AMB 2015, 49, 37b. Link zur Quelle AMB 2007, 41, 17. Link zur Quelle
  4. Zimmerman, H.J., und Maddrey, W.C.: Hepatology 1995, 22, 767. Link zur Quelle Erratum: Hepatology 1995, 22, 1898.
  5. Louvet, A., et al.: Hepatology 2021, 73, 1945. Link zur Quelle